Studie zu Effekten von Hartz IV: 60 Prozent verlieren Einkommen, 40 Prozent gewinnen hinzu

Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II (ALG II) hat zu einer Einkommens-Umverteilung unter den ärmsten Haushalten geführt. Rund 60 Prozent der Personen in Haushalten, in denen vor der Hartz IV-Reform Arbeitslosenhilfe bezogen wurde, verlieren Einkommen. Etwa 40 Prozent gewinnen hingegen hinzu.

Gesamtgesellschaftlich steigt die Armutsquote in Deutschland – nach EU-Definition ist arm, wer weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens erzielt – durch die Reform mäßig um 0,5 bis einen Prozentpunkt. Die Armutsquote unter Personen in Haushalten mit früherem Bezug von Arbeitslosenhilfe nimmt dagegen sehr deutlich von 50 Prozent auf 60 bis 65 Prozent zu. Das zeigt eine Simulationsstudie der Frankfurter Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Richard Hauser und Dr. Irene Becker im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Die Wissenschaftler analysierten Daten von Haushalten mit Arbeitslosenhilfe-Bezug von 2003 – damals etwa fünf Prozent der Bevölkerung.

In der Verlierergruppe (60 Prozent aller Betroffenen) verringert sich das bedarfsgewichtete Haushaltseinkommen um durchschnittlich etwa 20 Prozent. Die Bandbreite bei den Einbußen ist groß: Ein Viertel aller Personen in Haushalten mit früherem Bezug von Arbeitslosenhilfe verliert den Anspruch auf Unterstützung ganz. Bei den Haushalten mit Einkommensverlusten schlägt sich etwa die verschärfte Anrechnung von Partnereinkommen nieder, die insbesondere arbeitslose Frauen trifft. Ältere Langzeitarbeitslose verlieren häufig durch die Abkopplung der Leistung vom früheren Erwerbseinkommen.

Rund 40 Prozent aller Betroffenen profitieren finanziell von der Reform. Im Durchschnitt erhöht sich das bedarfsgewichtete Haushaltseinkommen um 18 bis 30 Prozent. Vielen bisher verdeckt Armen geht es besser. Das sind jene, die nur wenig Arbeitslosenhilfe bezogen, aber keine ergänzende Sozialhilfe in Anspruch genommen haben. Darunter sind auch viele allein Erziehende, die früher Arbeitslosenhilfe erhielten.

Das Verhältnis von Reformgewinnern und Reformverlierern variiert je nach Erwerbsstatus der Partnerin oder des Partners. Besonders verbreitet sind Einbußen, wenn die Partnerin oder der Partner voll beschäftigt ist: 80 bis 90 Prozent in dieser Gruppe verlieren Einkommen, verglichen mit der Situation vor der Reform . Unter den früheren Empfängerinnen und Empfängern von Arbeitslosenhilfe ohne Partner halten sich Reformgewinner und -verlierer etwa die Waage.

Langfristig dürften immer mehr Grundsicherungsempfänger unter die Armutsgrenze rutschen, warnen die Frankfurter Armutsforscher. Grund: Das ALG II knüpft nicht am früheren Einkommen an, sondern wird wie die Sozialhilfe dem Ausgabeverhalten des untersten Fünftels der Ein-Personen-Haushalte angepasst. Wenn höhere Einkommen weiterhin schneller steigen als niedrige, wächst damit auch der Anteil der ALG II-Bezieher, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens erreicht.

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