Damit das Sonnenfeuer nicht erstickt

Der Plasmagenerator PSI-2 hat in Jülich seinen Betrieb aufgenommen. Das drei Tonnen schwere und eine Million Euro teure Gerät wird helfen, Materialien zu finden, die ab dem Jahr 2035 als Wandelemente den Dauerbetrieb in einem Fusionskraftwerk aushalten können. Dazu müssen diese rund um die Uhr der enormen Wärmebelastung durch die 100 Millionen Grad heiße Fusionsmaterie im Inneren der Brennkammer und dem Beschuss mit Neutronen standhalten.

„Wir haben unser Experiment PSI-2 während des letzten Dreivierteljahres aufgebaut und jetzt das erste Plasma erzeugt“, sagt Prof. Bernhard Unterberg vom Jülicher Institut für Energie- und Klimaforschung. Er und sein Team untersuchen die Wechselwirkung des heißen Plasmagases mit den umgebenden Oberflächen, auf englisch plasma-surface interaction, oder kurz PSI. Nur bei Plasmatemperaturen von etwa 100 Millionen Grad verschmelzen die Atomkerne optimal und setzen Energie frei. Nach dem gleichen Prinzip erzeugt auch unsere Sonne ihre Energie.

Für die Wände eines Fusionskraftwerks wären diese hohen Brenntemperaturen eigentlich kein Problem. Denn ein eigens dafür ausgelegter Magnetfeldkäfig ist in der Lage, den ungewollten Kontakt des Plasmas mit der gesamten Innenwand zu verhindern. Doch in Fusionskraftwerken ist ein kontrollierter Kontakt des Plasmas mit der Kammerwand gewollt und sogar notwendig. „Die Heliumkerne, die bei der Fusion der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium entstehen, wirken auf den Fortgang der Fusion wie das Verbrennungsprodukt Kohlendioxid auf eine Kerze im abgedeckten Glas: Wenn wir das Helium nicht rasch genug entfernen, erstickt die Fusion“, erklärt Dr. Ralph Schorn vom Jülicher Institut für Energie- und Klimaforschung. Deshalb wird das schützende Magnetfeld an bestimmten Stellen – den Divertoren – kontrolliert geöffnet und das Helium abgepumpt. Diese Stellen der Wand sind kontinuierlich einem hohen Wärme- und Teilchenfluss ausgesetzt, der Material aus der Wand herausschlägt. „Dieses kann in das Plasma gelangen und schlimmstenfalls die Fusion beenden. Außerdem wird die Wand dünner, was natürlich ihre Lebensdauer begrenzt und damit auch in die Wirtschaftlichkeit späterer Kraftwerke eingeht“, sagt Unterberg.

Trotz ausführlicher Untersuchungen der Wandschädigung an der Jülicher Experimentalplattform TEXTOR gibt es bisher keine Daten über das Verhalten der Wand im Fusionsdauerbetrieb unter den realen Bedingungen von Kraftwerken. Zwar nimmt das internationale Fusionsexperiment ITER im Jahre 2019 seinen Betrieb auf. Doch anders als später in „richtigen“ Kernfusionskraftwerken wird es in ITER keinen Dauerbetrieb geben. Die Kernfusion wird jeweils nur für einige Minuten gezündet. Deshalb beginnt das Forschungszentrum Jülich nun mit der Untersuchung der Auswirkungen, die der Dauerbetrieb auf die Wände der Fusionskraftwerke ab dem Jahre 2035 haben wird. „Dass wir schon jetzt damit anfangen, ist zwingend notwendig, um die Erkenntnisse rechtzeitig vorliegen zu haben“, sagt Unterberg. „Denn für viele Entwicklungen benötigen wir eine lange Vorlaufzeit.“

Im jetzt begonnenen Pilotexperiment PSI-2 wird Plasma auf eine Probe des Wandmaterials „geschossen“. Mit Hilfe von Laserlicht wird dann analysiert, welche Materialien in das Plasma gelangen und die Fusion zu behindern drohen. Anders als bei den auf die Energieerzeugung zielenden Reaktorkonzepten, in denen die Kernfusion nur aufrechterhalten werden kann, wenn das Plasma von Magnetfeldern auf eine Ringbahn gezwungen wird, bewegt sich das Plasma im PSI-2 im Wesentlichen nur geradeaus, was die Analyse vereinfacht. Kernfusion findet hier nicht statt.

