Sorge um finanzielle Belastung bei gesetzlich Krankenversicherten größer

Bertelsmann Stiftung: Gesundheitsreform darf nicht nur an der Finanzschraube drehen


Viele gesetzlich Krankenversicherte haben Schwierigkeiten, die Zuzahlungen für rezeptpflichtige Medikamente aufzubringen – in dieser Gruppe tritt dieses Problem viermal häufiger auf als unter privat Versicherten. Das zeigt der aktuelle „Gesund­heitsmonitor“ der Bertelsmann Stiftung. Etwa 25 Prozent der GKV-Versicherten empfinden es als schwierig, die Zuzahlungen für rezeptpflichtige Arzneimittel zu leisten, während es in der PKV nur 6 Prozent sind. Außerdem lehnen gesetzlich Krankenversicherte weitere Eigen­beteiligungen im Zuge einer Gesundheitsreform wesentlich stärker ab als Privatversicherte. 85 Prozent der gesetzlich Versicherten sind auch bei einer erheblichen Senkung der Kran­kenkassen-Beiträge nicht bereit, jährlich Krankheitskosten in Höhe von bis zu 500 Euro selbst zu übernehmen. Im Vergleich dazu sprechen sich „nur“ 35 Prozent der Privatversi­cherten gegen eine Eigenbeteiligung in dieser Höhe aus. Schon heute ist für 76 Prozent der gesetzlich Versicherten der Gesamtbetrag der Zuzahlungen zu Medikamenten und medizini­schen Dienstleistungen zu hoch.

Dies hat Konsequenzen für die mögliche Ausgestaltung der nächsten Gesundheitsreform. „Wir wissen beispielsweise aus der Schweiz, dass durch praktisch alle dort wählbaren Selbstbeteiligungstarife die teilnehmenden Versicherten Kosten einsparen können“, sagt Jan Böcken, Projektleiter der Bertelsmann Stiftung. In Deutschland kann heute nur ein kleiner Kreis von Versicherten diese Option wählen. Wenn eine neue Reform dies für alle GKV-Ver­sicherten zulässt, würde sich vermutlich ein großer Teil aufgrund der aktuellen Zuzahlungs­belastung gegen jegliche Modelle der Selbstbeteiligung entscheiden. „Damit bliebe einem effektiven Instrument zur Steuerung der Leistungsinanspruchnahme die Breitenwirkung ver­sagt“, so Böcken.

Nach Ansicht der Bertelsmann Stiftung sollte eine nachhaltige Gesundheitsreform sich bei der Ausweitung der finanziellen Anreize auf alle Versicherten konzentrieren. Dies gilt auch deshalb, weil der Gesundheitszustand der Versicherten laut Studie in der GKV schlechter ist als der in der PKV: 22 Prozent der gesetzlich Versicherten beschreiben ihren Gesundheits­zustand als weniger gut oder schlecht, 23 Prozent geben an, chronisch krank zu sein (9 und 12 Prozent in der PKV). GKV-Versicherte haben also nicht nur weniger finanziellen Spiel­raum, sie haben auch aus gesundheitlichen Gründen oft nicht die Möglichkeit, weniger Leis­tungen in Anspruch zu nehmen.

Doch selbst die gegenwärtig diskutierten Reformvorschläge, die sich auf alle Versicherten aus GKV und PKV beziehen, würden allein zu kurz greifen. Aus Sicht der Bertelsmann Stif­tung müssen verstärkt auch Steuerungsoptionen auf der Leistungsanbieterseite in die Über­legungen einbezogen werden. Erste Ergebnisse aus internationalen Versuchen wie den ka­lifornischen „Pay for Performance“ (Geld folgt Leistung)-Programmen weisen den richtigen Weg. Bei dieser leistungsorientierten Vergütung erhalten Ärzte Bonuszahlungen für das Er­reichen bestimmter Qualitätsziele, die Anwendung standardisierter Behandlungs- und Do­kumentationsverfahren, für hohe Patientenzufriedenheit sowie die Durchführung von Prä­ventionsmaßnahmen oder Investitionen in neue Informationstechnologien.

Dass es in der aktuellen Debatte nicht nur um das Geld geht, zeigen die derzeitigen Ärzte­streiks in Deutschland. „Themen wie Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen und Freizeitaus­gleich gewinnen an Bedeutung. Zukünftig werden auch ethische Aspekte und die Frage des Selbstverständnis der Ärzte im Verhältnis zu anderen Gesundheitsprofessionen die Versor­gung weit mehr verändern als das Drehen an der Finanzschraube“, so Böcken. Ein wirklich visionärer Reformentwurf würde diese Themen schon heute einbeziehen.

Der Gesundheitsmonitor der Bertelsmann Stiftung befragt repräsentativ zweimal jährlich die Bevölkerung und einmal im Jahr Ärzte zu aktuellen Themen des deutschen Gesundheitswe­sens. Bislang wurden rund 12.000 Versicherte und 2.000 Ärzte befragt.

Über die Bertelsmann Stiftung:

Die Bertelsmann Stiftung versteht sich als Förderin des Wandels für eine zukunftsfähige Gesellschaft. Sie will Reformen in den Bereichen Bildung, Wirtschaft und Soziales, Gesundheit sowie Internationale Verständigung voranbringen. Die 1977 von Reinhard Mohn gegründete, gemeinnützige Einrichtung hält die Mehrheit der Kapitalanteile der Bertelsmann AG. In ihrer Projektarbeit ist die Stiftung unab­hängig vom Unternehmen und parteipolitisch neutral.

Rückfragen an: Jan Böcken, Telefon: 0 52 41 / 81-81 462; E-Mail: Jan.Boecken@Bertelsmann.de

Der „Gesundheitsmonitor 2006“ erscheint im Herbst im Verlag Bertelsmann Stiftung. Eine gesonderte Veröffentlichung zur Wirkung von Anreizen auf Seite der Versicher­ten und Ärzte kann ab Mai unter www.gesundheitsmonitor.de bezogen werden.

Media Contact

Julia Schormann idw

Weitere Informationen:

http://www.bertelsmann-stiftung.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Studien Analysen

Hier bietet Ihnen der innovations report interessante Studien und Analysen u. a. aus den Bereichen Wirtschaft und Finanzen, Medizin und Pharma, Ökologie und Umwelt, Energie, Kommunikation und Medien, Verkehr, Arbeit, Familie und Freizeit.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Ideen für die Zukunft

TU Berlin präsentiert sich vom 22. bis 26. April 2024 mit neun Projekten auf der Hannover Messe 2024. Die HANNOVER MESSE gilt als die Weltleitmesse der Industrie. Ihr diesjähriger Schwerpunkt…

Peptide auf interstellarem Eis

Dass einfache Peptide auf kosmischen Staubkörnern entstehen können, wurde vom Forschungsteam um Dr. Serge Krasnokutski vom Astrophysikalischen Labor des Max-Planck-Instituts für Astronomie an der Universität Jena bereits gezeigt. Bisher ging…

Wasserstoff-Produktion in der heimischen Garage

Forschungsteam der Frankfurt UAS entwickelt Prototyp für Privathaushalte: Förderzusage vom Land Hessen für 2. Projektphase. Wasserstoff als Energieträger der Zukunft ist nicht frei verfügbar, sondern muss aufwendig hergestellt werden. Das…

Partner & Förderer