Terbium: ein neues "Schweizer Armeemesser" für die Nuklearmedizin

Die Ergebnisse, veröffentlicht in The Journal of Nuclear Medicine, bedeuten einen großen Erfolg für diese Arbeitsgruppe aus Nuklearmedizinspezialisten und Radiochemikern. Zudem unterstreichen sie das Potenzial zur Erforschung und Herstellung einer neuen Generation von Radioisotopen mit exzellenten Eigenschaften für die Diagnose und Behandlung von Krebs.

• Erste in-vivo Studie von vier für den klinischen Einsatz interessanten Terbium-Radioisotopen zeigt ausgezeichnete Tumorvisualisierungen und therapeutische Wirksamkeit. Die Isotope wurden am Paul-Scherrer-Institut, der ISOLDE-Anlage am CERN und am Institut Laue-Langevin hergestellt.

• Terbium hat vier Isotope mit nuklearen Eigenschaften, die sich für personalisierte Medizin optimal eignen. Die Diagnostik wird hierbei für eine individuelle Optimierung der Therapie genutzt.

• Frühere Untersuchungen haben gezeigt, wie eines der Isotope (Terbium-161) heute schon für den klinischen Einsatz an Forschungsreaktoren wie dem ILL und FRM2 hergestellt werden kann.

Hintergrund

Auf Rezeptoren gerichtete Radiopharmaka [2] bestehen aus einem radioaktiven Isotop, das an einen „Carrier“ angelagert ist, der es selektiv zu Tumorzellen transportiert. Sie werden in zweifacher Weise verwendet:

• Nuklearmedizinische Bildgebung – Ein Radiopharmakon das Positronen oder Gammastrahlen emittiert, wird als Marker in den Blutstrom injiziert. Wenn es am Ziel gebunden ist (z.B. an einem Tumor), ermöglicht die Gammastrahlenemission des Radioisotops bzw. die Positronenannihilation [5] die Diagnose und möglicherweise die Bestimmung der Schwere einer Vielfalt von Krankheiten einschließlich vieler Krebsarten.

• Gezielte Radionuklidtherapie – zerstört Tumorzellen durch Radioisotope, die Teilchen mit kurzer Reichweite emittieren.

Herkömmliche Radioisotope (wie z.B. Jod-131 und Yttrium-90), die in der ersten Generation therapeutischer Radiopharmaka verwendet wurden, haben nicht für alle therapeutischen Anwendungen ideale nukleare Eigenschaften. Daher werden bei neueren Entwicklungen von Radiopharmaka spezielle neue Radioisotope mit günstigeren Zerfallseigenschaften wie zum Beispiel Lutetium-177 verwendet, das sowohl Kollateralschäden an gesundem Gewebe vermindert als auch die Notwendigkeit, Patienten während der Behandlung isolieren zu müssen.

Ideal wäre es, die geeignetsten Radioisotope in einer Frühphase der Medikamentenentwicklung auszuwählen, was eine ganzheitliche Optimierung der Radiopharmaka erlauben würde. Jedoch sind solche innovativen Radioisotope selten kommerziell verfügbar und es mangelt oft an etablierten Herstellungsverfahren.

Kürzlich entwickelten Radiochemiker an der TU München und dem PSI Villingen ein Verfahren zur großtechnischen Herstellung eines solchen Radioisotops der neuen Generation, Terbium-161, mit Proben, die am ILL in Grenoble und am FRM2 in Garching bei München bestrahlt wurden. Sie konnten diese Isotope erfolgreich in der Qualität und Menge liefern, wie sie für klinische Anwendungen benötigt werden.

In dieser neuesten Untersuchung wurde Terbium-161, ergänzt durch drei andere Terbiumisotope, hergestellt durch Kernreaktionen mit Hochenergie-Protonen an der ISOLDE Anlage am CERN, die gemeinsam das Potenzial zur Diagnose und Behandlung von Krebs haben. So genannte Isotopenpaare (desselben chemischen Elements) zur Verfügung zu haben, ist besonders nützlich und eröffnet die Möglichkeit, für eine personalisierte, patientenspezifische Behandlung zur Verbesserung der Effizienz und zur Verminderung von Nebenwirkungen [4b].

