Medizintechnik goes digital

Prinzipdarstellung von iScoolio bei einer skoliosespezifischen Übung. Abgebildet sind das Stab-Modul, die Weste mitsamt Sensoren (Wearable-Modul) sowie das Interface- Modul (Tablet mit App)
(c) Fabian Schober / Fraunhofer IWU

Echtzeitfeedback und Gamification bei der Behandlung von Wirbelsäulenerkrankungen, smarte Orthesen für (Sprung-)Gelenke.

Fraunhofer IWU auf der »EXPOLIFE«, 16. – 18. März 2023, Messe Kassel

Therapien zu Behandlung von Skoliose, der häufigsten Wirbelsäulenerkrankung bei Kindern und Jugendlichen, sind für die jungen Patienten oft belastend und für den Therapeuten mit einem hohen Zeitaufwand verbunden. Bei krankengymnastischen Therapien gibt iScoolio nun Patientinnen und Patienten über visuelle Rückmeldungen in einer App die Sicherheit, ohne professionelle Überwachung durchgeführte therapeutische Übungen auch »richtig« gemacht zu haben. Gamification-Elemente steigern zusätzlich die Motivation. Dies gilt auch für Skolio-FED, einem innovativen System für die Korsettbehandlung. Modernes und wertiges Design sprechen die Patienten an, datenbasierte Empfehlungen zur Therapie unterstützen den Therapeuten. Und das Fraunhofer IWU macht auch Orthesen smart: Bei Sprunggelenksverletzungen misst SensO-FeeT Kräfte, Winkel und Beschleunigungen im Sprunggelenk während des Gehens, um die Belastungen des verletzten Gelenks zu ermitteln. Eine App kann so vor erneuter Überlastung warnen. Für die Ruhigstellung vieler weiterer Gelenke stehen nun 3D-gedruckte Orthesen mit integriertem Draht zur Verfügung. Über den eingebetteten Draht lässt sich die Orthese erwärmen und je nach Behandlungsfortschritt immer wieder neu an das Gelenk anpassen.

Digitale Helfer in Skoliosetherapien: Therapeuten entlasten, Patienten optimal betreuen

Skoliose bezeichnet eine strukturelle dreidimensionale Deformität der Wirbelsäule und ist die häufigste Wirbelsäulenerkrankung bei Kindern und Jugendlichen. Bis zu 80 Prozent aller Kinder in Deutschland haben eine Haltungsschwäche, die sich im Laufe der Pubertät zu einer Skoliose entwickeln kann. Für die betroffenen Kinder und Jugendlichen sind Therapien oft sehr belastend, für die Therapeuten sind sie mit hohem zeitlichen und organisatorischen Aufwand verbunden. Innovative Technologien können nun beide Seiten entlasten – Patienten durch Apps, die Behandlungsschritte erläutern, mit Echtzeitfeedback und Gamification aufzeigen, ob eine Übung korrekt durchgeführt wurde und welche Behandlungsfortschritte dabei erzielt werden konnten; Ärzte und Therapeuten durch Empfehlungen zur Therapie, Anleitungen für die Patienten, die die Anwesenheit einer betreuenden Person nicht mehr durchgehend erforderlich machen und Transparenz über vom Patienten durchgeführten Übungen (Adherenz-Kontrolle).

iScoolio – Patientenindividuelles, ganzheitliches und digital assistiertes Skoliose-Therapiesystem

Im Fokus physiotherapeutischer Behandlungen steht die Haltungskorrektur durch aktiv vom Patienten ausgeführte segmentale Bewegungen. Ein Beispiel dafür ist die insbesondere in Deutschland weit verbreitete Schroth Therapie. Die durch Therapeuten angeleitete Methode basiert auf gezielten Bewegungsübungen der paravertebralen Zielmuskulatur und die so genannte Dreh-Winkel-Atmung. Ziel ist eine selbstständig erreichte aufrechte Körperhaltung. Diese aktiven Therapieübungen setzen voraus, dass die Patienten anspruchsvolle Bewegungsabläufe verstehen und umsetzen können. Dazu bedarf es meist einer direkten Betreuung durch einen Therapeuten oder Arzt. Entsprechend hoch ist der zeitliche Aufwand.

Im Projekt iScoolio entwickelte das Fraunhofer IWU die technologische Basis für eine ganzheitliche und individualisierte Skoliose-Therapie mit körperlichen Übungen zum Aufbau der Körperhaltungsmuskulatur bei idiopathischer Skoliose; Projektpartner waren die Protronic Innovative Steuerungselektronik GmbH, die Fuzz Tech IT Solutions GmbH sowie das Universitätsklinikum Jena. Das System gewährleistet ein umfassendes Patienten-Monitoring, Echtzeitfeedback und Langzeitkontrolle über den Therapieerfolg. Visuelle Rückmeldungen in der App geben Patientinnen und Patienten die Sicherheit, ohne professionelle Überwachung durchgeführte therapeutische Übungen auch »richtig« gemacht zu haben. Zusätzlich steigern ein digitales Nutzerprofil und Gamification-Elemente die Motivation.

Bei ihren Übungen tragen Patienten eine mit Sensoren bestückte Weste. Die Sensoren übernehmen das Motion Tracking und überwachen die Atmung. Für das Nachvollziehen der Bewegungsabläufe ist also kein Kamerasystem erforderlich. Zusätzliche Module ermöglichen die Simulation einer Sprossenwand im Türrahmen, das Tracken von Kräften beim Ausführen der Übungen oder ein Training der tieferliegenden Muskulatur durch das gezielte Einbringen einer wackligen Unterlage. Zudem bietet die Messung des COP (Center of Pressure) einen diagnostischen Anhaltspunkt für den Verlauf der Therapie.

iScoolio könnte sogar Therapiesysteme für das private Umfeld ohne Therapeuten ermöglichen; konzipiert ist es in erster Linie jedoch zur Begleitung von Physiotherapien, bei denen ärztliches oder therapeutisches Personal nicht jede Übung vor Ort persönlich betreuen kann.

