Chance zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Arzt und werdenden Eltern

Durch die raschen Fortschritte der medizinischen, insbesondere der genetischen Diagnostik hat sich speziell die Früherkennung von Erkrankungen des ungeborenen Kindes (Pränataldiagnostik) in den letzten 30 Jahren zunehmend von einer Spezialuntersuchung für wenige zu einem Testverfahren für fast alle Schwangeren entwickelt. Dabei erlaubt die moderne Medizin in der Schwangerschaft so detaillierte Diagnosen und Prognosen wie nie zuvor.

Das Wissen der Frauen über Pränataldiagnostik, deren Absicht, Chancen, Risiken und Folgen steht jedoch in deutlicher Diskrepanz zur Häufigkeit ihrer Anwendung. Somit befinden sich Schwangere immer wieder unvorbereitet in der Situation, dass ein erhöhtes Risiko für das Vorliegen einer Behinderung beim ungeborenen Kind diagnostiziert wird. Dies löst in der Regel eine ganze Reihe von Nachuntersuchungen aus, die die Beteiligten häufig dazu zwingen, vorher nicht bedachte Konsequenzen zu ziehen.

„Die Beratungs- und Aufklärungssituation in diesem sensiblen Bereich ist daher besonders schwierig. Die Schwierigkeit dabei bezieht sich neben der Komplexität der Pränataldiagnostik auf das Problem, dass im äußersten Falle die Entscheidung zwischen Abbruch der Schwangerschaft und dem Leben mit einem möglicherweise schwer behinderten Kind getroffen werden muss. Umso bedeutsamer ist eine interdisziplinäre und gesetzlich verpflichtende Beratung, die stets auch den Hinweis auf ein Recht auf Nichtwissen beinhalten muss. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist das am 1. Februar in Kraft tretende Gendiagnostikgesetz“, sagt Univ.-Prof. Dr. Norbert Paul, M.A., Leiter des Instituts Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universitätsmedizin und des Masterstudienganges Medizinethik der Universitätsmedizin Mainz.

Das wesentliche Ziel des neuen „Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen“ (Gendiagnostikgesetz) ist es, Anforderungen an genetische Untersuchungen sowie die mit der genetischen Diagnostik verbundene Aufklärung, Beratung und Dokumentation verbindlich neu zu regeln. Für die Pränataldiagnostik werden dabei zwei Bereiche gleichwertig behandelt. Zum einen ist dies die direkte vorgeburtliche Diagnostik an kindlichen Zellen, z.B. durch eine Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese). Zum anderen sind dies im Sinne des Gesetzes auch die sogenannten nicht-invasiven Suchtests (z.B. Nackentransparenzmessung mittels Ultraschall zur Risikodiagnostik des Down Syndroms). Eine ausdrückliche, schriftliche Einwilligung nach angemessener Aufklärung und Bedenkzeit sowie eine auf die Diagnostik abgestimmte genetische Beratung sind nun Voraussetzung für oben genannte Untersuchungen. Eine zweite Beratung muss zudem nach dem Vorliegen des Untersuchungsergebnisses durchgeführt werden. Auf die Beratung darf die Schwangere nur mittels einer schriftlichen Erklärung verzichten, wobei jederzeit ein Widerrufsrecht sowie ein Recht auf Nichtwissen bestehen.

Univ.-Prof. Dr. med. Wolfram Henn, Humangenetiker des Universitätsklinikums des Saarlandes und Dozent des Masterstudienganges Medizinethik der Universitätsmedizin Mainz sieht in dem neuen Gesetz durchaus eine Chance zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Arzt und werdenden Eltern: „Aus medizinethischer Sicht muss das Ziel einer jeden Regelung im Bereich der Schwangerenberatung sein, das ungeborene Leben zu schützen und gleichzeitig den werdenden Eltern eine differenzierte Abwägung bezüglich medizinischer, psychosozialer sowie ethischer Aspekte zu ermöglichen. Durch die gesetzlichen Vorgaben werden zweifellos erhebliche Anstrengungen für eine Qualitätsverbesserung der Beratung Schwangerer im Umfeld von genetischer Pränataldiagnostik unternommen.“

Als entscheidend für den Erfolg dieser Anstrengungen sieht Professor Paul jedoch die Art und Weise der Umsetzung: „Im Rahmen vorgeburtlicher Diagnostik sind Entscheidungen in der Regel eine große Herausforderung für alle Beteiligten. Schon über die Inanspruchnahme der Diagnostik muss informiert entschieden werden. In vielen Fällen geht es hier um den Umgang mit Angaben zu Wahrscheinlichkeiten und um die Unsicherheit im Hinblick auf die individuelle Ausprägung eines Krankheitsbildes. Das ist durchaus komplex.“

Trotz der neuen rechtlichen Regelung bleiben im Rahmen der vorgeburtlichen Diagnostik sowohl für Ärzte und Ärztinnen wie auch für werdende Eltern viele grundlegende ethische Fragen zu beantworten. Birgt die zunehmende Inanspruchnahme der Pränataldiagnostik auch Gefahren, wie z.B. einen Rechtfertigungsdruck für Paare, die sich für das Austragen eines möglicherweise kranken oder behinderten Kindes entscheiden, der unweigerlich in die Nähe einer gesellschaftlichen Diskussion um lebenswertes beziehungsweise lebensunwertes Leben führt? Wie kann mit diesen Fragen verantwortungsvoll und im besten Interesse des werdenden Kindes umgegangen werden? Wie können Ärzte und Ärztinnen die ethischen Kompetenzen weiter ausbauen, die im Rahmen dieser immer komplexer werdenden Entscheidungen erforderlich sind? Spezifische Fortbildungsangebote, wie der weiterbildende Masterstudiengang Medizinethik der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg Universität, vermitteln Fähigkeiten und Fertigkeiten, solche und ähnliche Fragen der medizinischen Praxis fundiert und informiert anzugehen und zu lösen.

Weitere Informationen zum Masterstudium Medizinethik erhalten Sie bei:
Anika Mitzkat
Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Telefon: 06131 17-9528
E-Mail: mitzkat@uni-mainz.de
Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Norbert W. Paul, M.A.
Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Telefon: 06131 17-9545
Email: npaul@uni-mainz.de
Pressekontakt
Tanja Rolletter, Stabstelle Kommunikation und Presse Universitätsmedizin Mainz,
Telefon 06131 17-7424, Fax 06131 17-3496, E-Mail: pr@unimedizin-mainz.de
Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige Einrichtung dieser Art in Rheinland-Pfalz. Mehr als 50 Kliniken, Institute und Abteilungen sowie zwei Einrichtungen der medizinischen Zentralversorgung – die Apotheke und die Transfusionszentrale – gehören zur Universitätsmedizin Mainz. Mit der Krankenversorgung untrennbar verbunden sind Forschung und Lehre. Rund 3.500 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz kontinuierlich ausgebildet.

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Caroline Bahnemann idw

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