Terbium (Tb) ist das einzige Element im Periodensystem, das nicht nur ein Isotopenpaar bietet, sondern vier klinisch interessante Radioisotope mit sich ergänzenden nuklearen Zerfallseigenschaften, die das gesamte Spektrum nuklearmedizinischer Methoden abdecken [5]. Daher kann Terbium als das „Schweizer Armeemesser der Nuklearmedizin“ bezeichnet werden, das grundlegende Untersuchungen neuer Radiopharmaka und detaillierte Vergleiche gezielter Therapieoptionen ermöglicht.

Versuche

In einem neuen Artikel berichteten Wissenschaftler vom PSI, ILL und CERN über die ersten umfassenden vorklinischen Untersuchungen mit diesen neuen Terbium-Radiopharmaka. Die Radioisotope wurden mit einem neu entwickelten Carrier, genannt „cm09“ [3], kombiniert und Mäusen mit Tumoren verabreicht. Die bildgebenden Isotope ermöglichten es den Wissenschaftlern, mit zwei üblichen Diagnoseverfahren die Aufnahme durch Krebszellen zu untersuchen: Positronen-Emissionstomografie (PET) und Einzelphotonen-Emissionscomputertomografie (SPECT – Single Photon Emission Computed Tomography). Damit wurden die Mäuse vierundzwanzig Stunden nach der Injektion von Terbium-152, Terbium-155 bzw. Terbium-161 vermessen. Terbium-161 und Terbium-149 wurden hinsichtlich ihrer therapeutischen Wirksamkeit durch Vergleich des Tumorwachstums und der Überlebensraten bei den behandelten Mäusen mit einer unbehandelten Kontrollgruppe untersucht.

Wesentliche Ergebnisse

• PET/CT und SPECT/CT-Untersuchungen mit den Diagnoseisotopen Terbium-152 und Terbium-155 sowie dem gammastrahlenden Therapieisotop Terbium-161 ergaben vierundzwanzig Stunden nach der Injektion hervorragende Tumorsichtbarkeit.

• Beide therapeutischen Isotope bremsten das Tumorwachstum in Mäusen deutlich, bzw. es kam sogar zu einer völligen Rückbildung der Tumore. Insbesondere die Therapie mit Terbium-161 ergab eine völlige Rückbildung der Tumore in 80% der Fälle.

Die Wirksamkeit von Terbium-161 war insbesondere deshalb ermutigend, weil frühere, 2011 veröffentlichte Arbeiten von TUM, PSI und dem ILL zeigten, dass dieses Isotop heute schon in der für klinische Routineanwendungen erforderlichen Menge und Qualität hergestellt werden kann.

Zitate

Prof. Cristina Müller (PSI): „In dieser Studie entwickelten wir neue diagnostische und therapeutische Radiopharmaka, indem wir das Vitamin Folsäure als tumorspezifischen Transporter mit vier verschiedenen Terbiumisotopen kombinierten. Diese Radiopharmaka haben einzigartige nukleare Eigenschaften haben für verschiedene Anwendungen in der Nuklearmedizin. Wir erzielten ausgezeichnete Ergebnisse mit tumortragenden Mäusen, was uns hoffnungsvoll macht auf eine erfolgreiche Weiterentwicklung dieser Radiopharmaka für einen klinischen Einsatz bei Krebspatienten.“

Prof. Roger Schibli (ETHZ/PSI): „Der Erfolg von personalisierter Medizin und von speziellen Therapien beruht auf der genauen und verlässlichen Diagnose und Identifizierung von Patienten, die sehr wahrscheinlich von der Therapie profitieren werden. Nichtinvasive bildgebende Verfahren wie PET und SPECT sowie Radionuklidtherapie mit neuen innovativen Radiotracern erlaubt es Nuklearmedizinern, zu dieser Strategie beitzutragen. Zugang zu neuen, medizinisch relevanten Isotopen mit optimalen Zerfallseigenschaften von Anlagen wie ISOLDE am CERN und dem Institut Laue-Langevin ist unentbehrlich für dieses Bestreben.“

Dr. Ulli Köster: „Die Entwicklung neuer Radiopharmaka bietet die Chance, in einem frühen Stadium neue Biomoleküle mit Radioisotopen, die optimale Zerfallseigenschaften aufweisen, zu kombinieren. Forschungseinrichtungen wie ISOLDE am CERN und das Institut Laue-Langevin können die Entwicklung vielversprechender neuer Therapien beschleunigen, indem sie Radioisotope, die nicht kommerziell erhältlich sind, in hoher Qualität zur Verfügung stellen.“

