Mechanismus des Vielteilchentunnelprozesses erstmals exakt beschrieben

Mit Forschungen zum Tunneleffekt, einem zentralen Effekt in der Quantenmechanik, ist es Wissenschaftlern der Universität Heidelberg gelungen, erstmals den Mechanismus des Vielteilchentunnelprozesses in den offenen Raum exakt zu beschrieben.

Zugleich konnte das Forscherteam unter der Leitung von Prof. Dr. Lorenz Cederbaum zeigen, worin die grundlegenden Unterschiede zum bereits gut erforschten Tunnelprozess einzelner Teilchen bestehen. Die Ergebnisse dieser in Zusammenarbeit mit israelischen Forschern durchgeführten Untersuchungen wurden in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlicht.

Aufgrund des Tunneleffektes können quantenmechanisch beschriebene Teilchen sogenannte Potentialbarrieren überwinden, ohne die dafür notwendige Energie zu besitzen – sie „tunneln“ also durch die Barriere. Im Gegensatz dazu ist für Teilchen der klassischen Mechanik nur ein „Klettern über die Barriere” möglich. Der Tunneleffekt tritt bei vielen verschiedenen Prozessen in der Natur auf.

Dazu gehören zum Beispiel Kernfusion, Kernspaltung und Alphazerfall in der Kernphysik sowie Ionisationsprozesse, Photoassoziation und Photodissoziation in der Biologie und Chemie. Diese Prozesse finden jedoch fast ausschließlich in Systemen statt, die aus vielen, miteinander wechselwirkenden Teilchen zusammengesetzt und offen sind.

Wie der Mechanismus von Tunnelprozessen in den offenen Raum bei Vielteilchensystemen aussieht, haben Axel Lode, Privatdozent Dr. Alexej Streltsov, Dr. Kaspar Sakmann und Prof. Dr. Lorenz Cederbaum vom Physikalich-Chemischen Institut der Ruperto Carola Universität Heidelberg untersucht. Kooperationspartner der Heidelberger Forscher war Prof. Dr. Ofir Alon von der Universität Haifa.

Der Tunnelprozess von einzelnen Teilchen ist in der Quantenmechanik seit Jahrzehnten gut verstanden – der Tunnelprozess vieler, miteinander wechselwirkender Teilchen jedoch kaum erforscht. Von Bedeutung ist hier vor allem die Frage, inwiefern durch die Wechselwirkung zwischen den Teilchen kooperative Phänomene verursacht werden, die bei einzelnen Teilchen nicht auftreten können. So haben die Wissenschaftler untersucht, wie der Tunnelprozess vieler wechselwirkender, ultrakalter Bosonen, die anfangs ein sogenanntes Bose-Einstein-Kondensat bilden, durch eine Potentialbarriere hindurch in den freien Raum abläuft. Ultrakalte Bosonen bieten sich zum Studium von Vielteilchenprozessen an, weil sowohl ihr externes Potential mittels Lasern als auch die Wechselwirkung mittels eines Magnetfeldes experimentell kontrolliert werden kann.

Eine der Kernfragen der Arbeit war es, herauszufinden, ob der gesamte Vielteilchentunnelprozess als das Tunneln eines einzigen, effektiven Teilchens beschreibbar ist oder ob dieser Prozess grundlegend anders abläuft. Die Wissenschaftler fanden mit Hilfe exakter numerischer Simulationen heraus, dass sogar schon bei schwacher Wechselwirkung im Vielteilchenprozess kollektive Phänomene auftreten. Dabei handelt es sich um eine Quanteninterferenz – ein spezielles Phänomen der Quantenmechanik – von gleichzeitig ablaufenden Einteilchentunnelprozessen, die von Quellen mit unterschiedlicher Teilchenzahl gespeist werden.
Dies zeigt sich durch eine Zunahme der Korrelation, das heißt der Wechselbeziehungen zwischen den anfänglich unkorrelierten Teilchen. Zugleich wiesen die Wissenschaftler damit nach, dass der Vielteilchenprozess nicht als Tunnelvorgang eines einzelnen effektiven Teilchens beschrieben werden kann. Die Beschreibung als effektiver Einteilchenprozess vernachlässigt die auftretenden kollektiven Phänomene und den Aufbau von Korrelationen.

Weitere Informationen und Videos sind im Internet unter http://MCTDHB.org und http://tc.uni-hd.de/axel zu finden.

Originalpublikation:
A. U. J. Lode, A. I. Streltsov, K. Sakmann, O. E. Alon, and L. S. Cederbaum: How an interacting many-body system tunnels through a potential barrier to open space. PNAS 2012, 109 (34), 13521-13525, doi: 10.1073/pnas.1201345109

Kontakt:
Prof. Dr. Lorenz Cederbaum
Physikalisch-Chemisches Institut
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