Studie analysiert Verhalten Jugendlicher in sozialen Netzwerken

Dahinter steht das Schwerpunktprogramm „Mediatisierte Welten“, das die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) finanziert. Die Leipziger Medienpädagogen betreiben schon seit 2003 ein Medienkonvergenz-Monitoring, das jedes Jahr einen anderen Schwerpunkt setzt.

Prof. Dr. Bernd Schorb erklärt den Ansatz des Projektes aus dem Jahr 2010 über Soziale Online-Netzwerke: „Wir haben gefragt, ob die Behauptungen in den Medien über das, was die Jugendlichen im Netz machen, mit dem wirklichen Handeln der Jugendlichen übereinstimmen.“ Dafür wurden über 8000 Jugendliche im Alter von zwölf bis 19 Jahren direkt in Sozialen Netzwerken befragt und 31 Heranwachsende innerhalb einer Paneluntersuchung interviewt. Im Interview spricht Schorb über die Ergebnisse des Projektes.

Warum nutzen so viele Jugendliche die Netzwerke?
Der Hauptgrund ist, dass die Freunde auch drin sind.
Soziale Netzwerke sind für den einzelnen Nutzer gar nicht
groß: Sie sind lokal, denn man ist hauptsächlich mit den Freunden zusammen, die man auch sonst sieht. Aber sie sind auch Räume, in denen man zusammen sein kann, wenn man räumlich getrennt ist. Außerdem ist man nicht mehr nur in einem Netzwerk, sondern im Durchschnitt in zweieinhalb. Zum Beispiel bei studiVZ und Facebook, weil da alle meine Freunde sind, aber dann bin ich noch bei einem speziellen Netzwerk, das meinetwegen Indie-Musik zum Thema hat.

Welche Rolle spielt dabei der soziale Druck oder die Angst, ausgeschlossen zu werden?
Das ist schon ganz wichtig. Es gibt ganze Schulen, die in schülerVZ oder im Süden bei den Lokalisten sind. Es ist ganz entscheidend, auch drin zu sein.

Was genau tun die Jugendlichen in den Sozialen Netzwerken denn überhaupt?
Ein Netzwerk hat ja die Funktion der Kommunikation, also mit den Freunden Kontakt zu haben, sich den Freunden darzustellen, aber auch die der Selbstpräsentation. Hierzu gehört es, attraktive Fotos reinzustellen und einfach zu zeigen, wie ich gerne sein möchte. Ganz wichtig ist in einem Alter, in dem man seine Identität herausbildet, die Funktion der Orientierung. Da schaue ich mir die anderen Profile an, schaue nach, wie sich andere darstellen. Ich stelle Fotos von mir rein und schaue, welche Resonanz ich bekomme. Das Netzwerk ist also ein Ort der aktiven Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit.

Welche Trends konnten Sie im Laufe der Jahre wahrnehmen?
Oder welche zeichnen sich ab?
Einmal, dass das Netz mehr aktiv genutzt wird. Es ist also eher ein Kommunikationsnetz, was es früher so nicht war. Aber da muss man unterscheiden, denn bei Wikipedia oder einem eigenen Blog, also bei der Gestaltung von Netzinhalten, sind nur ein bis zwei Prozent aktiv. Sich beteiligen, in dem Sinne, dass ich nur abzustimmen brauche oder meine Sachen in ein Formular reinschreibe, dass tun die meisten Jugendlichen. Eine zweite Entwicklung ist die immer stärker werdende Konzentration auf den Computer als Universalmedium. Davon aus sehen die Jugendlichen zum Beispiel auch fern und hören Radio.

Inwieweit kann man sagen, dass Netzwerke den Stellenwert zum Beispiel von einem Handy oder Mail verdrängen?
Bei Mails ist das so, weil die in die Netzwerke integriert sind. Die Jugendlichen, mit denen wir zusammenarbeiten, haben zwar meist eine Mailadresse, aber nutzen sie nicht. Bei Handys ist es genau umgekehrt, die werden ja so entwickelt, dass sie immer multifunktionaler werden.

In dem Report ging es ja auch um die schlechten Erfahrungen, die Jugendliche in Sozialen Netzwerken machen, welche sind das?
Es ist ganz wichtig zu sehen, dass die Sozialen Netzwerke Lebensräume sind wie andere auch. In dem Bewusstsein der Jugendlichen unterscheiden sich diese Lebensräume in ihren Gesetzmäßigkeiten nicht von realen Räumen. Das Dilemma ist, dass im virtuellen Raum keine Zeit existiert. Was ich hier präsentiere, bleibt potentiell ewig da. Das ist vor allem in einem Alter ein Problem, in dem ich gerne mal über die Stränge schlage. Zweitens ist alles, was sie im Netz tun, natürlich auch öffentlich und kann eine größere Wirkung haben. Außerdem gibt es die Gefahr, sich selbst durchsichtig zu machen: Ich werde also dem Kommerz zugänglich, ich liefere einfach alle Daten über mich selbst. Es ist ja eine Unverschämtheit, wie Facebook mit den Daten seiner Nutzer umgeht, sie verkauft und damit seine riesigen Gewinne macht.

