Studie untersucht Praxis der Arbeitsverwaltung

Vermittlungsgespräche in Arbeitsagenturen folgen oft einem einfachen, standardisierten Schema. Das gilt insbesondere für die „Erstberatungsgespräche“ der Arbeitnehmer, die sich vor Beginn ihrer Arbeitslosigkeit bei ihrer Agentur für Arbeit melden müssen.

Die Arbeitsvermittler sollen sich dabei an ein zentral vorgegebenes Ablaufschema und Gesprächsraster halten. Darin bleibt kaum Raum, die individuellen Voraussetzungen, Probleme, Bedürfnisse und Erwartungen der Rat- und Hilfesuchenden aufzugreifen. Zu diesem Ergebnis kommt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Untersuchung.* In der Praxis gelingt es einem Teil der Vermittler dennoch, sich individuell mit Bedürfnissen und Fähigkeiten ihrer „Kunden“ zu befassen.

Die Autoren der Studie, Prof. Dr. Volker Hielscher von der SRH Hochschule Heidelberg und der Saarbrücker Organisationsberater Peter Ochs, beobachteten zwischen Juni 2007 und Februar 2008 in fünf Arbeitsagenturen 42 Beratungsgespräche. Dazu wählten sie Gegenden mit unterschiedlicher Arbeitsmarktsituation aus und begleiteten sowohl Vermittler mit Berufserfahrung als auch Neulinge. Ihre Forschungsfrage: Wie wirkt sich die Vereinheitlichung der Vermittlungsarbeit, die Teil des BA-Umbaus war, in der Praxis aus? Gelingt es den Fachkräften, die Ansprüche der Arbeitsverwaltung zur Geltung zu bringen und zugleich den Anliegen und Problemen der Rat- und Hilfesuchenden gerecht zu werden?

Die Beobachtungen der Forscher fielen vielfach ernüchternd aus: Beim ersten persönlichen Kontakt mit dem Arbeitslosen sind Arbeitsvermittler die meiste Zeit damit beschäftigt, in einem umfangreichen Computer-Formular vorgefertigte Einträge auszuwählen. Es bleibt kaum Zeit, in der die Arbeitslosen ihre Anliegen formulieren können. Zu einem Dialog „auf Augenhöhe“, in dem Erwerbsloser und Vermittler miteinander über die beste Strategie zur Beendigung der Arbeitslosigkeit verhandeln, kommt es nur selten. Eine solche „ko-produktive Interaktion“ ist den Wissenschaftlern zufolge aber ein wesentliches Kriterium guter Dienstleistungsqualität. Bei der Auswertung kristallisierten sich fünf Typen von Erstgesprächen heraus:

Aushandlungsprozess: Beide Seiten formulieren ihr jeweiliges Ziel und einigen sich auf ein gemeinsames Vorgehen. Arbeitsvermittler und „Kunde“ finden als „quasi-gleichberechtigte“ Verhandlungspartner einen Kompromiss. Die Forscher zählten nur zwei solcher idealtypischen Fälle. Die übrigen 40 beobachteten Gespräche verliefen anders.

Unterstützende Dienstleistung: Der Vermittler geht auf den Jobsuchenden ein, soweit es das vorgegebene Pflichtprogramm gestattet, und versucht unter Nutzung der verfügbaren Förderinstrumente eine Strategie zu entwickeln, die aus seiner Sicht die Chancen des „Kunden“ verbessert. 17 Gespräche entfielen auf diesen Typus.

Bürokratische Interaktion: Die „Herrschaft der Verwaltung“ dominiert. Dies ist zwar für eine Reihe von Standardvorgängen angemessen. Auf komplexere Anliegen der Arbeitslosen, wie etwa Weiterbildungswünsche, wird aber kaum eingegangen. Missverständnisse und ratlose „Kunden“ sind häufig. So verliefen elf der Erstgespräche.

Als-ob-Interaktion: Beide Seiten verhalten sich strategisch, gehen nicht aufeinander ein, versuchen aber, Konflikte zu vermeiden. Der Vermittler macht Vorschläge, die aus seiner Sicht eine schnelle Arbeitsmarktintegration ermöglichen, ohne den Arbeitslosen nach seinen Wünschen zu fragen. Der Erwerbslose geht zum Schein darauf ein, obwohl er andere Ziele verfolgt – etwa eine berufliche Neuorientierung.

Abwehr von Ansprüchen: Die Vermittler stemmen sich gegen die Pläne der zu Beratenden: Der Wunsch nach einem Tätigkeits- oder Branchenwechsel oder nach einer Umschulung wird abgelehnt, persönliche Schwierigkeiten etwa bei der Kinderbetreuung werden ignoriert.

Nachdem die „Kunden“ den Raum verlassen haben, ordnen die Agenturmitarbeiter den jeweiligen Arbeitslosen einer von vier Kategorien zu: von Marktkunden, die keiner besonderen Unterstützung bedürfen, bis Betreuungskunden, die in den kommenden zwölf Monaten vermutlich keinen neuen Job finden werden. Ursprünglich sollte sich die Hilfe bei Qualifizierung und Jobsuche auf die Betreuungskunden konzentrieren, schreiben die Forscher. Tatsächlich bemühten sich die Arbeitsagenturen aber vor allem um die leichter zu Vermittelnden, weil sich der Mitteleinsatz hier eher „rentiert“.

Doch diese Rahmenbedingungen sind aus Sicht der Wissenschaftler zum Teil kontraproduktiv. Beispielsweise gelinge es nur selten, über die standardisierten Profilabfragen Voraussetzungen und Fähigkeiten der Arbeitslosen für eine weitere berufliche Entwicklung zu erfassen. Für ein eingehendes Beratungsgespräch bleibe angesichts der Fülle der abzuarbeitenden – und vom BA-Controlling überprüften – formalen Prozeduren kaum Zeit, resümieren die Wissenschaftler. Den im Sozialgesetzbuch formulierten Anspruch aller Arbeitnehmer auf qualifizierte Berufsberatung könne die Bundesagentur für Arbeit so nicht einlösen.

Hielscher und Ochs beobachteten aber auch, dass es einem Teil der Vermittler trotz des „Standardisierungsdrucks“ gelingt, eine „individuelle, personale Zuwendung zur Situation der Ratsuchenden“ zu erreichen. Die Soziologen empfehlen, hier anzusetzen und den Vermittlungsprozess weniger schematisch zu gestalten. Zudem sei eine Qualifizierung der Vermittlungsfachkräfte sinnvoll, die stärker auf beraterische Kompetenzen sowie auf berufskundliche Kenntnisse abstellt. Die Forscher sehen Hinweise darauf, dass auch die BA diese Defizite mittlerweile erkannt habe.

*Volker Hielscher, Peter Ochs (2009): Arbeitslose als Kunden? Beratungsgespräche in der Arbeitsvermittlung zwischen Druck und Dialog. Edition sigma, Berlin.

Infografik im Böckler Impuls 8/2009: http://www.boeckler.de/32006_95363.html

Kontakt in der Hans-Böckler-Stiftung

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Leiterin Abteilung Forschungsförderung
Tel.: 0211-7778-108
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