Exotische Wellen: Interdisziplinäre Studie in Nature Communications

Prof. Dr. Malte Peter mit dem Rost, mit dem die Forschenden ihre Vorhersagen getestet haben. Bildnachweis: Gregory Chaplain, Universität Exeter
Rayleigh-Bloch-Wellen können enorme Energien freisetzen, die unter Umständen technische Anlagen schädigen. Sie existieren nur unterhalb einer genau definierten Grenzfrequenz; darüber verschwinden sie abrupt. Es gibt vereinzelte hohe Frequenzen, bei denen sie sich ebenfalls nachweisen lassen. Mathematiker der Universitäten Augsburg und Adelaide haben für dieses Phänomen kürzlich eine Erklärung vorgeschlagen. Zusammen mit Forschenden der Universität Exeter konnten sie nun experimentell nachweisen, dass ihre These tatsächlich stimmt. Die Ergebnisse verbessern das Verständnis der exotischen Wellen, die aufgrund ihrer Eigenschaften auch für technische Anwendungen von Interesse sein könnten.
Mal angenommen, Sie hätten einen gigantischen Grillrost, auf dem problemlos einige hundert Nürnberger Platz fänden. Dann könnten Sie ihn nicht nur nutzen, um die gesamte Schule Ihrer Kinder zum Barbecue einzuladen. Die zahlreichen parallel zueinander ausgerichteten Edelstahl-Streben eignen sich nämlich auch ganz hervorragend, um Rayleigh-Bloch-Wellen zu erzeugen.
Bei ihnen handelt es sich um Schwingungen, die sich von Strebenzwischenraum zu -zwischenraum ausbreiten und währenddessen keine Energie verlieren. Oberhalb oder unterhalb des Rosts klingen sie dagegen rasch ab. „Dabei ist es prinzipiell egal, ob es sich um Schall-, Licht- oder Wasserwellen handelt“, erklärt Prof. Dr. Malte Peter vom Institut für Mathematik der Universität Augsburg. „Um zu entstehen, benötigen sie aber stets einen Rost aus möglichst vielen regelmäßig wiederkehrenden Streben, an denen sie sich gewissermaßen entlang hangeln können.“
Auf die Frequenz kommt es an
Rayleigh-Bloch-Wellen sind unter anderem deshalb gefürchtet, weil sie sehr große Energien freisetzen können. Werden etwa im Meer in regelmäßigem Abstand Pylone im Boden verankert, besteht theoretisch die Gefahr, dass diese durch die Wellen zerstört werden. Allerdings sind manche Aspekte ihrer Entstehung bislang erst unzureichend verstanden. „So wissen wir beispielsweise, dass nur Schwingungen mit einer niedrigen Frequenz Rayleigh-Bloch-Wellen erzeugen können“, sagt Peter. „Oberhalb einer bestimmten Grenzfrequenz verschwinden sie abrupt. Interessanterweise gibt es aber vereinzelte hohe Frequenzen, bei denen sie sich dann wieder nachweisen lassen. Lange Zeit wusste man nicht, was der Zusammenhang ist und wohin sie bei den Frequenzen dazwischen verschwinden.“
Zusammen mit seinem Kollegen Prof. Dr. Luke Bennetts von der Universität Adelaide hat der Augsburger Wissenschaftler sich vor einigen Jahren daran gemacht, dieses Rätsel zu knacken. Damals gelang es den beiden, die Rayleigh-Bloch-Wellen mathematisch zu charakterisieren. Demnach verwandeln sie sich oberhalb der Grenzfrequenz in eine Art Phantom. In der Sprache der Mathematik ausgedrückt, lässt sich der Abstand zweier Wellenkämme zueinander dann plötzlich nur noch mit Hilfe imaginärer Zahlen berechnen (als imaginär bezeichnet man Zahlen, die – wenn man sie mit sich selbst multipliziert – einen negativen Wert ergeben; normalerweise sind Quadratzahlen dagegen immer positiv).

Allerdings gibt es Frequenzen oberhalb der Grenzfrequenz, bei denen dieser imaginäre Anteil sehr klein wird. Und genau in diesen Fällen lassen sich die Rayleigh-Bloch-Wellen dann plötzlich wieder nachweisen. „Bislang wussten wir aber nicht, ob sich dieses Phänomen nur in unseren Formeln zeigt oder auch in der Realität auftritt“, erklärt Peter. Mit der aktuellen Studie hat sich das nun geändert: Darin weisen Forschende der Universität Exeter nach, dass Bennetts und Peters Berechnungen wohl korrekt sind. Sie nutzten dazu eine Art riesigen Grillrost, bei dem sie auf einer Seitenstrebe einen kleinen Lautsprecher angebracht hatten. Dieser erzeugte Töne in verschiedenen Frequenzen. Mit einem Mikrofon untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun, wie sich die Schallwellen entlang des Rosts ausbreiteten.
Theoretische Vorhersage experimentell bestätigt
Dabei zeigte sich unterhalb einer bestimmten Tonhöhe das charakteristische Rayleigh-Bloch-Verhalten: Direkt um die Streben war die Lautstärke sehr hoch, oberhalb und unterhalb der Rost-Ebene nahm sie dagegen abrupt ab. Sobald die Grenzfrequenz überschritten wurde, verschwanden die Rayleigh-Bloch-Wellen jedoch. Genau in den Frequenzbereichen, die die Formeln von Bennetts und Peter vorhergesagt hatten, waren sie dann aber plötzlich wieder nachweisbar. Allerdings „schmiegten“ sie sich dann nicht mehr so eng an die Streben, sondern breiteten sich auch etwas vertikal zur Rostebene aus. „Wir interpretieren das als Einfluss ihres imaginären Anteils, der bei diesen Frequenzen zwar sehr klein ist, aber immer noch vorhanden“, sagt Peter.
Die Ergebnisse verbessern das Verständnis der exotischen Wellen und erlauben damit auch eine bessere Einschätzung, unter welchen Bedingungen sie eventuell gefährlich werden können. Sie ermöglichen es aber auch, Antennen zu designen, mit denen sich die Rayleigh-Bloch-Wellen optimal weiterleiten lassen. Möglicherweise lassen sich die Wellen dadurch in Zukunft beispielsweise zu Kommunikationszwecken nutzen, um Signale ähnlich wie mit einem Glasfaser-Kabel verlustarm weiterzusenden.
Contact for scientific information
Professor Dr. Malte A. PeterInstitut für Mathematik
Universität Augsburg
Telefon: +49 821 598 -5473
E-Mail: malte.peter@math.uni-augsburg.de
Original publication
G. J. Chaplain, S. C. Hawkins, M. A. Peter, L. G. Bennetts & T. A. Starkey
Fachzeitschrift: Communications Physics
Titel des Artikels: Acoustic lattice resonances and generalised Rayleigh–Bloch waves
Veröffentlichungsdatum des Artikels: 24 January 2025
DOI: https://doi.org/10.1038/s42005-025-01950-4
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Source: IDW
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