Studie: Suizidversuche Heranwachsender

Suizidversuchen Heranwachsender galt eine Studie an der Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche der Universität Leipzig

Unter jenen Patienten, die als Notfall in die Universitäts-Kinderklinik eingeliefert werden, sind mitunter auch Heranwachsende, die mit ihrem Leben Schluss machen wollten. Vordringliche Aufgabe der Mediziner ist es dann, das Leben ihres Patienten zu retten. Doch allein mit der physischen Rettung ist es nicht getan. Wie aber sollte die psychische Rettung eines jungen Patienten nach solch einer Verzweiflungstat aussehen? Experten der Klinik versuchten, diese Frage durch eine retrospektive Betrachtung von 79 Suizidversuchen zu beantworten.

Dazu wurden alle erreichbaren Informationen über die 67 weiblichen und 12 männlichen Patienten, die zwischen 1990 und 1999 nach einem Selbstmordversuch in die Klinik eingeliefert wurden, zusammengetragen und analysiert. Gefragt wurde nach alters- und geschlechtsbedingten Besonderheiten und Methoden der Suizidhandlungen. Besonderes Interesse galt dabei den sozioemotionalen und psychischen Faktoren.

Deutlich waren die Überzahl der Mädchen unter den Betroffenen sowie bei beiden Geschlechtern die Konzentration auf die 13- bis 14-Jährigen. Den Weg in den Tod wollten die Kinder, die in der Klink gerettet werden konnten, vor allem mit Hilfe von Tabletten gehen. Allein 45 von ihnen griffen nach Schmerzmitteln, 12 nach Psychopharmaka und Sedativa. In der Regel fanden sie diese Mittel in der Hausapotheke oder kauften sie in der Apotheke. Inwieweit diese Statistik die Suizid-Techniken Minderjähriger umfassend wiedergibt, ist jedoch nicht zu sagen, da die tatsächlich toten Kinder und auch jene, die auf chirurgischen Stationen behandelt werden mussten, nicht erfasst werden konnten.

„Zu uns kamen also vor allem jene Patienten, bei denen eine wirkliche Chance auf Rettung bestand“, so Prof. Wieland Kiess, Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig und Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche. „Es greift allerdings zu kurz, deshalb davon auszugehen, dass diese Kinder mit dem Suizid lediglich einen Hilferuf sendeten. Nicht wenige wollen wirklich sterben. Und sei es auch aus so diffusen Gründen wie der Sehnsucht nach einer neuen Erfahrung. ’Wie wäre es tot zu sein?’, fragen sich die nach einem Ausweg Suchenden. Sie experimentieren mit dem Tod. Und außerdem: Auch der wirklich ’nur’ demonstrativ gemeinte Suizid kann für das Kind tödlich enden oder lebenslange Schäden hervorrufen.“

Eine der wichtigsten Fragen ist deshalb die nach dem Warum eines Selbstmordversuches. Am häufigsten – bei insgesamt 27 Kindern – konnten als Ursache Entwicklungsstörungen, Versagensängste und Überforderung in Zusammenhang mit der Schule ausgemacht werden. Bei 24 Patienten lagen die Ursachen in sozial-emotionalen, neurotischen und Belastungsstörungen. Liebeskummer beispielsweise ließ nur drei der Jugendlichen keinen anderen Ausweg sehen.

„Ziel unserer Studie war jedoch nicht nur die Analyse des Geschehenen und die Aufdeckung der jeweiligen Hintergründe“, so Dr. Petra Nickel, Psychologin an der Klinik. „Ziel war vor allem, praktische Orientierungshilfen für die Krisenintervention nach Suizidversuchen von Kindern und Jugendlichen zu geben. So ist die frühzeitige Kontaktaufnahme zu Patienten und Familienmitgliedern nach einem Selbstmordversuch wichtig, denn gerade unter emotionaler Anspannung sind die Bereitschaft und das Verlangen zu reden besonders stark. Wir vermeiden in jedem Falle bewertendes, moralisierendes, vorwurfsvolles Verhalten gegenüber den Verzweifelten. Dabei geht es natürlich immer darum, zu erfragen, welche Ereignisse oder Umstände das Kind oder den Jugendlichen zu dieser Tat getrieben haben. Denn mit der medizinischen Rettung nach einem Suizid ist die Sehnsucht nach dem Tode nicht automatisch erloschen. Wir – als die ersten, die dem jungen Menschen nach seiner Verzweiflungstat begegnen – müssen ihm Anstöße geben. Und die Möglichkeit bieten, zu kommunizieren, seine eigenen Ressourcen zu aktivieren, über Auswege nachzudenken, Hilfe anzunehmen.“

Sichtbar wurden allerdings die Grenzen, die eine retrospektive Betrachtung haben muss. Deshalb ist eines der Ergebnisse der Studie auch die Forderung nach schriftlich fixierten systematischen Handlungsanweisungen und standardisierten Fragebögen, nach denen bei der Einlieferung von Kindern und Jugendlichen nach einem Suizidversuch sofort gegriffen werden kann. Marlis Heinz

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Wieland Kiess
Telefon: 0341 97-26000
E-Mail: kiw@medizin.uni-leipzig.de

Dr. Petra Nickel
Telefon: 0341 – 97 26 140
E-Mail: nicp@medizin.uni-leipzig.de

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Dr. Bärbel Adams idw

Weitere Informationen:

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