Zusammenhang zwischen Körpergröße von Kindern und der sozialen Stellung der Eltern
Vor kurzem wurde die deutsche Öffentlichkeit von einer Meldung erschreckt, wonach prekäre Arbeitsverhältnisse zu einer niedrigeren Lebenserwartung – insbesondere in Ostdeutschland – führen können.
Dass sich Arbeitslosigkeit und sozialer Status der Eltern auch sehr erheblich auf die Körpergröße von Kindern und damit auch auf Lebensqualität und Gesundheit auswirken, konnten Prof. Dr. Jörg Baten von der Universität Tübingen und Andreas Böhm vom Landesgesundheitsamt Brandenburg in einem kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekt zeigen.
Dass die Körpergröße ein Indikator für die Qualität der medizinischen Versorgung und Ernährung sein kann, erscheint vielen bereits intuitiv einleuchtend. Betrachtet man die großen Hungersnöte und Versorgungsengpässe ausgelöst durch Kriege und Naturkatastrophen in den vergangenen Jahrhunderten, so ist zu beobachten, dass die davon betroffenen Menschen deutlich kleiner sind als Menschen aus Regionen, in denen eine normale Versorgung besteht. Doch dass es keiner großen Kriege bedarf, dass Menschen in gewisser Weise unterversorgt sind und damit auch weniger wachsen als andere, zeigen nun die Forschungsergebnisse des Tübinger Wirtschaftshistorikers Baten. Dabei ist zu beachten, dass diese Körpergröße als Indikator nur für Durchschnitte einer großen Anzahl von Körpergrößen gilt. Die geringe Körpergröße eines einzelnen Menschen sagt nichts über das Wohlergehen aus, weil es eine breite genetische Streuung gibt.
Im Mittelpunkt der Untersuchungen stand das Wachstum von Kindern aus dem Bundesland Brandenburg. Die Wissenschaftler untersuchten, inwiefern eine hohe Arbeitslosigkeit in der Region und weitere Faktoren, wie beispielsweise eine hohe Abwanderungsrate, das Wachstum von Kindern in dem Zeitraum 1994 bis 2006 beeinflussten. Die Daten stammen vom Landesgesundheitsamt Brandenburg und wurden im Zuge der Einschulung von Erstklässlern erhoben.
Dabei konnte nicht nur die Körpergröße, das Alter und das Geschlecht von über 250.000 Kindern dokumentiert werden. Es wurden auch sozioökonomische Daten beispielsweise zum beruflichen Status der Eltern, deren Ausbildungsniveau sowie Anzahl der Kinder und Anzahl der Erwachsenen je Haushalt erfasst.
Anhand dieser Daten zeigen Baten und Böhm, dass die Arbeitslosigkeit der Eltern einen signifikant negativen Einfluss auf die Körpergröße ihrer Kinder hat. Dabei scheint jedoch das mit einer Arbeitslosigkeit einhergehende geringere Einkommen eine weniger bedeutende Rolle zu spielen, als psychologischer Stress und Frustration der Eltern. Diese Faktoren könnten zu einer Vernachlässigung der Kinder bezüglich ihrer Versorgung führen. Auch die Abwanderungsrate als ein Maß für die wirtschaftlichen Bedingungen eines bestimmten Gebiets steht in einem negativen Zusammenhang mit der Körpergröße der Kinder. Da es häufig eher die gebildetere Bevölkerungsschicht ist, die eine Region in der Folge schlechter Bedingungen verlässt, bleiben die weniger Gebildeten zurück. Da gerade Familien mit gebildeten Eltern in der Regel mehr Wert auf eine gesunde Ernährung und medizinische Versorgung der Kinder legen, entwickeln sich diese besser und werden größer.
Von besonderer Bedeutung scheint insbesondere das Ausbildungsniveau der Mutter zu sein, da sich die Mutter in der Regel an erster Stelle um Belange wie Ernährung und Versorgung der Kinder kümmert. Interessanterweise stellen die Autoren jedoch auch fest, dass Kinder von Alleinerziehenden bezüglich ihrer Körpergröße keinen Nachteil gegenüber Kindern aus Familien mit zwei Elternteilen aufweisen. Allerdings zeigt sich ein positiver Einfluss auf die Größe der Kinder, sobald drei oder mehr Erwachsene im gleichen Haushalt leben, also wenn beispielsweise zusätzlich Großeltern vor Ort sind, die die Versorgung der Kinder mit unterstützen.
Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Körpergröße von Kindern aus Brandenburg in dem Zeitraum 1994 bis 2006 negativ durch die hohe Arbeitslosigkeit der Eltern beeinflusst wurde. Dieser Effekt bleibt auch nach Kontrolle durch andere mögliche Faktoren bestehen. Damit zeigt sich, dass die Körpergröße von Kindern als ein äußerst sensibler Indikator für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung einer Region herangezogen werden kann.
Kontakt und nähere Informationen:
Prof. Dr. Jörg Baten
Universität Tübingen
Fachbereich Wirtschaftswissenschaften
Mohlstraße 36
72074 Tübingen
Telefon +49 70 71 29-72985
joerg.baten@uni-tuebingen.de
Media Contact
Weitere Informationen:
http://www.uni-tuebingen.deAlle Nachrichten aus der Kategorie: Studien Analysen
Hier bietet Ihnen der innovations report interessante Studien und Analysen u. a. aus den Bereichen Wirtschaft und Finanzen, Medizin und Pharma, Ökologie und Umwelt, Energie, Kommunikation und Medien, Verkehr, Arbeit, Familie und Freizeit.
Neueste Beiträge
Simon Stellmers GyroRevolutionPlus erhält ERC-Zuschuss von 150 000 € für Katastrophenwarnungen
Europäischer Forschungsrat fördert Innovation aus der Physik an der Uni Bonn „Mit GyroRevolutionPlus verbessern wir die Messgenauigkeit von Ringlaserkreiseln, sogenannten Gyroskopen, mit denen wir langsame und tiefliegende Erdrotationen oder auch…
Objektive Diagnose von Fibromyalgie: Neue Innovationen Erklärt
Prof. Dr. Nurcan Üçeyler und Dr. Christoph Erbacher von der Neurologischen Klinik des Uniklinikums Würzburg (UKW) haben ihre neuesten Forschungsergebnisse zum Fibromyalgie-Syndrom (FMS) in der Fachzeitschrift Pain veröffentlicht. Sie fanden…
Die neueste M87-Studie des EHT bestätigt die Drehrichtung des Schwarzen Lochs
Erster Schritt auf dem Weg zu einem Video vom Schwarzen Loch FRANKFURT. Sechs Jahre nach der historischen Veröffentlichung des ersten Bildes eines Schwarzen Lochs stellt die Event Horizon Telescope (EHT)…