Neues Verständnis von Aortendissektionen

Vorherrschender Spannungszustand im falschen und richtigen Lumen bei (a) diastolischem und bei (b) systolischem Blutdruck im Vergleich mit CT Aufnahmen.
© Biomech – TU Graz

Eine Aortendissektion ist eine lebensbedrohliche Aufspaltung der Aortenwand, über deren Entstehung derzeit noch wenig bekannt ist. Forschende der TU Graz entwickelten nun Algorithmen und Modelle um die Diagnose und Behandlung frühzeitig zu unterstützen.

Aortendissektionen werden in den meisten Fällen durch einen Einriss der inneren Schicht der Aortenwand, der Intima, ausgelöst. Dies hat zur Folge, dass Blut in den so entstandenen Zwischenraum strömt und ein sogenanntes „falsches Lumen“ bildet, welches die mechanische Belastung der Aortenwand grundlegend verändert. Im Verlauf der Aortendissektion kann sich das so entstandene falsche Lumen aneurysmatisch erweitern, was zum Durchreißen der Aortenwand und damit zum Tod führen kann.

Genauso aber kann es zur Bildung eines Thrombus, also eines Blutgerinnsels im falschen Lumen kommen, welcher im günstigsten Fall das falsche Lumen ausfüllt und damit schlimmere Folgen verhindern kann. Trotz der schwerwiegenden Folgen sind die Gründe für diese Erkrankung noch nicht umfassend erklärbar, und ihr Verlauf ist schwer prognostizierbar.

Seit drei Jahren arbeiten Forschende der TU Graz im fakultätsübergreifenden Leadprojekt „Mechanik, Modellierung und Simulation von Aortendissektionen“ daran, diesen Umstand zu ändern: Mittels computergestützter biomechanischer Methoden wollen sie die Entstehung und den Verlauf von Aortendissektionen besser erklärbar machen. Mittlerweile hat sich aus dem Projekt ein eigener Forschungsschwerpunkt entwickelt, der auch über die kommenden drei Jahre hinaus, für die das Projekt nun nach einem erfolgreichen Zwischenhearing verlängert wurde, Bestand haben soll.

Erfolge in der ersten Projektphase

In den bisherigen drei Projektjahren konnte das Leadprojekt-Team wichtige Erfolge aufzeigen.

Die Forschenden entwickelten unter anderem eine neue, nicht-invasive Methode, die bereits verfügbare Bildgebungsverfahren verwendet um die Diagnose von Aortendissektionen und die medizinische Überwachung zu vereinfachen. Simulationen der Strömungsdynamik von Blut haben dabei gezeigt, dass mit dieser Methode der Verlauf der Krankheit präziser vorhergesagt und der individuelle Status der Dissektion untersucht werden kann.

Darüber hinaus wurden umfangreiche mechanische Tests an menschlichem Gewebematerial durchgeführt, welche die Unterschiede in den mechanischen und strukturellen Eigenschaften von gesundem und erkranktem Gewebe aufzeigen, wie etwa die Reißfestigkeit, die Steifigkeit und die Proteinverteilung in der Aortenwand. Auf Basis dieser Erkenntnisse wurden Materialmodelle von der Aortenwand entwickelt, um mittels anspruchsvoller Computermodelle die Entstehung und den Verlauf von Aortendissektionen besser verstehen zu können. In Modellierungsversuchen ergründeten die Forschenden zudem das Entstehen von Blutgerinnsel im falschen Lumen und den Einfluss der Strömungsdynamik des Blutes auf den Verlauf von Aortendissektionen. Schlussendlich entwickelte das Leadprojekt-Team auch eine Software, die den Ausgangszustand der Aorta vor einer Dissektion rekonstruieren und so für die Prognose eingesetzt werden kann.

Pläne für die zweite Projektphase

Die nun genehmigte zweite Projektphase baut auf den vielversprechenden Ergebnissen auf. Die interdisziplinäre Gruppe möchte das Verständnis für Entstehung und Verlauf von Aortendissektionen vertiefen und u.a., basierend auf der Bayes’schen Wahrscheinlichkeitstheorie, Artifical Intelligence-Technologien entwickeln, die den Krankheitsverlauf vorhersagen können. Dabei sollen bestehende klinische Daten (big data) analysiert werden, um die zugrundeliegende Ursache der akuten Aortendissektion oder deren Zusammenhänge mit anderen Anomalien der Aorta aufzudecken. In weiterer Folge sollen nicht nur Indikationen zur operativen Sanierung, sondern auch der weitere Krankheitsverlauf vorhergesagt werden und die Erkrankung primärprophylaktisch präklinisch behandelt werden können.

Übergeordnetes Ziel der weiteren drei Projektjahre ist es, verstärkt Kliniken und Firmen mit an Bord zu nehmen, das Forschungszentrum zu etablieren, und es zu einem fixen Bestandteil der Grazer biomedizinischen Forschung zu machen.

Für seine wissenschaftlichen Leistungen wurde Gerhard Holzapfel mit der William-Prager-Medaille 2021 der „Society of Engineering Science“ sowie mit der Koiter-Medaille 2021 der „American Society of Mechanical Engineers“ ausgezeichnet.

Diese Forschung ist im Field of Expertise „Human & Biotechnology“ verankert, einem von fünf strategischen Forschungsschwerpunkten der TU Graz.

Leadprojekte an der TU Graz

Die TU Graz fördert mit der Schiene Leadprojekte fachbereichsübergreifende, herausragende wissenschaftliche Vorhaben. Ausgewählt werden die zu fördernden Projekte von einer internationalen, unabhängigen Fachjury. Ein genehmigtes Leadprojekt wird für drei Jahre mit rund 2 Millionen Euro gefördert und kann nach einer erfolgreichen Evaluierung durch eine ebenfalls internationale, unabhängige Jury um weitere drei Jahre verlängert werden. Derzeit wird in zwei weiteren Leadprojekten – im Projekt „Verlässlichkeit im Internet der Dinge“ und im Projekt „Porous Materials@Work“ – geforscht.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Gerhard A. HOLZAPFEL
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn.
TU Graz | Institut für Biomechanik
Tel.: +43 316 873 35500
holzapfel@tugraz.at
www.biomech.tugraz.at

Weitere Informationen:

https://www.tugraz.at/projekte/biomechaorta/home/ (Projekt-Website)
https://www.biomech.tugraz.at/ (Institut für Biomechanik der TU Graz)
https://www.tugraz.at/institute/ifm/home/ (Institut für Mechanik der TU Graz)
https://go.tugraz.at/Leadprojekte (Leadprojekte der TU Graz)
https://go.tugraz.at/HumanBiotechnology (FoE „Human & Biotechnology“)
https://go.tugraz.at/PA-Aortendissektion (Weiteres Bildmaterial)

Media Contact

Mag. Christoph Pelzl, MSc Kommunikation und Marketing
Technische Universität Graz

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