Fortgeschrittene Parkinson-Krankheit: Wirkstoffgabe über Dünndarm verbessert motorische Symptome

„Erstmals wird in dieser Arbeit der Nutzen einer kontinuierlichen Levodopa/Carbidopa-Verabreichung mittels einer prospektiv kontrollierten Doppelblindstudie belegt“, kommentiert Privat-Dozent Dr. Martin Südmeyer für die Deutsche Parkinson Gesellschaft (DPG) und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN).

„Die Daten deuten darauf hin, dass in dieser späten Phase der Erkrankung ausgewählte Patienten hiervon deutlicher profitieren als von einer konventionellen oralen Levodopa-Therapie“, ergänzt der Oberarzt an der Neurologischen Klinik der Universität Düsseldorf. Patienten, die lange Zeit unter einer Medikation stehen, entwickeln häufig motorische Fluktuationen und Dyskinesien. Die kontinuierliche Gabe des Wirkstoffs über eine Pumpe in den Dünndarm soll Schwankungen der Wirkstoffkonzentration ausgleichen.

Messungen der On- und Off-Zeiten

In Deutschland, Neuseeland und den USA untersuchten Neurologen 71 Parkinson-Patienten in einem fortgeschritten Erkrankungsstadium. Ihnen wurde durch einen operativ endoskopischen Eingriff perkutan eine dauerhaft anliegende Jejunum-Sonde (JET-PEG-Sonde) eingeführt, um dort die Wirkstoffkombination Levodopa/Carbidopa kontinuierlich freizusetzen. Das Wissenschaftlerteam um Professor C. Warren Olanow von der Mount Sinai School of Medicine in New York – unter deutscher Beteiligung von Professor Per Odin vom Klinikum Bremerhaven – versuchte auf diese Weise, potenziell behindernde Nebenwirkungen der oralen Therapie wie motorische Fluktuationen und Dyskinesien zu vermeiden.

Im Zuge einer Randomisierung erfolgte in einer Gruppe eine kontinuierliche intestinale Levodopa/Carbidopa-Gel-Applikation in Kombination mit einem oral verabreichten Placebopräparat. In der Vergleichsgruppe hingegen wurde das Levodopa/Carbidopa in Tablettenform oral sowie ein Placebo-Gel mittels der Pumpe den Patienten zugeführt. Als primäres Ziel hatten die Forscher die Veränderung der motorischen Off-Zeit nach einer insgesamt vierwöchigen Titrationsphase mit einer sich anschließenden Nachbeobachtungszeit von acht Wochen definiert. Gleichfalls sollten die Veränderungen der On-Zeit ohne bedeutsame Dyskinesien, die Lebensqualität (PDQ-39) und Aktivitäten des täglichen Lebens (UPDRS-II) der Patienten sowie die Belastungen der Angehörigen (ZBI) ermittelt werden.

Nutzen der intestinalen Gel-Applikation

Die Auswertung ergab eine eindeutige Verbesserung in der Patientengruppe, in der das intestinale Levodopa/Carbidopa-Gel angewendet worden war: Ihre motorische Off-Zeit verringerte sich um durchschnittlich 4,04 Stunden pro Tag; in der zweiten Gruppe waren es demgegenüber nur 2,14 Stunden pro Tag. Die On-Zeit ohne bedeutsame Dyskinesien nahm unter der Levodopa-Gel-Therapie im Mittel um 4,11 Stunden zu, bei oraler Verabreichung nur 2,24 Stunden. Mit der Verkürzung der Off-Zeit und Reduktion der Dyskinesien verknüpft waren eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität und gesteigerte Aktivitäten im täglichen Leben der Patienten. Eine geringere Belastung der Angehörigen scheint indessen nicht einzutreten.