Dr. Karl Johnston, Physiker am ISOLDE-CERN: „ISOLDE ist eine kernphysikalische Anlage am CERN, welche die weltweit größte Auswahl an Radioisotopen bietet. Obwohl die Entwicklung dieser Radioisotope ursprünglich für kernphysikalische Grundlagenforschung gedacht war, können diese Isotope für Untersuchungen in Materialforschung, Biophysik und – zunehmend – Nuklearmedizin verwendet werden. Die Nutzung radioaktiver Isotope in Fachgebieten wie der Medizin ist ein hochinteressantes Thema, von dem auch die Allgemeinheit profitiert.“

Prof. Helmut Schober, Wissenschaftlicher Direktor des ILL: „Dieser Erfolg zeigt eindrucksvoll, dass große Forschungseinrichtungen wie das CERN und das ILL ihre Experten und spezialisierten Anlagen für eine neue Anwendung einsetzen können: der Produktion von Radiopharmaka, die der Diagnose und Therapie von Krebs dienen. Diese beiden „Schwergewichte“ der Europäischen Forschung, beide Mitglieder von EIROforum, sind diesem Ruf gefolgt, zugunsten medizinischer Forschung und für die, die es am nötigsten haben, den Patienten selbst.“

Pressekontakt:
In England: James Romero +44 845 680 1866 – james@proofcommunication.com
In Deutschland: Arno Laxy +49 89 15 92 96 76 – ill@sympra.de
Anmerkungen für Redaktionen
1. Herstellungsverfahren für Radioisotope – Terbium-161 wurde durch Bestrahlung von Gadolinium-160-Proben mit Neutronen am Institut Laue-Langevin und am Paul Scherrer Institut hergestellt, wobei das kurzlebige Gadolinium-161 entsteht, das wiederum zu Terbium-161 zerfällt. Terbium-149, Terbium-152 und Terbium-155 wurden durch Bestrahlung von Tantal-Targets mit hochenergetischen Protonen hergestellt, gefolgt von einem Online-Isotopen-Trennungsprozess bei ISOLDE/CERN.

2. Wie zielt man auf Tumore? – Krebszellen zeigen häufig eine Überexpression von Tumormarkern (z.B. Antigene, Peptidrezeptoren), die gezielt mit biologischen Carriern erreicht werden können (z.B. Antikörper oder Fragmente von Antikörpern, Peptide, Vitamine). Solche Carrier können mit einer Nutzlast kombiniert werden, z.B. einem Radioisotop.

3. cm09 – zielt auf Folatrezeptoren. Der Folatrezeptor ist angereichert in einer Vielzahl von aggressiv wachsenden Tumoren, darunter Eierstock- und anderen gynäkologischen Krebsarten sowie manchen Brust-, Nieren-, Lungen- und Gehirntumoren, während seine Verteilung in normalen Geweben und Organen sehr begrenzt ist. Folatvitamine zeigen eine schnelle Aufnahme, aber ebenso eine schnelle Ausscheidung über die Nieren aus dem Blutkreislauf. Daher bleiben sie nicht hinreichend lange im Körper, um alle Krebszellen zu erreichen. Deshalb wurde ein neues Folatkonjugat (als cm09 bezeichnet) maßgeschneidert, bei dem die Folsäure mit einer Albumin bindenden Einheit kombiniert wurde, welche die Umlaufdauer im Blut verlängert.

4. Was ist so besonders an Terbium?

(a) Terbium (Tb) ist das einzige Element im Mendeleevschen Periodensystem, das nicht nur ein Isotopenpaar, sondern sogar vier klinisch interessante Radioisotope mit sich ergänzenden Zerfallseigenschaften bietet, welche alle nuklearmedizinischen Modalitäten abdecken: Terbium-152 für PET, Terbium-155 für SPECT, Terbium-149 für eine Therapie mit Alphateilchen und Terbium-161 zur Therapie mit Elektronen (β-, Konversions- und Auger-Elektronen). Daher kann Terbium als das „Schweizer Armeemesser der Nuklearmedizin“ bezeichnet werden und zur Grundlagenforschung für neue Radiopharmaka und für detaillierte Vergleiche gezielter Therapieoptionen dienen.

