Ein Zusammenhang zwischen Entropieerzeugung und Topologie

Die Fluktuationen in der Entropieproduktion, die mit der Bewegung kleiner Teilchen in einer Strömung in der Nähe eines Wirbels verbunden sind, sind topologisch geschützt: Sie hängen nur von der Anzahl der Windungen um den Wirbel ab, sind aber unabhängig von der Form und Größe ihres Verlaufes.
© MPI-DS, LMP

Die Abteilung Physik Lebender Materie des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation (MPI-DS) hat einen Zusammenhang zwischen der Erzeugung von Entropie und den topologischen Eigenschaften eines Systems entdeckt. In ihrer Studie, die kürzlich in Nature Communications veröffentlicht wurde, untersuchten die Wissenschaftler*innen die zufällige Bewegung von Teilchen in Wirbelströmen. Sie fanden heraus, dass sich die Fluktuationen bei der Entropieerzeugung nur anhand der Anzahl der Windungen um den Wirbel, unabhängig von der Form oder Größe der Bewegungsbahn charakterisieren lassen. Diese Erkenntnisse könnten zu einem besseren Verständnis mikroskopischer Systeme beitragen.

Einer der grundlegenden Lehrsätze der Physik ist der zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Dieser besagt, dass der Grad der Unordnung in einem System, die so genannte Entropie, mit der Zeit immer weiter zunimmt. In der Praxis lässt sich dies anhand eines Tintentropfens veranschaulichen, der in ein Wasserglas gegeben wird: Er verteilt sich im ganzen Glas und erhöht damit die Gesamtentropie. Eine Neubildung des Tintentropfens – und damit eine Erhöhung der Ordnung und eine Verringerung der Entropie im System – findet in der Praxis nicht statt.

Entropieschwankungen finden im Mikromaßstab statt

Bei der mathematischen Beschreibung eines solchen Systems bleibt jedoch eine äußerst geringe Wahrscheinlichkeit, dass die Ordnung aufgrund spontaner Fluktuationen in das System zurückkehrt. Während dies in makroskopischen Systemen kaum zu beobachten ist, können solche Fluktuationen auf der mikroskopischen Skala eine wichtige Rolle für das Gesamtverhalten eines Systems spielen.

In ihrer aktuellen Studie untersuchten die Wissenschaftler der Abteilung Physik der lebenden Materie geschlossene Bahnverläufe um einen Wirbel. „Wenn ein Teilchen in die Strömung eines Wirbels entlassen wird, folgt es naturgemäß der Strömung“, erklärt Benoît Mahault, Erstautor der Studie und Gruppenleiter am MPI-DS. „Aufgrund der dem Medium innewohnenden Fluktuationen besteht jedoch auch eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass sich das Teilchen gegen die Strömung bewegt. Insgesamt führen die beiden gegenläufigen Bewegungen zu einer Nettobewegung entlang der Strömung, aber statistisch gesehen können beide Komponenten der Bewegung beobachtet werden“, fährt er fort.

Bei starken Strömungen spielt die Bewegung gegen die Strömung natürlich nur eine geringe Rolle. Daher ist dieses Modell vor allem für sehr kleine Ströme auf mikroskopischer Ebene relevant. Hier herrscht ein höheres Grundrauschen in den Bewegungsmustern, beispielsweise bei molekularen Motoren oder Transportmechanismen.

Verknüpfung von Fluktuationen in der Entropieproduktion und Topologie

Bei der Beobachtung eines Teilchens, das einem Wirbel in einer geschlossenen Schleife folgt, machten die Forscher eine interessante Entdeckung: Sie stellten fest, dass die mit seiner Flugbahn verbundene Entropieänderung unabhängig von der Größe und Form der Schleife ist. Mit anderen Worten: Ein Teilchen, das sich in einem großen oder deformierten Kreis um den Wirbel bewegt, erzeugt die gleiche Menge an Entropie oder Wärme wie ein Teilchen in einem kleinen, geschlossenen Kreis. Die Anzahl der Umdrehungen um den Wirbel ist also der einzige Faktor, der die Fluktuationen bestimmt.

In der Mathematik wird dieses Phänomen als topologischer Schutz bezeichnet. Es ist bekannt, dass die Topologie sowohl in der Biologie als auch in der Quantenmechanik eine wichtige Rolle spielt, aber bisher wurde sie noch nie mit stark fluktuierenden Systemen in Verbindung gebracht. Grundsätzlich gilt: Wenn zwei Formen in eine andere umgewandelt werden können, ohne neue Brüche oder Verbindungen einzuführen, haben sie die gleiche Topologie. So hat beispielsweise der Buchstabe o die gleiche Topologie wie die Buchstaben D und O; die Buchstaben I, C und U besitzen hingegen eine andere Topologie.

„Die Verbindung zwischen der makroskopischen topologischen Eigenschaft und den Fluktuationen in der Entropieproduktion, die zu einer Quantisierung der Wärme führt, ist die Schlüsselerkenntnis unserer Studie“, betont Ramin Golestanian, Hauptautor der Studie und geschäftsführender Direktor des MPI-DS. „Die Aufdeckung dieses fundamentalen Zusammenhangs kann wertvolle Erkenntnisse zum Verständnis der Geheimnisse der Nicht-Gleichgewichtsphysik im Mikrokosmos liefern“, schließt er.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Ramin Golestanian

Originalpublikation:

https://www.nature.com/articles/s41467-022-30644-6

https://www.ds.mpg.de/3938035/220608_topology

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Dr. Manuel Maidorn Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation

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