Magnetische Fingerabdrücke von supraflüssigem<br> Helium-3

PTB-SQUID-Sensorchip (3 mm x 3 mm) auf einem Chipträger. Die SQUID-Chips werden ähnlich wie Computerchips in der Halbleiterindustrie hergestellt. (Abb.: PTB)<br>

Tieftemperatur-Spezialisten der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) haben mit ihren SQUIDs dazu beigetragen, dass die magnetischen Momente von Atomen des seltenen Isotopes 3He (Helium-3) extrem empfindlich gemessen werden konnten. Mithilfe dieser Sensoren wurden hochempfindliche Kernresonanzspektrometer entwickelt, die jetzt tiefe Einblicke in den Zustand der Materie bei extrem tiefen Temperaturen lieferten.

Konkret sperrte die internationale Forschergruppe aus London, Ithaca (USA) und dem PTB-Institut Berlin das Helium-3 als extrem dünnen – quasi zweidimensionalen – Flüssigkeitsfilm ein. Dann konnten die Wissenschaftler mithilfe ihrer hochempfindlichen Messgeräte die Eigenschaften der Supraflüssigkeit genauer als je zuvor messen. Damit ist ihnen ein wichtiger Schritt zum Verständnis der einzigartigen Quantenflüssigkeit Helium-3 und ihrer supraflüssigen Eigenschaften gelungen. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Science veröffentlicht.

Die SQUIDs der PTB sind weltweit spitze. Diese supraleitenden Quanteninterferenzdetektoren sind die empfindlichsten Sensoren, die es gibt, um extrem schwache magnetische Signale zu erfassen. Sie sind bereits Standard, um etwa in der biomedizinischen Messtechnik die Magnetfelder des menschlichen Gehirns oder des Herzens zu untersuchen. Aktueller noch ist ihr Einsatz zusammen mit anderen supraleitenden Detektoren, um extrem empfindlich Strahlung zu messen oder sogar einzelne Photonen zu detektieren (siehe auch Nature 497, 227–230, 9. Mai 2013). Ein ebenso wichtiges Einsatzgebiet ist dasjenige der aktuellen Studie: Seit Mitte der 90er Jahre spielen PTB-SQUIDs eine zentrale Rolle bei einer Kooperation zwischen Wissenschaftlern der Royal Holloway University London mit der Kryosensorgruppe der PTB. Dabei entstanden besonders empfindliche Kernresonanzspektrometer für Experimente bei ultratiefen Temperaturen, um damit immer tiefere Einblicke in den Zustand der Materie bei diesen Extrembedingungen zu gewinnen. Unter anderem geht es den Forschern um die Untersuchung von Helium-3, einer einzigartigen Quantenflüssigkeit.

Helium-3 ist die viel seltenere Schwester von Helium-4, das man beispielsweise benötigt, um die Spulen von Magnetresonanztomografen auf Arbeitstemperatur zu bringen. Sie müssen dazu supraleitend werden, was erst bei der Temperatur des flüssigen Helium-4 von -269 °C (4 K), also ca. 4 °C über dem absoluten Nullpunkt, gelingt. Will man noch tiefer in Richtung des absoluten Nullpunkts vorstoßen, braucht man Helium-3, das in der Natur 10 000-mal seltener als Helium-4 vorkommt und für technische Zwecke künstlich in Kernreaktoren hergestellt werden muss. Und nur mit einer Mischung aus den beiden Helium-Isotopen sowie spezieller, ausgeklügelter magnetischer Kühltechnik kann man Materieproben bis auf wenige millionstel Kelvin über dem absoluten Nullpunkt abkühlen und dann mit diesen Materialien experimentieren.