b. So genannte Isotopenpaare aus einem Diagnose- und einem Therapieisotop desselben chemischen Elements sind besonders wertvoll, da sie sich wegen ihrer identischen chemischen Eigenschaften in vivo identisch verhalten und so vor und während der Behandlung eine genaue Bestimmung und Optimierung der Strahlungsdosis erlauben, die dem Tumor zugefügt wird. Dies eröffnet einen Weg zur „Theranostik“, bei der Patienten zuerst ein Diagnoseisotop verabreicht, dann, beruhend auf der gemessenen patientenspezifischen Aufnahme des Radiopharmakons, die optimale Therapieoption ausgewählt und angewandt wird. Diese Art personalisierter Medizin sorgt für die bestmögliche Wirksamkeit bei minimalen Nebenwirkungen, da diese Therapie auf die Bedürfnisse des Patienten maßgeschneidert ist.

5. Verschiedene Arten von Strahlung werden von Radioisotopen emittiert und in der Nuklearmedizin verwendet:

a. Gammastrahlung (emittiert von Terbium-155 und Terbium-161) hat eine große Reichweite und tritt daher überwiegend aus dem Körper des Patienten aus. Sie kann mit Gammakameras oder SPECT-Scannern nachgewiesen werden. So lässt sich genau beobachten, wohin das Radioisotop im Patientenkörper geliefert wurde.

b. Positronen (Beta-plus-Teilchen, emittiert von Terbium-152) annihilieren nahe an der Emissionsstelle und erzeugen zwei Gammastrahlen, die mit PET-Scannern außerhalb des Patientenkörpers nachgewiesen werden können. So lässt sich genau beobachten, wohin das Radioisotop im Patientenkörper geliefert wurde.

c. Beta-minus-Strahlung (emittiert von Terbium-161) hat eine Reichweite von wenigen mm bis cm und kann Zellen in diesem Bereich schädigen oder zerstören.

d. Alphateilchen (emittiert von Terbium-149) haben eine Reichweite von wenigen Dutzend Mikrometern, vergleichbar mit einem Zellendurchmesser, und sind hinsichtlich Zerstörung individueller Krebszellen effizienter als Beta-minus-Strahlung.

e. Auger-Elektronen (emittiert von Terbium-161) haben eine Reichweite von lediglich einigen Mikrometern, also weniger als ein Zelldurchmesser. Ihre zerstörende Wirkung ist auf eine einzige Zelle oder gar einen Teil davon beschränkt. Für höchste Effektivität müssen Auger-Elektronen-Emitter mit 'internalisierenden' Carriern kombiniert werden, die selektiv in Krebszellen eingeschleust werden.

6. Über das PSI – das Paul-Scherrer-Institut ist das größte Forschungszentrum für Natur- und Ingenieurwissenschaften der Schweiz. Das multidisziplinäre Zentrum konzentriert sich auf drei Bereiche: Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit.

7. Über das Institut Laue-Langevin (ILL) – Das Institut Laue-Langevin ist ein internationales Forschungszentrum im französischen Grenoble. Seit den ersten Experimenten im Jahr 1972 ist es führend auf dem Gebiet der Neutronenstreuungsforschung und -technologie. Das ILL betreibt eine der stärksten Neutronenquellen der Welt, von der Neutronenstrahlen zu 40 hochkomplexen Instrumenten geleitet werden, die ständig modernisiert und verbessert werden. Jährlich besuchen 1.200 Wissenschaftler aus mehr als 40 Ländern das ILL, um Forschungsarbeiten auf den Gebieten Physik der kondensierten Materie, Chemie, Biologie, Kern- und Teilchenphysik sowie Materialwissenschaft durchzuführen. Deutschland, Frankreich und Großbritannien sind Partner und Hauptgeldgeber des ILL. Ferner sind weitere 10 wissenschaftliche Mitgliedsländer beteiligt.

8. Über ISOLDE-CERN – CERN, die europäische Organisation für Kernforschung in Genf, ist das weltweit führende Laboratorium für Teilchenphysik. Seine Aufgabe ist Grundlagenforschung. Teile seiner Forschung und einige der wegbereitenden Technologien finden aber auch im Alltag Anwendungen. ISOLDE, die On-line-Isotopentrenneinrichtung, liefert nach Masse getrennte Strahlen von über 1000 verschiedenen Radioisotopen. Einige davon sind für innovative Anwendungen in der Nuklearmedizin von speziellem Interesse.

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Arno Laxy idw

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