KiTS – Kindgerechtes Therapiegerät und Simulationsplattform für die Skoliosebehandlung

Unterstützungsformen wie z. B. die Korsettbehandlung sind oft notwendig, wenn die Skoliose schon weiter fortgeschritten ist. Dabei kann die geräteunterstütze FED-Methode (Fixation, Elongation, Derotation) in vielen Fällen gute Behandlungsergebnisse vorweisen. Bei der FED-Methode wird die skoliotische Wirbelsäulenverkrümmung durch intervallartige Druck- und Entlastungsphasen korrigiert. Der Patient nimmt die erzielte Aufrichtung bewusst wahr und soll sie in den Druckpausen selbstständig halten. Damit ist die Therapie eine Kombination aus passiver und aktiver Behandlung.

Gemeinsam mit dem Institut für Biomedizinische Technik der Technische Universität Dresden und dem Institut für Physiotherapie des Universitätsklinikums Jena hat das Fraunhofer IWU auf Basis der FED-Methode ein multifunktionales therapeutisch-diagnostisches System entwickelt, das vor allem junge Patienten im Fokus hat. Besonderen Wert legten die Partner daher auf ein ansprechendes Design.
Skolio-FED registriert über Sensoren Bewegungen des Patienten und schafft die Datenbasis für Therapieempfehlungen: Auf Grundlage einer FED-Visualisierung kann der Arzt eine auf die Bedürfnisse des Patienten angepasste Therapie entwickeln. Wie iScoolio gibt auch Skolio-FED Patienten visuelles Trainingsfeedback und stärkt über Gamification-Funktionen die Motivation – eine wichtige Voraussetzung für den Therapieerfolg gerade bei sehr jungen Patientinnen und Patienten.

SensO-FeeT – Sensorisch aktive Sprunggelenks-Orthese mit Feedback-Funktion

Prinzipdarstellung: SesnsO-FeeT
© Fraunhofer IWU

Bei einer Behandlung von Sprunggelenksverletzungen mit Bandagen oder Orthesen kommt es durch Fehleinschätzungen über die Belastbarkeit häufig zu erneuten Verletzungen. Abhilfe könnte ein System schaffen, das Patientinnen und Patienten vor einer Überbelastung warnt.

In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt SensO-FeeT entwickelt das Fraunhofer IWU gemeinsam mit weiteren Partnern deshalb eine smarte Sprunggelenk-Orthese, die mit einer App gekoppelt ist. Durch die Kombination von verschiedenen Sensoren auf dieser Orthese werden Kräfte, Winkel und Beschleunigungen im Sprunggelenk während des Gehens gemessen. Ziel ist es, die Belastungen des verletzten Gelenks möglichst genau zu ermitteln. Die gemessenen Sensordaten werden dabei stetig ausgewertet und aufgezeichnet. Kleine Vibrationsmotoren auf der Orthese sowie ein zusätzliches Feedback über die App kündigen eine Überbelastung des Fußgelenkes an, so dass Patientinnen und Patienten darauf mit einer Schonhaltung reagieren können. Die Aufzeichnung von Belastungskurven ermöglicht zudem eine Nachverfolgung und Bewertung der Therapie.

Projektpartner des Fraunhofer IWU in SensO-FeeT sind die Sporlastic GmbH, die MCG motion capture GmbH, die 4K ANALYTICS GmbH, die imbut GmbH und die WESOM Textil GmbH.

Patientenindividuelle Orthesen, die dem Behandlungsverlauf folgen

Fingerorthesen kommen meist zur Ruhigstellung einzelner Finger zum Einsatz und sollten für eine bestmögliche Wirkung für die Patientin oder den Patienten maßgefertigt sein. Mit WEAM (Wire Encapsulation Additive Manufacturing) lassen sich Orthesen zunächst in 2D drucken und für die individuelle Fingergröße vordimensionieren; dank »eingedruckter« Drähte können sie anschließend optimal an die Ergonomie des Fingers angepasst werden. Dazu wird der integrierte Draht über elektrischen Widerstand aufgeheizt, wodurch sich der Kunststoffmantel auf 35 – 40 Grad Celsius erwärmt. Kunststoff ist dann ähnlich leicht formbar wie Knetmasse; nach dem Wiederabkühlen ist er so steif, dass er seine vorgesehene Stützfunktion optimal erfüllen kann. Der Vorteil gegenüber vorgefertigten Standardorthesen ist die individuelle Anpassbarkeit, auch noch im Verlauf der Behandlung: eine neuerliche Erwärmung des Kunststoffs genügt. Im Vergleich zu dreidimensional gedruckten Produkten benötigen WEAM-Orthesen weniger Druckzeit und sind dank der flexiblen Anpassbarkeit weniger fehleranfällig.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

M.A. Lukas Boxberger
Abteilungsleiter Biomechatronik
Geschäftsfeld Symbiotic Mechatronics

Fraunhofer Institut für
Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU,
Nöthnitzer Straße 44, 01187 Dresden, Germany

Tel: +49 351 4772-2135
Mobil: +49 162 4208884
EFax: +49 351 4772-6-32135

E-Mail: Lukas.Boxberger@iwu.fraunhofer.de
Web: www.iwu.fraunhofer.de

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