ITER-Organisation wird gegründet

Paraphierung des Gründungsvertrags am 24. Mai in Brüssel / internationaler Fusionstestreaktor


Den Vertrag zur Gründung der für den Bau und Betrieb des internationalen Fusionstestreaktors verantwortlichen ITER-Organisation werden am kommenden Mittwoch, den 24. Mai 2006, die Vertreter der sieben ITER-Partner in Brüssel paraphieren. Bevor der Vertrag in Kraft tritt, muss er noch durch die Regierungen der Partner – Europa, Japan, Russland, die USA, China, Indien und Südkorea – ratifiziert werden, was voraussichtlich bis Jahresende geschehen sein wird. Der Experimentalreaktor ITER (lat.: „der Weg“), der in Cadarache in Südfrankreich entstehen soll, ist der nächste große Schritt der weltweiten Fusionsforschung. Er soll zeigen, dass ein Energie lieferndes Fusionsfeuer unter kraftwerksähnlichen Bedingungen möglich ist.

„Wir freuen uns sehr, wenn die seit November 2001 laufenden ITER-Verhandlungen am Mittwoch endlich abgeschlossen sein werden,“ erklärt Prof. Dr. Alexander Bradshaw, der wissenschaftliche Direktor des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) in Garching und Greifswald: „Die Bauvorbereitungen für ITER können so im nächsten Jahr beginnen. Das erste Plasma ist dann etwa im Jahr 2017 zu erwarten. In der Zwischenzeit bedeutet ITER zahlreiche Aufträge an die europäische und damit auch an die deutsche Industrie. Ebenso können die deutschen Fusionsforschungseinrichtungen in Garching/Greifswald, Jülich und Karlsruhe Aufträge erwarten.“ Das IPP, eines der größten Fusionszentren in Europa, arbeitet mit seinem Experiment ASDEX Upgrade seit Jahren an ITER-relevanten Fragen. Die physikalischen Grundlagen für den Testreaktor wurden in wesentlichen Teilen im IPP entwickelt. Mit seiner ITER-ähnlichen Geometrie wird ASDEX Upgrade auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, zum Beispiel bei der Suche nach optimierten Betriebsweisen für den Testreaktor. Daneben entwickelt das IPP Teile der Plasmaheizung von ITER sowie Analyseverfahren für das Plasma.

ITER wurde seit 1988 in weltweiter Zusammenarbeit von europäischen, japanischen, russischen und bis 1997 auch US-amerikanischen Fusionsforschern vorbereitet. 2003 schlossen sich dem Projekt China und Südkorea an; auch die USA kehrten in die Zusammenarbeit zurück. 2005 kam als siebter Partner Indien hinzu. Mit einer Fusionsleistung von 500 Megawatt soll ITER erstmals ein brennendes und Energie lieferndes Plasma erzeugen. Angestrebt wird ein Energiegewinnungsfaktor von mindestens 10: Das Zehnfache der zur Plasmaheizung aufgewandten Energie soll als Fusionsenergie gewonnen werden. Nach einer Bauzeit von etwa zehn Jahren werden rund 600 Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker rund zwanzig Jahre an der Anlage arbeiten. Die Baukosten wurden auf rund 4,6 Milliarden Euro, die Betriebskosten – einschließlich Rücklagen für den späteren Abbau – auf jährlich 265 Millionen Euro veranschlagt. Der Gastgeber Europa übernimmt rund 45 Prozent der Baukosten; die verbleibende Summe teilen sich die anderen sechs Partner. Die Beiträge werden im wesentlichen in Form fertiger Bauteile geliefert, die in den jeweiligen Ländern hergestellt und dann nach Cadarache transportiert werden.

Hintergrund: Energiequelle Fusion

Ziel der Fusionsforschung ist es, ein Kraftwerk zu entwickeln, das – ähnlich wie die Sonne – aus der Verschmelzung von Atomkernen Energie erzeugt. Um das Fusionsfeuer zu zünden, muss der Brennstoff – ein Plasma aus den Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium – in Magnetfeldern eingeschlossen und auf hohe Temperaturen aufgeheizt werden. Ein Gramm Brennstoff könnte 90.000 Kilowattstunden Energie freisetzen, die Verbrennungswärme von elf Tonnen Kohle.

Die Rohstoffe der Fusion sind in nahezu unerschöpflichen Mengen überall vorhanden. Weil ein Kraftwerk zudem günstige Umwelt- und Sicherheitseigenschaften erwarten lässt, könnte die Fusion einen nachhaltigen Beitrag zur Energieversorgung der Zukunft leisten: Fusion ist nach heutigem Wissen eine katastrophenfreie Technik. Ein Kraftwerk kann so konstruiert werden, dass es keine Energiequellen enthält, die – wenn sie außer Kontrolle geraten – eine Sicherheitshülle von innen zerstören könnten. Es kann also nicht „durchgehen“. Als radioaktiver Abfall bleiben die Wände des Plasmagefäßes zurück, die nach Betriebsende zwischengelagert werden müssen. Die Aktivität des Abfalls nimmt rasch ab: nach etwa 100 Jahren auf ein zehntausendstel des Anfangswerts. Werden spezielle Materialien mit niedrigem Aktivierungspotential sowie effiziente Rezyklierungsverfahren entwickelt, so wäre nach hundert Jahren Abklingzeit kein Abfall mehr zu isolieren. Das gesamte Material wäre dann freigegeben bzw. in neuen Kraftwerken wieder verwendet.

Auf dem Weg zu einem Kraftwerk soll ITER zeigen, dass ein Energie lieferndes Fusionsfeuer möglich ist. Das Experiment soll damit die Voraussetzungen für eine Demonstrationsanlage DEMO schaffen, die alle Funktionen eines Kraftwerks erfüllt. Angesichts von je 30 Jahren Planungs-, Bau- und Betriebszeit für ITER und seinen Nachfolger DEMO könnte ein Fusionskraftwerk etwa in 50 Jahren wirtschaftlich nutzbare Energie liefern.

Max-Planck-Institut fuer Plasmaphysik (IPP)
Presse- und Oeffentlichkeitsarbeit
Boltzmannstraße 2
D-85748 Garching
Tel. 089-3299-1288
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