Optogenetische Gentherapie lässt Erblindeten partiell wieder Sehen

Wie optogenetische Therapie funktioniert
Sahel, Roska / Illustration: Veronique Juvin, SciArtWork

Ein internationales Forschungsteam konnte zeigen, dass eine optogenetische Gentherapie bei einem wegen erblicher Retinitis pigmentosa erblindeten Patienten dazu beiträgt, einen Teil der Sehkraft wieder herzustellen. Dies ist ein Meilenstein auf dem Weg zu Gentherapien zur potenziellen Umkehr von Blindheit.

Neu veröffentlichte klinische Daten zeigen erstmals, dass optogenetische Methoden einem erblindeten Menschen eine gewisse Sehfähigkeit zurückgeben können. Dieser Erfolg ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Entwicklung von Gentherapien für erbliche Erkrankungen von Lichtrezeptor-Zellen – und zwar unabhängig von den Mutationen, die diese Erbkrankheiten verursachen. Die Daten wurden in Nature Medicine publiziert. Sie stammen aus einer Studie eines internationalen Forschungsteams unter der Leitung von José-Alain Sahel und Botond Roska. Zum Forschungsteam gehören Mitglieder des Institut de la Vision und Hôpital National des Quinze-Vingts in Paris, der Universität Pittsburgh, dem Institut für Molekulare und Klinische Ophthalmologie Basel (IOB), StreetLab und GenSight Biologics (Euronext: SIGHT).

„Dass wir einem Erblindeten durch optogenetische Therapie das Augenlicht teilweise zurückgeben konnten war nur möglich durch die Mitarbeit des Patienten selbst, durch Anstrengungen der multidisziplinären Teams im Institut de la Vision und bei GenSight sowie durch die langjährige Zusammenarbeit mit Botond Roska vom IOB, die den Grundstein und das Fundament für dieses Projekt legte“, sagt José-Alain Sahel. Er ist der erstgenannte und Korrespondenz-Autor der klinischen Studie sowie Distinguished Professor und Leiter des Departements Ophthalmologie an der Universität Pittsburgh, Professor sowohl an der Universität Sorbonne, dem Hôpital National des Quinze-Vingts und Gründungsdirektor des Institut de la Vision.

„Die Studienergebnisse beweisen das Wirkkonzept, dass eine optogenetische Gentherapie zur partiellen Wiederherstellung von Sehfähigkeit, machbar ist“, sagt Botond Roska, Gründungsdirektor des IOB und Professor an der Universität Basel.

Bei der Optogenetik werden Zellen genetisch so verändert, dass sie lichtempfindliche Proteine, sogenannte Channelrhodopsine, produzieren. Diese Technik existiert bereits seit fast 20 Jahren im Bereich Neurowissenschaften, aber bisher wurde der klinische Nutzen der Optogenetik nicht nachgewiesen. Die heute gemeldeten Ergebnisse widerspiegeln 13 Jahre multidisziplinärer Bemühungen und sind der Höhepunkt der Zusammenarbeit zwischen den Teams von José-Alain Sahel und Botond Roska.

Ziel der Forschung ist die Behandlung von erblichen Erkrankungen der Fotorezeptoren im Auge. Diese sind ein weitverbreiteter Grund für Erblindung beim Menschen. Fotorezeptoren sind lichtsensible Zellen in der Netzhaut, die so genannte Opsin-Proteine nutzen, um visuelle Information via Sehnerv vom Auge ans Gehirn zu liefern. Die Fotorezeptoren degenerieren allmählich, und dann setzt die Erblindung ein. Um die Lichtsensibilität wieder-herzustellen, setzte das Team gentherapeutische Methoden ein, um Channelrhodopsine in die Ganglienzellen der Netzhaut einzubringen.

Für die aktuelle Studie lieferte das Team das Gen, das für ein Channelrhodopsin namens ChrimsonR kodiert in die Netzhaut. Dieses spezielle Protein empfängt bernsteinfarbenes Licht, das für Netzhautzellen sicherer ist als das blaue Licht, das für andere Arten der optogenetischen Forschung verwendet wird. Das Team entwickelte zudem eine spezielle Brille, die mit einer Kamera ausgestattet ist, die visuelle Bilder erfasst und in bernsteinfarbenen Lichtwellenlängen auf die Netzhaut projiziert.

