Studie zu Ungleichheit, Globalisierung und Welthandel
Nur ein kleiner Teil der Erträge des Welthandels kommt Arbeitnehmern in Entwicklungsländern zugute. Gleichzeitig bedroht der globale Kostenwettbewerb die Sozialsysteme in entwickelten Ländern. Beiden Seiten würde es nützen, wenn im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) internationale Sozialstandards etabliert würden.
Diese sollten nach Möglichkeit über die Minimalanforderungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hinausgehen, ihre Entwicklung könnte mit der Etablierung eines weltweiten Emissionshandels verknüpft werden. Einseitige Sozial- oder Umweltzölle gegen Waren, die unter problematischen Bedingungen hergestellt wurden, hätten dagegen eine schädliche protektionistische Wirkung und seien nicht praktikabel. Zu diesem Ergebnis kommt Felix Ekardt, Juraprofessor an der Universität Rostock, in einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie.*
Unbeschränkte Handelsfreiheit führt laut ökonomischen Standardlehrbüchern zu maximalem Wohlstand. Regulierung würde demnach die Effizienz der Weltwirtschaft beeinträchtigen. Allerdings blendet diese Theorie wichtige Punkte aus, so Ekardt. Beispielsweise übersieht sie die ungleiche Einkommensverteilung: Von der angeblichen ökonomischen Effizienz profitierten nur wenige. Die gesamte Wirtschaftsleistung würde Ekardt zufolge sogar noch wachsen, wenn ein Teil des von Entwicklungsländern im Export verdienten Geldes genutzt würde, um die soziale Sicherheit der Arbeitenden zu verbessern. Denn das dürfte sich positiv auf ihre Motivation und Bildungsanstrengungen auswirken. Auch Umweltprobleme und die psychischen Folgen eines unbegrenzten „weltweiten Wettstreits um immer längere Arbeitszeiten und immer mehr Leistungsdruck“ kämen in der traditionellen Freihandelstheorie nicht vor, betont Ekardt.
Der Experte für internationales Recht tritt dafür ein, globale ökologische und soziale Mindeststandards im Regelwerk der Welthandelsorganisation (WTO) zu verankern. Ein solcher rechtlicher Rahmen würde einerseits zu Armutsbekämpfung und Umweltschutz in den Entwicklungsländern beitragen und andererseits den westlichen Sozialstaat schützen – vor einem internationalen „Kostenwettbewerb durch Sozialabbau“. Die WTO könnte – zum Teil nach dem Vorbild der EU – zu einem gemeinsamen Markt mit einheitlichen Mindestanforderungen an die Sozialpolitik werden. Das Welthandelsrecht sei „verglichen mit sonstigem Völkerrecht eine relativ zielgenaue und durchsetzungsstarke Ordnung“, betont der Jurist. Daher sei es als Rechtsrahmen besser geeignet als beispielsweise der Normenkatalog der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Die neuen Standards selbst sollten nach Möglichkeit über die ILO-Normen hinausgehen. Um einen internationalen Prozess der Normendiskussion anzustoßen, könnten die EU-Staaten in einem ersten Schritt versuchen, sich auf Sozialversicherungsstandards und gegebenenfalls Mindestlohnbestimmungen zu einigen, so der Experte.
Die Entwicklung von Sozialnormen im Rahmen der WTO sei zwar kompliziert, nach Ekardts Analyse ist sie trotzdem anderen denkbaren Ansätzen überlegen, die der Jurist ebenfalls untersucht hat. Beispielsweise könnten die europäischen Länder Sozial- oder Umweltzölle auf Produkte erheben, die unter problematischen Bedingungen entstanden sind. Die Erlöse könnten Schwellen- und Entwicklungsländern erhalten, damit diese sie in Öko- und Sozialprogramme investieren. Ein solches Verfahren würde jedoch zu großen Schwierigkeiten bei der Berechnung der „richtigen“ Zolltarife und praktisch unlösbaren internationalen Verteilungskonflikten führen, warnt der Wissenschaftler. Einfache Importverbote seien ebenfalls kaum umzusetzen. Auch alle Hoffnung auf uneigennützige, perfekt informierte Verbraucher zu setzen, hält Ekardt für unrealistisch. Ihnen dürfte es kaum gelingen, Unternehmen allein durch Konsumentscheidungen zu sozialer und ökologischer Verantwortung zwingen.
Um es Entwicklungs- und Schwellenländern leichter zu machen, sich auf internationale Sozialstandards zu verpflichten, entwickelt der Wissenschaftler einen Vorschlag, der Sozial- und Umweltpolitik verknüpft: Ein stark ausgeweiteter weltweiter und europäischer Emissionshandel würde die Industrieländer dazu zwingen, ärmeren Ländern Emissionsrechte abzukaufen. Damit bekämen sie Geld in die Hand, um gezielt Armut zu bekämpfen. Gleichzeitig würden in den reichen Staaten die Anreize gestärkt, Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren, und es könnte sogar die Sozialpolitik hierzulande gestärkt werden. „So könnte dieser globale sozialökologische Gesamtansatz zum Musterbeispiel eines Kompromisses zwischen Gegenwart und Zukunft, zwischen Norden und Süden werden“, schreibt Ekardt. Der Forscher betont, dass seine Vorschläge keinesfalls utopisch seien, denn angesichts der Finanzkrise und anstehender Verhandlungen über einen neuen internationalen Klimaschutzvertrag stehe „eine stärkere Einrahmung des globalen Marktes ohnehin auf der Agenda der Politik“.
*Felix Ekardt u.a.: Globalisierung und soziale Ungleichheit, Arbeitspapier 170 der Hans-Böckler-Stiftung, 2009: http://www.boeckler.de/pdf/p_arbp_170.pdf
Weitere Informationen und Infografik zum Download im Böckler Impuls 7/2009:
http://www.boeckler.de/32006_95296.html
Ansprechpartner in der Hans-Böckler-Stiftung
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Leiterin Abteilung Forschungsförderung
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