Weder gesund noch krank?

Als sich die Schauspielerin Angelina Jolie im vergangenen Jahr beide Brüste abnehmen ließ, rief das ein großes Medienecho hervor: Jolie war nicht an Krebs erkrankt, warum also dieser radikale Schritt?

Da ihre Mutter früh an Brustkrebs verstorben war, ließ sich Jolie auf bestimmte Genmutationen testen, die die Krankheit auslösen können. Das Resultat: Die Ärzte berechneten eine 87-prozentige Wahrscheinlichkeit an einem hereditären Mammakarzinom, so der Fachausdruck, zu erkranken. Eine beidseitige Amputation der Brüste minimierte das Risiko auf fünf Prozent.

Möglich gemacht hat eine solche Vorhersage die Systemmedizin. In diesem Ansatz erheben Forscher unter anderem genetische, zellbiologische und physiologische Daten von Patienten und setzen sie in Beziehung zueinander.

Diese Daten ermöglichen ihnen Rückschlüsse darauf, wie eine Krankheit entstanden ist und wie sie eventuell zukünftig verlaufen wird. Um die großen Datenmengen zu verarbeiten, wenden die Forscher Methoden der Mathematik und der Informationswissenschaften an.

„Die Systemmedizin versucht, die biologischen Informationen mit den vielfältigen Datensätzen der Patientinnen und Patienten aus der Klinik zu verknüpfen. Hierfür führt sie die moderne biologische Forschung und Medizin, die Möglichkeiten der Informationswissenschaften und die Vorhersagekraft mathematischer Modelle zusammen“, erklärt Prof. Dr. Peter Dabrock, Leiter des Verbundprojektes und Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie II (Ethik) an der FAU.

Ärzte bringen beispielsweise molekularbiologische Ergebnisse mittels neuen informationstechnologischen Programmen mit klinischen Daten zusammen und bestimmen so die individuellen genetischen Risiken für bestimmte Erkrankungen. Doch so gut der technische Fortschritt klingt, er bringt auch Probleme mit sich. „Unklar ist bislang, welche möglichen Konsequenzen sich aus der Systemmedizin für den klinischen Alltag, für die Strukturen der Gesundheitsversorgung und nicht zuletzt für das gesellschaftliche Verständnis von Gesundheit und Krankheit ergeben könnten“, so Dabrock.

Denn: Durch Vorhersage, wie wahrscheinlich eine bestimmte Krankheit bei einem Menschen ausbricht, verschwimmen die Grenzen zwischen Gesundheit und Krankheit. Wie zum Beispiel bei der Frage, ob eine prophylaktische Maßnahme in den Erstattungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden soll: Die Personen sind noch nicht manifest erkrankt, müssten für eine Erstattung aber als Erkrankte gelten. „Da stellt sich die Frage, wie wir als Gesellschaft diese Herausforderung gestalten wollen“, so Dabrock

Gemeinsam mit Juristen um Prof. Dr. Stefan Huster von der Ruhr-Universität Bochum, und Ökonomen um Prof. Dr. Jürgen Wasem von der Universität Essen-Duisburg soll ein Rahmenkonzept für den gesellschaftlichen Umgang mit systemmedizinischen Innovationen entwickelt werden. Medizinerinnen und Psychologinnen um Prof. Dr. Rita Schmutzler vom Universitätsklinikum in Köln, wo mit den Daten des Konsortiums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs die weltweit größte Kohorte an Risikopersonen für Brust- und Eierstockkrebs zur Verfügung steht, vervollständigen das Forscherteam des Projekts. Das Projekt trägt den Titel „SYSKON: Re-Konfiguration von Gesundheit und Krankheit. Ethisch, psychosoziale, rechtliche und gesundheitsökonomische Herausforderungen der Systemmedizin“ und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit insgesamt 840.000 Euro über drei Jahre gefördert.

Weitere Informationen für die Medien:
Prof. Dr. Peter Dabrock
Tel.: 09131/85-22724
peter.dabrock@fau.de

Media Contact

Blandina Mangelkramer idw - Informationsdienst Wissenschaft

Weitere Informationen:

http://www.fau.de/

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Medizin Gesundheit

Dieser Fachbereich fasst die Vielzahl der medizinischen Fachrichtungen aus dem Bereich der Humanmedizin zusammen.

Unter anderem finden Sie hier Berichte aus den Teilbereichen: Anästhesiologie, Anatomie, Chirurgie, Humangenetik, Hygiene und Umweltmedizin, Innere Medizin, Neurologie, Pharmakologie, Physiologie, Urologie oder Zahnmedizin.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Merkmale des Untergrunds unter dem Thwaites-Gletscher enthüllt

Ein Forschungsteam hat felsige Berge und glattes Terrain unter dem Thwaites-Gletscher in der Westantarktis entdeckt – dem breiteste Gletscher der Erde, der halb so groß wie Deutschland und über 1000…

Wasserabweisende Fasern ohne PFAS

Endlich umweltfreundlich… Regenjacken, Badehosen oder Polsterstoffe: Textilien mit wasserabweisenden Eigenschaften benötigen eine chemische Imprägnierung. Fluor-haltige PFAS-Chemikalien sind zwar wirkungsvoll, schaden aber der Gesundheit und reichern sich in der Umwelt an….

Das massereichste stellare schwarze Loch unserer Galaxie entdeckt

Astronominnen und Astronomen haben das massereichste stellare schwarze Loch identifiziert, das bisher in der Milchstraßengalaxie entdeckt wurde. Entdeckt wurde das schwarze Loch in den Daten der Gaia-Mission der Europäischen Weltraumorganisation,…

Partner & Förderer