Leukämiebehandlung: Mediziner aus Münster entwickeln System zur Risiko-Berechnung
Allerdings kann eine intensive, stationäre Therapie gerade für ältere Patienten besondere Gefahren mit sich bringen. Die Entscheidung, welche Therapie für welchen Patienten die beste ist, ist daher schwierig. Ärzte und Forscher aus Münster und anderen Kliniken in Deutschland haben nun ein Verfahren entwickelt, mit dem Chancen und Risiken der intensiven Therapie für den einzelnen Patienten zuverlässiger beziffert werden können.
Leukämie ist eine tückische Krankheit: Abnorme unreife Blutzellen, die sich im Knochenmark anreichern, behindern dort die reguläre Blutbildung. Die normalen Bestandteile des Blutes, die etwa die Sauerstoff-Versorgung des Körpers, die Blutstillung und die Abwehr von Krankheitserregern übernehmen, fehlen dadurch. Die häufigste akute Form bei Erwachsenen ist die akute myeloische Leukämie, die mit zunehmendem Alter gehäuft vorkommt. Da die Weltbevölkerung immer älter wird, gewinnt die AML an Bedeutung.
Insgesamt erkranken in Deutschland jährlich rund 3.600 Menschen an AML. Ob diese Form der Leukämie mit einer intensiven Chemotherapie behandelt werden sollte, ist mit Blick auf das Risiko gerade bei älteren Patienten eine schwierige Abwägungsfrage. Alternativen sind weniger intensive Formen der Chemotherapie, die ebenfalls den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen können, jedoch geringere Chancen auf Heilung bieten. Fachärzte verlassen sich bei ihren Empfehlungen meistens auf persönliche Erfahrungen und Präferenzen. Mit dem Online-Tool der Mediziner aus Münster lassen sich die Chancen auf Erholung der Blutbildung (Remission) und die Risiken der Therapie nun besser beziffern – damit hilft es den Ärzten bei der Entscheidungsfindung.
Das Online-Tool ist einfach aufgebaut: Über eine Internetseite kann der behandelnde Arzt verschiedene Werte angeben, die Einfluss auf die Chancen einer vollständigen Erholung haben. Dazu gehören beispielsweise das Alter bei der Leukämie-Diagnose, die Konzentration von Thrombozyten (Blutplättchen) und Hämoglobin im Blut sowie genetische Veränderungen in den Leukämiezellen. Aus diesen Daten berechnet das Tool die Chance einer Remission und das Risiko eines frühen Todes. „Natürlich können wir den behandelnden Ärzten die Entscheidung für eine Behandlungsempfehlung nicht abnehmen“, so Professor Carsten Müller-Tidow, Leiter des Leukämie-Programms der von Professor Dr. Wolfgang Berdel geführten Medizinischen Klinik und Poliklinik A des Universitätsklinikums Münster. “Die Verantwortung liegt nach wie vor bei ihnen. Unser Programm kann aber dabei helfen, Chancen und Risiken verantwortungsvoll abzuwägen.“
Der Berechnungs-Algorithmus basiert auf den Ergebnissen einer vom münsterschen Professor Dr. Thomas Büchner geleiteten bundesweiten Studie an mehr als 1.400 AML-Patienten im Alter von über 60 Jahren, die mit einer intensiven Chemotherapie behandelt worden sind. Die Risiko-Prognose wurde anhand einer unabhängigen Patientengruppe aus einer Studie mit rund 800 Patienten überprüft. Die statistischen Analysen und Informationen zur Entwicklung des Tools sind in der aktuellen Ausgabe der britischen Zeitschrift „Lancet“, einem der weltweit wichtigsten medizinischen Fachorgane, publiziert worden.
Literaturangabe: Krug U, Röllig C, Koschmieder A, Heinecke A, Sauerland MC, Schaich M, Thiede C, Kramer M, Braess J, Spiekermann K, Haferlach T, Haferlach C, Koschmieder S, Rohde C, Serve H, Wörmann BJ, Hiddemann W, Ehninger G, Berdel WE, Büchner T and Müller-Tidow C. Lancet 2010; 376: 2000-2008.
DOI: http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(10)62105-8
Redaktion: Dr. Thomas Bauer (thbauer@uni-muenster.de)
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