Immunzellen auf Abwegen

Die Rolle der B-Lymphozyten für die Immunpathogenese der MS rückt zunehmend in den Fokus der klinischen Forschung. Nicht zuletzt die Therapieerfolge mit B-Zell-depletierenden Medikamenten wie Rituximab zeigen, dass B-Zellen entscheidend zur Krankheitsprogression der MS beitragen.

Forscher des Krankheitsbezogenen Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KKNMS) unter Leitung von Prof. Dr. Brigitte Wildemann (Sektion Molekulare Neuroimmunologie, Universität Heidelberg) haben nun herausgefunden, dass sich Zahl und Zusammensetzung der B-Zellen im Blut und Liquor der Patienten während der Schubphase stark verändern. „Dieses Ergebnis untermauert die Bedeutung der B-Zellen als Ziel moderner immuntherapeutischer Ansätze“, meint Dr. Jürgen Haas, Laborleiter und Erstautor der Studie.

B-Zellen sind für die humorale Immunantwort, also die Bildung von Antikörpern, zuständig. Für diese Studie haben die Heidelberger Forscher eine Reihe von B-Zell-Subtypen untersucht und dabei festgestellt, dass bei aktiver Multipler Sklerose die Zahl naiver B-Zellen, also solcher, die noch nie mit Antigenen in Berührung gekommen sind, im Blut ansteigt. Gleichzeitig geht die Zahl antigenerfahrener B-Lymphozyten, sog. Gedächtnis-B-Zellen zurück. Diese veränderte Verteilung hat zur Folge, dass die Immunreaktion der B-Zellen insgesamt reduziert ist. Für eine aktive Umverteilung von B-Zellen in Phasen akuter Krankheitsaktivität spricht die gegenläufige Verteilung der verschiedenen Subtypen in der Gehirnflüssigkeit (Liquor) wie sie sich bei MS-Patienten nachweisen lässt: Während B-Zellen normalerweise die Blut-Liquor-Schranke nicht passieren, sind sie bei aktiver MS auch dort aufzufinden. „Und zwar in genau umgekehrter Verteilung als im Blut: Gedächtniszellen treten dreimal häufiger auf als naive B-Zellen“, sagt Haas.

Chemokine ziehen B-Zellen an

Da bei der Mehrzahl der Probanden eine erhöhte Menge bestimmter Chemokine im Liquor nachweisbar war, gehen die Forscher davon aus, dass diese Lockstoffe die gezielte Einwanderung antigenerfahrener Gedächtnis-B-Zellen in die Gehirnflüssigkeit begünstigen. Zugleich fördern Chemokine die Entwicklung und Verweildauer von antikörperproduzierenden Plasmazellen. „Während wir bereits Medikamente zur Verfügung haben, die erfolgreich das Einwandern von B-Zellen ins ZNS verhindern, müssten neue immuntherapeutische Ansätze nun dahin gehen, bereits in den Liquor eingewanderte B-Zellen und Plasmazellen zu eliminieren“, erklärt Wildemann.

Die Studie wurde im Rahmen des KKNMS (Forschungsverbund UNDERSTANDMS, Allianz II) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Der vollständige Forschungsbericht ist im Dezember im „Journal of Autoimmunity“ unter dem Titel „B cells undergo unique compartmentalized redistribution in multiple sclerosis“ erschienen (DOI 10.1016/j.jaut.2011.08.003).

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