Gekrümmte Raumzeit im Labor

Künstlerische Darstellung eines gekrümmten Raums am Beispiel des Heidelberger Experiments. Um die Raumzeit des Universums zu krümmen, werden riesige Massen oder Energien benötigt. Für die effektive Raumzeit, erzeugt durch ein Bose-Einstein Kondensat, manipulierte das Forschungsteam hingegen nur die Dichteverteilung des Kondensats. Zusätzlich wurde durch Einstellung der Wechselwirkung zwischen den Atomen Expansion simuliert. | © Celia Viermann

Wissenschaftler simulieren in ultrakalten Quantengasen eine ganze Familie von Universen mit Krümmung.

Raum und Zeit sind nach Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie untrennbar miteinander verbunden. In unserem Universum – es ist kaum messbar gekrümmt – ist die Struktur dieser Raumzeit vorgegeben. Wissenschaftlern der Universität Heidelberg ist es nun gelungen, in einem Laborexperiment eine effektive Raumzeit zu realisieren, die sich manipulieren lässt. In ihrer Forschung an ultrakalten Quantengasen konnten sie so eine ganze Familie gekrümmter Universen simulieren, um verschiedene kosmologische Szenarien zu untersuchen und mit den Vorhersagen eines quantenfeldtheoretischen Modells zu vergleichen. Die Forschungsergebnisse wurden in „Nature“ veröffentlicht.

Die Entstehung von Raum und Zeit auf kosmischen Zeitskalen vom Urknall bis in die Gegenwart ist Gegenstand aktueller Forschung, die sich jedoch nur auf die Beobachtung unseres einen Universums berufen kann. Wesentlicher Bestandteil kosmologischer Modelle sind die Expansion und Krümmung des Raumes. In einem flachen Raum wie unserem heutigen Universum ist die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten immer eine Gerade. „Es ist allerdings denkbar, dass unser Universum in seiner Anfangsphase gekrümmt war. Die Folgen einer gekrümmten Raumzeit zu untersuchen ist daher eine drängende Forschungsfrage“, sagt Prof. Dr. Markus Oberthaler, Wissenschaftler am Kirchhoff-Institut für Physik der Universität Heidelberg. Mit seiner Forschungsgruppe „Synthetische Quantensysteme“ hat er dafür einen Quantenfeldsimulator entwickelt.

Der im Labor realisierte Quantenfeldsimulator besteht aus einer Wolke von Kalium-Atomen, die bis auf einige Nanokelvin über dem absoluten Temperaturnullpunkt abgekühlt wurde. Dabei entsteht ein Bose-Einstein-Kondensat – ein spezieller quantenmechanischer Zustand des atomaren Gases, der bei sehr kalten Temperaturen erreicht wird. Wie Prof. Oberthaler erläutert, wirkt das Bose-Einstein-Kondensat als idealer Hintergrund, auf dem kleinste Anregungen, das heißt Änderungen des Energiezustandes der Atome, sichtbar werden. Die Form der Atomwolke bestimmt dabei die Dimensionalität und die Eigenschaften der Raumzeit, auf der sich diese Anregungen wellenartig bewegen. Im Universum sind es drei Dimensionen des Raumes und eine vierte – die der Zeit.

In dem Experiment der Heidelberger Physikerinnen und Physiker sind die Atome in einer dünnen Schicht gefangen. So können sich Anregungen nur in zwei Raumrichtungen ausbreiten – der Raum ist zweidimensional. Gleichzeitig lässt sich die Atomwolke in den verbleibenden zwei Dimensionen fast beliebig formen, womit es möglich ist, auch gekrümmte Raumzeiten zu realisieren. Die Wechselwirkung zwischen den Atomen kann durch ein Magnetfeld präzise eingestellt werden, wodurch sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit der wellenartigen Anregungen auf dem Bose-Einstein-Kondensat ändert.

„Für die Wellen auf dem Kondensat ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit abhängig von der Dichte und der Wechselwirkung der Atome. Das gibt uns die Möglichkeit, Bedingungen wie in einem expandierenden Universum zu schaffen“, erklärt Prof. Dr. Stefan Flörchinger, zuvor Wissenschaftler an der Universität Heidelberg und seit Anfang dieses Jahres an der Universität Jena. Er hat das quantenfeldtheoretische Modell ausgearbeitet, mit dem die experimentellen Ergebnisse quantitativ abgeglichen wurden.

Mit dem Quantenfeldsimulator können kosmische Phänomene, beispielsweise die Produktion von Teilchen aufgrund der Expansion des Raumes, und die Raumzeitkrümmung selbst messbar gemacht werden. „Kosmologische Fragestellungen laufen normalerweise auf unvorstellbar großen Skalen ab. Diese ganz konkret im Labor untersuchen zu können, eröffnet ganz neue Möglichkeiten der Forschung, indem wir neue theoretische Modelle experimentell testen können“, sagt Celia Viermann, die Erstautorin der „Nature“-Veröffentlichung ist. „Das Wechselspiel von gekrümmter Raumzeit und quantenmechanischen Zuständen im Labor zu erforschen, wird uns noch einige Zeit beschäftigen“, so Markus Oberthaler, der mit seiner Forschungsgruppe Mitglied im Exzellenzcluster STRUCTURES der Ruperto Carola ist.

Die Arbeiten wurden im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1225 „Isolierte Quantensysteme und Universalität unter extremen Bedingungen“ (ISOQUANT) der Universität Heidelberg durchgeführt.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Markus Oberthaler
Kirchhoff-Institut für Physik
Telefon (06221) 54-5170
markus.oberthaler@kip.uni-heidelberg.de

Originalpublikation:

C. Viermann, M. Sparn, N. Liebster, M. Hans, E. Kath, Á. Parra-López, M. Tolosa-Simeón, N. Sánchez-Kuntz, T. Haas, H. Strobel, S. Stefan Flörchinger, M.K. Oberthaler: Quantum field simulator for dynamics in curved spacetime. Nature (9 November), doi: 10.1038/s41586-022-05313-9

Weitere Informationen:

http://www.kip.uni-heidelberg.de/synqs – Forschungsgruppe Oberthaler
http://www.structures.uni-heidelberg.de/index.php – Exzellenzcluster STRUCTURES
http://www.isoquant-heidelberg.de – Sonderforschungsbereich ISOQUANT
http://www.uni-heidelberg.de/de/newsroom/gekruemmte-raumzeit-im-labor – Pressemitteilung im Newsroom der Universität Heidelberg

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