The Misfits – Über die Rolle von Skalen in der Umweltpolitik

Die Bewirtschaftung von Wasserressourcen ist eine komplexe Aufgabe mit vielfältigen Nutzungsansprüchen, für deren Steuerung Skaleneffekte wie mangelnde Passfähigkeit von natürlichen und administrativen Räumen oder Kompetenzen auf mehreren Ebenen von der Gemeinde zur EU von großer Bedeutung sind.<br>Foto: wikimedia commons/Miraculix3<br>

Woran liegt es, dass Vorgaben wie die CO2-Reduktion oder die nachhaltige Bewirtschaftung eines Flusses so schwer umzusetzen sind? Neben Uneinigkeiten über Ziele und Interessen seien auch sogenannte skalare Effekte zu beobachten, berichtet Dr. Timothy Moss vom Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS).

Im Forschungsprojekt ReScale untersucht er, wie das Handeln auf mehreren Ebenen von der Gemeinde zur EU und mangelnde Passfähigkeiten z.B.von administrativen und biophysischen Raumeinheiten die Steuerung dieser Prozesse prägen.

„Wenn man über skalare Aspekte von Umweltpolitik spricht, muss man zwei Sachverhalte unterscheiden“, erklärt Moss. „Zum einen gibt es innerhalb des politisch-administrativen Systems Akteure auf mehreren Ebenen der Steuerung, zum Beispiel lokale und regionale Akteure, Nationalregierungen und die EU-Kommission.“ Wie effektiv Maßnahmen gefunden, beschlossen und umgesetzt werden, hängt vom Zusammenspiel dieser verschiedenen Skalenebenen ab. Oft stehen dabei Kompetenzfragen im Mittelpunkt: Welche Ebene ist die richtige, um ein bestimmtes Problem anzugehen?

In der Klimapolitik spricht die globale Reichweite des Problems für „up-scaling“, in dessen Folge die Entscheidungen global und national getroffen werden. Ohne lokale Konzepte funktioniere Klimaschutz aber nicht, daher sei das Entscheidende die skalare Balance von Maßnahmen, so Moss. „Oft werden dabei Legitimation und Partizipation gegen Effektivität und damit lokale Skalen gegen globale ausgespielt.“

Ein zweiter Aspekt von Skalen in der Umweltpolitik ist aber ebenso bedeutsam. „Der Raumbezug verschiedener Steuerungsdimensionen ist selten identisch. Das heißt zum Beispiel dass das Einzugsgebiet eines Flusses nicht passfähig ist mit der administrativen Gliederung“, erläutert Moss. Will man die Bewirtschaftung eines Flusses nachhaltig gestalten, sind immer dutzende Gemeinden, Kreise und Länder involviert. Dies birgt die Gefahr, dass die Politik in ihrer jeweiligen Grenze gefangen bleibt. „Mit der Einführung der Wasserrahmenrichtlinie im Jahr 2000 gibt es eine Alternative, nämlich die Bewirtschaftung von Wasserressourcen in Flusseinzugsgebieten. Diese Steuerung nach naturräumlichen Territorien hat sehr viel bewegt, vor allem auf dem Gebiet der Kooperation von Kommunen und Ländern“, so Moss.
Zugleich sei aber nicht in Stein gemeißelt, dass ein Flusseinzugsgebiet tatsächlich die ideale Raumeinheit zur Steuerung von Wasserpolitik ist. Flusssysteme sind über Kanäle vernetzt, das Grundwasser geht sowieso eigene Wege und auch Frisch- und Abwasserleitungen halten sich nicht an diese Grenzen. Nicht zuletzt ist die Wasserwirtschaft von anderen Systemen wie dem Naturschutz, der Raumplanung oder der Landwirtschaft abhängig. „Die Verschränktheit mehrerer Steuerungsdimensionen der Umweltpolitik zeigt, wie komplex die Skalenprobleme sind. Wir haben es mit einer Ansammlung von ‚misfits‘ zu tun, die man bestmöglich ordnen und gestalten muss.“

Im Projekt ReScale hat Moss gemeinsam mit Hüesker untersucht, wie wasserwirtschaftliche Akteure die Wasserrahmenrichtlinie von 2000 umsetzen und wie sie innerhalb der Räume und Ebenen agieren. „Wir haben dabei festgestellt, dass Skalen nicht naturgegeben sind, sondern das Ergebnis knallharter Interessens- und Machtkämpfe. Jeder Akteur versucht natürlich, seine Position in der Kompetenzhierarchie zu festigen. So wählen Umweltverbände oder regionale Organisationen auch mal den direkten Weg und verhandeln mit der EU – die nationale Ebene ist dabei umgangen.“ Dies spreche dafür, vor allem skalare Konflikte und misfits zu betonen und zu untersuchen.

„Es gibt aber auch Wissenschaftler, die eine andere Brille aufhaben und sehr positivistische Perspektiven einnehmen: Wir müssen nur die richtige Konfiguration der Skalen finden, dann können wir die Probleme effizient lösen, meinen sie“. Moss und Hüesker haben daher im März 2013 gemeinsam mit Wissenschaftlern der Leuphana-Universität Lüneburg das internationale Symposium „Scale in Environmental Governance“ veranstaltet, das die verschiedenen Schulen der Erforschung skalarer Aspekte von Umweltpolitik zusammenbrachte und Fallbeispiele aus allen Teilen der Welt präsentierte. Die Forscher, zur Hälfte aus dem Ausland, berichteten von Steuerungsprozessen im Bereich Energie und Klimawandel, Forstwirtschaft, Ökosystemdienstleistungen und Luft- und Wasserqualität.

„Wissenschaftliche Dissonanzen gibt es durchaus in diesem Forschungsfeld“, berichtet Moss von der Konferenz. „Wir können es also als Erfolg verbuchen, dass wir die verschiedenen Schulen an einen Tisch gebracht und die Disziplinärideologie aufgebrochen haben. Unterschiedliche Denkansätze sind aber auch gar nicht verkehrt in dieser Frage: Man kann nicht alle Konzepte zusammenrühren und den Bauplan für eine ideale räumliche und institutionelle Konfiguration für umweltpolitische Steuerungsprozesse erhoffen.“ Stattdessen habe das Symposium dazu beitragen, den Horizont der Wissenschaftler zu erweitern und Beispiele für gut und weniger gut funktionierende skalare Konstellationen aus vielen Teilen der Welt zu identifizieren. Darauf aufbauend haben sie erörtert, wie man gute Beispiele aus der Umweltpolitik in andere Länder oder Regionen übertragen kann. Prof. Erik Swyngedouw (Universität Manchester) stellte in seinem Abschlussstatement die Aufgabe der Forschung in den Mittelpunkt, das Wissen über Skaleneffekte in der Umweltpolitik zum Entwerfen zukünftiger Steuerungsmodelle zu nutzen.

KONTAKT

Dr. Timothy Moss
Forschungsabteilung „Institutionenwandel und Regionale Gemeinschaftsgüter“
Tel. 03362/793-185
MossT@irs-net.de

Jan Zwilling
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel. 03362/793-159
zwilling@irs-net.de

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