Klar, dass es den Wissenschaftlern am Herzen liegt, ihr einzigartiges Kühlmittel möglichst gut kennenzulernen. Helium-4 und Helium-3 sind faszinierende Substanzen, denn sie werden bei sehr tiefen Temperaturen supraflüssig, können also ohne Reibungswiderstand fließen. Allerdings unterscheiden sich die Supraflüssigkeiten der beiden Isotope aus quantenmechanischer Sicht sehr stark, denn Helium-4 Atome sind Bosonen, Helium-3 Atome dagegen Fermionen. In Letzteren bildet sich die Supraflüssigkeit, indem sich immer zwei Atome über eine magnetische Wechselwirkung zu einem Pärchen zusammenfinden. Diese magnetischen Eigenschaften bestimmen also ganz entscheidend die Eigenschaften der Supraflüssigkeit.
Physiker des Tieftemperaturlabors der Londoner Royal Holloway University in Kooperation mit einer Gruppe der Cornell University Ithaca, USA, befassen sich mit der detaillierten Untersuchung dieser Supraflüssigkeiten unter extremen Bedingungen. Richtig spannend wird es für die Physiker, wenn man die Flüssigkeit bei extrem tiefen Temperaturen unterhalb von einem tausendstel Grad über dem absoluten Nullpunkt in dünne Käfige von nur einigen hundert Nanometern Dicke (also ca. 50- bis 100-mal dünner als ein menschliches Haar) unter Druck einsperrt. Dann wird das Verhalten der Helium-3-Atome bzw. der Pärchen, die die Supraflüssigkeit ausmachen, stark von dieser Bewegungseinschränkung in einer Dimension beeinflusst. Insbesondere die Reflexionen der Atome am Boden und an der Decke des Käfigs haben großen Einfluss auf deren Eigenschaften – ähnlich wie ein abgeschossener Fußball an einer glatten oder unebenen Wand mehr oder weniger vorausschaubar abprallt. Von den Bedingungen, die in dieser ultrakalten Flüssigkeitslamelle herrschen, erhoffen sich die Physiker auch die Möglichkeit, spezielle Anregungen, z. B. mit dem Charakter sogenannter Majorana-Fermionen (Teilchen, die ihr eigenes Antiteilchen sind), nachweisen und untersuchen zu können.

Das große Problem bei derartigen Experimenten ist die Messung der Eigenschaften der extrem dünnen Helium-3-Flüssigkeitslamelle. Da hier die Wechselwirkungen der magnetischen Momente der Atomkerne von Helium-3 eine entscheidende Rolle spielen, benutzt man die sogenannte Magnetische Kernresonanzspektroskopie, eine Technik, die in ähnlicher Weise auch bei den medizinischen Magnetresonanztomografen eingesetzt wird. Nur geht es bei den Messungen an Helium-3 um ungleich schwächere Signale und extreme Temperaturbereiche. Die gemessenen Spektren sind charakteristische Fingerabdrücke der Zustände der Helium-3-Atome, aus denen sich die gewünschten Eigenschaften der Flüssigkeit herauslesen lassen. Was man braucht, sind extrem empfindliche Magnetfelddetektoren, die in derartigen Versuchsanordnungen zuverlässig funktionieren. Und hier kamen die SQUIDs ins Spiel, die Physiker und Ingenieure der PTB seit mehr als zwei Jahrzehnten entwickeln. Die PTB-SQUID-Sensorik wurde an der Royal Holloway University in den Versuchsaufbau integriert, mit dem schließlich die Eigenschaften von Helium-3-Flüssigkeitslamellen gemessen wurden. Die Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt zum Verständnis dieser einzigartigen Quantenflüssigkeit. Die Wissenschaftlergruppen arbeiten derzeit bereits an verbesserten Sensoranordnungen, mit denen sie in Zukunft die Substanzen ortsabhängig untersuchen können. Die Arbeiten wurden u. a. im Rahmen der Forschungskooperation „European Microkelvin Collaboration“ von der EU gefördert.
(es/ptb)

Ansprechpartner
Dr. Thomas Schurig, PTB-Fachbereich 7.2 Kryophysik und Spektrometrie,
Telefon: (030)-3481-7290, E-Mail: thomas.schurig@ptb.de

Die wissenschaftliche Veröffentlichung:
L. V. Levitin, R. G. Bennett, A. Casey, B. Cowan, J. Saunders, D. Drung, Th. Schurig, and J. M. Parpia: Phase Diagram of the Topological Superfluid 3He Confined in a Nanoscale Slab Geometry. Science 17 May 2013: 841-844. [DOI:10.1126/science.1233621]
http://www.sciencemag.org/content/340/6134/841.abstract?sid=0eb0832b-ef46-4287-9b64-0567787cbe74

Media Contact

Erika Schow PTB

Weitere Informationen:

http://www.ptb.de

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