Ist es tatsächlich so häufig, dass den Nutzern egal ist, was sie ins Netz reinstellen?
In einer exhibitionistischen Gesellschaft, in der es sowieso sehr wichtig ist, dass man sich öffentlich präsentiert, ist es den Nutzern möglicherweise auch egal.
In unseren Untersuchungen haben einige gesagt: „Was soll diese Frage? Das Netz ist dafür da, dass alles öffentlich wird, also ist das selbstverständlich.“ Es gibt auch die Haltung „das ist heute eben so“, man ist ja damit aufgewachsen. Andere sagen, sie hätten nichts zu verbergen, also könne ihnen nichts passieren. Das ist dieses traurige Argument, das man auch immer wieder hört, wenn Gesetze für die innere Sicherheit verschärft werden. Es ist aber natürlich auch sehr anstrengend, etwas dagegen zu tun:
Facebook macht, was es will. Was wollen Sie denn machen?
Sie können natürlich wie ich nicht ins Facebook gehen. Aber das müssen Sie sich erst mal leisten können, da müssen Sie erst mal eine Position haben, wo die Leute trotzdem zu Ihnen kommen.

Sie haben ja schon erwähnt, dass Sie die Strategien von Facebook nicht gut finden, sind die VZ-Netzwerke und andere Netzwerke mit deutschem Recht vertrauenswürdiger?
Es ist graduell besser. Facebook sagt ja ganz offen, dass es alle Daten verkauft und geht diesen höchst problematischen Weg, dass man sich selbst von Funktionen ausklinken muss – statt des umgekehrten Weges, dass man zustimmt. Da gehen die deutschen Netzwerke etwas sensibler vor und erfassen weniger Daten. Andererseits hat Facebook natürlich attraktive Angebote und alle Welt ist auf Facebook, sodass die Attraktion von Facebook größer ist als die von deutschen Netzwerken.

Wie bewusst nutzen denn die Jugendlichen die Privatsphäre-Einstellungen?
Es ist ein kleinerer Teil der sie nutzt, aber immerhin 40 Prozent haben diese Einstellungen schon mal vorgenommen.
Aber die Privatsphäre-Einstellung hilft ja am Ende auch nicht. Höchstens insofern, dass es von außen schwerer ist, auf mein Profil zuzugreifen.

Die Jugendlichen wollen ein authentisches Profil haben, inwieweit sind denn da die Angaben in den Profilen wirklich wahr oder wie offen präsentieren sie sich da?
Das ist in dem Monitoring, das wir machen, ein sehr wichtiger Punkt. Es wurde vor Jahren immer wieder behauptet, die Jugendlichen würden sich im Netz zu einer anderen Persönlichkeit machen. Es stellte sich heraus: dass sie das in der Regel sehr ernst nehmen und in der Regel die Wahrheit schreiben. Aber es gibt Jugendliche, die schreiben ins schülerVZ, was für sie als Schüler wichtig ist, in einem anderen Netzwerk, das zum Beispiel ihren sexuellen Neigungen entspricht, meinetwegen Homosexualität, betonen sie mehr diesen Punkt.

Was macht eigentlich der Gesetzgeber im Internet zum Schutz der Jugendlichen?
Da macht er erst mal gar nichts, denn er hat zwar einen höchst komplizierten Jugendmedienschutzstaatsvertrag ausgearbeitet, den die Bundesländer ratifizieren müssen, aber der Landtag von Nordrhein-Westphalen hat dies abgelehnt. Deshalb gibt es momentan noch die alte Regelung, die kaum Regelungen für den .Jugendschutz im Internet hat Ich finde, der Gesetzgeber müsste geschützte Räume im Netz zur Verfügung stellen, ähnlich wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dort muss man sich bewegen können ohne dass man für den Kommerz ausspioniert wird und dort muss man vertrauenswürdige und seriöse Angebote finden. Man sollte öffentlich-rechtliche Plattformen schaffen, die gesetzlich fixiert sind. Ich habe einen Doktoranden, der versucht, das auszuarbeiten.

Auch die Netzwerkbetreiber haben eine Verantwortung, was könnten die denn leisten?
Ich finde, die könnten bedeutend mehr zur Verantwortung gezogen werden. Aber in dieser Gesellschaft, in der ja die Ökonomie entscheidend ist, geht man an die nicht unbedingt heran. Ich denke, die Betreiber sind letztendlich Verteiler und wenn eine Zeitschrift auf den Index kommt, dürfen die Verteiler die auch nur noch unterm Ladentisch verteilen.

Ich weiß nicht, warum man eine Freiheit im Internet kolportiert, die es in der Wirklichkeit gar nicht gibt.

Interview: Anne Ploetz

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Bernd Schorb
Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft
Telefon: +49 341 97-35850
E-Mail: schorb@uni-leipzig.de

Media Contact

Susann Huster Universität Leipzig

Weitere Informationen:

http://www.kmw.uni-leipzig.de

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