Die nächste Projektphase JULE-PSI ab dem Jahre 2015 planen die Forscher schon jetzt, denn es fehlt noch ein sehr wichtiger Aspekt: Die Wand im Fusionskraftwerk wird fortwährend mit Neutronen bestrahlt. Diese Neutronen entstehen bei der Kernfusion und tragen 80 Prozent der erzeugten Energie aus dem Plasma hinaus. „In den Wänden und in speziellen Materialien außerhalb der Brennkammer werden die Neutronen abgebremst und erwärmen dadurch das Material. Über einen Kühlkreislauf kann man die Wärme dann zur Dampferzeugung nutzen und eine Turbine zur Stromerzeugung antreiben“, erklärt Unterberg.

Der springende Punkt ist, so Unterberg: „Die Neutronen verändern die Materialeigenschaften der Wand, etwa die Struktur des Kristallgitters.“ Mit dem Nachfolgeexperiment JULE-PSI werden die Jülicher Forscher erstmals vorweg mit Neutronen bestrahlte Wandproben im Plasmadauerbetrieb untersuchen, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welchen Einfluss die Neutronenbestrahlung auf die Wandeigenschaften hat. Das Pilotexperiment PSI-2 dient auch dazu, die späteren Abläufe bei JULE-PSI zu erproben und geeignete Standards zu entwickeln. Da das Wandmaterial durch den Neutronenbeschuss unter anderem auch radioaktiv wird, muss es in Speziallabors untersucht werden, wie es sie nur an wenigen Forschungsstätten weltweit gibt. „Gepaart mit unserem Know-how in der Materialforschung und der Plasma-Wand-Wechselwirkung sind wir für diese Untersuchungen prädestiniert. Es gibt bisher weltweit kaum eine andere Forschungseinrichtung, die das auf diesem Niveau kann. Deshalb hat das Forschungszentrum Jülich diese innerhalb der europäischen Fusionsforschung als wichtig identifizierte Aufgabe übernommen“, sagt Schorn.

Daten und Fakten zu PSI-2:
Elektrische Anschlussleistung: 350 Kilowatt
Plasmatemperatur: bis zu 200.000 Grad
Länge: 7 Meter
Gewicht: rund 3,3 Tonnen
Kosten: eine Millionen Euro für den Aufbau
Technisches Personal: 10 Mitarbeiter
Wärmeleistung des Plasmas auf die Wand: ein Megawatt pro Quadratmeter
Plasmateilchenstrom: 100 Trilliarden (10^23) Teilchen pro Quadratmeter und Sekunde

Neutralgasdruck: etwa ein Zehnmillionstel des Atmosphärendrucks

Informationen zur Fusionsforschung im Jülicher Institut für Energie- und Klimaforschung:

http://www.fz-juelich.de/fusion

Pressekontakt:
Kosta Schinarakis, Tel.: 02461 61 4771, k.schinarakis@fz-juelich.de
Erhard Zeiss, Tel.: 02461 61 1841, e.zeiss@fz-juelich.de
Das Forschungszentrum Jülich…
… betreibt interdisziplinäre Spitzenforschung, stellt sich drängenden Fragen der Gegenwart und entwickelt gleichzeitig Schlüsseltechnologien für morgen. Hierbei konzentriert sich die Forschung auf die Bereiche Gesundheit, Energie und Umwelt sowie Informationstechnologie. Einzigartige Expertise und Infrastruktur in der Physik, den Materialwissenschaften, der Nanotechnologie und im Supercomputing prägen die Zusammenarbeit der Forscherinnen und Forscher. Mit rund 4 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehört Jülich, Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, zu den großen Forschungszentren Europas.

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Kosta Schinarakis Forschungszentrum Juelich

Weitere Informationen:

http://www.fz-juelich.de/fusion

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