Risiken der intestinalen Gel-Applikation

In beiden Gruppen erfolgte die operative Anlage der intrajejunal gelegenen JET-PEG-Sonde sowohl für die Medikamenten- als auch Placeboverabreichung mittels Pumpe. Dabei wurde bei zwölf von den insgesamt 71 Parkinson-Patienten ein schwerwiegendes Ereignis in Zusammenhang mit dem Eingriff dokumentiert: In drei Fällen kam es zu einer Peritonitis, einer Psychose bzw. einer Stoma-Fehlfunktion, die alle zu einem Studienabbruch führten, aber zu keinem tödlichen Ausgang. Im Verlauf der ersten beiden Wochen nach der JET-PEG-Anlage klagte ein Großteil der Patienten über Beschwerden, beispielsweise abdominale Schmerzen, Obstipationen oder Erbrechen. Darüber hinaus traten Funktionsstörungen des apparativen Systems auf, wie zum Beispiel eine Sonden-Dislokation bzw. -verstopfung oder eine Pumpenfehlfunktion.

Nutzen-Risiko-Abwägung

„Durch diese Studie konnte der therapeutische Effekt einer kontinuierlichen intestinalen Levodopa-Applikation mittels einer externen Pumpe bei Patienten mit einem fortgeschritten Morbus Parkinson methodisch einwandfrei belegt werden. Es handelt sich dabei jedoch um ein technisch sehr aufwendiges und auch kostenintensives Therapieverfahren, das – vergleichbar mit der Tiefen Hirnstimulation – eine kritische Patientenauswahl und engmaschige Nachsorge erfordert. Darum sollte das Anlegen einer Levodopa-Pumpe in spezialisierten neurologischen Zentren erfolgen, die über eine ausgewiesene Kooperation mit einer gastroenterologischen Klinik verfügen“, bilanziert Südmeyer.

Das hier verwendete Präparat ist zur Behandlung bei Parkinson-Patienten mit schweren motorischen Fluktuationen und Dyskinesien in Europa bereits zugelassen, sofern durch eine orale Therapie kein ausreichender Behandlungseffekt mehr erzielt werden kann. Wirkungsnachweise gab es bislang aber nur aus einigen wenigen, nicht kontrollierten und kleinen Studien. Die Arbeit von Olanow und Kollegen schließt somit eine Lücke. Sie wurde überdies so konsequent geplant und durchgeführt, dass ein verfälschender Placebo-Effekt weitgehend ausgeschlossen werden kann. Die Arbeit wurde vom Hersteller wissenschaftlich begleitet und finanziell unterstützt.

Eine abschließende Bewertung ist aber noch nicht möglich, denn dazu müssten die Beobachtungsdauer verlängert und die Zahl der Probanden deutlich vergrößert werden, gibt Südmeyer zu bedenken. Zudem stehen bislang prospektiv randomisierte Studien aus, welche die therapeutische Wertigkeit der verschiedenartigen invasiven Therapien (Tiefe Hirnstimulation, enterale bzw. subkutane Pumpen-Applikation) beim fortgeschrittenen Morbus Parkinson vergleichend bewerten.

Quellen:

Olanow CW et al. Continuous intrajejunal infusion of levodopa-carbidopa intestinal gel for patients with advanced Parkinson's disease: a randomised, controlled, double-blind, double-dummy study. Lancet Neurol. 2014 Feb;13(2):141-9.

Rascol O. Jejunal levodopa infusion in Parkinson's disease. Lancet Neurol.2014 Feb;13(2):128-9.

Fachlicher Kontakt bei Rückfragen:

Priv.-Doz. Dr. med. Martin Südmeyer
Neurologische Klinik – Bewegungsstörungen und Neuromodulation
Universitätsklinikum Düsseldorf
Moorenstraße 5, 40225 Düsseldorf
Tel.: +49 (0)211 8116756
E-Mail: Martin.Suedmeyer@uni-duesseldorf.de
Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
und der Deutschen Parkinson Gesellschaft
E-Mail: presse@dgn.org, Tel.: +49 (0)89 46148622
Pressesprecher der DGN: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener
Pressesprecher der DPG: Priv.-Doz. Dr. med. Georg Ebersbach
Die Deutsche Parkinson Gesellschaft (DPG)
ist eine Schwerpunktgesellschaft der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Ziel der DPG ist es, die medizinische Versorgung von Patienten mit Parkinson-Syndrom und ähnlichen Erkrankungen zu verbessern und langfristig die frühzeitige Diagnose, die Prävention oder gar die Heilung dieser Krankheiten zu ermöglichen. http://www.parkinson-gesellschaft.de
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren mehr als 7500 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist seit 2008 die Bundeshauptstadt Berlin. http://www.dgn.org
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