Für die aktuelle Studie startete das Team das Training mit der Brille fast fünf Monate nach der Injektion. So konnte sich die die ChrimsonR-Expression in der Zeit in den Ganglienzellen stabilisieren. Sieben Monate später begann der Patient über Anzeichen einer Sehverbesserung zu berichten.

Testresultate zeigten: Der Patient konnte Objekte auf einem weissen Tisch vor seinen Augen lokalisieren, berühren und zählen, jedoch nur mithilfe der Spezialbrille. Ohne die Brille gelangen ihm diese Übungen nicht. Ein Test beinhaltete die Wahrnehmung, Lokalisierung und Berührung eines grossen Notizbuchs oder einer kleinen Schachtel mit Heftklammern. Der Patient berührte in 36 von 39 voneinander unabhängigen Untersuchungen (also in 92% aller Tests) das Notizbuch. Bei der kleinen Schachtel gelang dies nur in 36% der Fälle. In einem zweiten Test zählte der Patient Gläser auf dem Tisch in 63% aller Fälle korrekt.

Während einer dritten Testreihe trug der Patient eine Kopfhaube mit Elektroden, die ein nicht-invasives Elektro-Enzephalogramm (EEG) seiner Gehirnaktivität aufzeichneten. Ein Glas wurde abwechselnd vom Tisch entfernt bzw. darauf platziert und der Patient musste Knöpfe drücken, um das Vorhandensein oder Fehlen des Glases zu bestätigen. Wichtig ist, dass die EEG-Messungen bei diesem Test zeigten, dass sich die korrelierten Aktivitätsänderungen im visuellen Kortex konzentrierten.

Das Forschungsteam trainierte zudem einen Software-Decoder für die Auswertung der EEG Aufzeichnungen. Durch einfache Messungen der neuronalen Aktivität konnte der Decoder mit 78% Trefferquote feststellen, ob das Glas bei einer bestimmten Testreihe auf dem Tisch vorhanden war, oder nicht. Diese letzte Auswertung, so Roska, half dabei, zu bestätigen, dass die Gehirnaktivität tatsächlich mit einem visuellen Objekt in Verbindung steht, und „beweist, dass die Netzhaut nicht mehr blind ist.“

„Wichtig ist, dass blinde Patienten mit verschiedenen Arten von neurodegenerativen Fotorezeptor-Erkrankungen und einem noch funktionierenden Sehnerv potenziell für die Behandlung in Frage kommen. Es wird aber noch einige Zeit dauern, bis diese Therapie den Patienten angeboten werden kann“, kommentierte Sahel.

Link zur Publikation in Nature Medicine:
https://www.nature.com/articles/s41591-021-01351-4

Erstautor der Studie:
José-Alain Sahel, sahelja@upmc.edu
Medienkontakte:
Anastasia Gorelovaa: gorelovaa@upmc.edu (University Pittsburgh, Pittsburgh)
Emanuela de Luca: emanuela.de-luca@institut-vision.org (Institut de la Vision, Paris)

Letztgenannter Hauptautor der Studie:
Botond Roska, botond.roska@iob.ch
Medienkontakt IOB, Basel: Sandra Schlüchter, sandra.schluechter@iob.ch

Links to institutional web pages
https://www.medschool.pitt.edu
https://iob.ch
https://www.institut-vision.org
https://www.15-20.fr
http://www.streetlab-vision.com
https://www.gensight-biologics.com

Über das IOB
Am Institut für Molekulare und Klinische Ophthalmologie Basel (IOB) arbeiten Grundlagen-forscher und Kliniker täglich Hand in Hand an einem besseren Verständnis von Augen-krankheiten und an der Entwicklung neuer Therapien. IOB wurde im Dezember 2017 als Stiftung gegründet. Die Gründungspartner waren das Universitätsspital Basel, die Universi-tät Basel und Novartis. Der Kanton Basel-Stadt beteiligt sich mit substanziellen Mitteln an der finanziellen Unterstützung des neuen Instituts.

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Originalpublikation:

Link zur Publikation in Nature Medicine:
https://www.nature.com/articles/s41591-021-01351-4

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