Kinder sind keine kleinen Erwachsenen

Klinische Zulassungsstudien von Arzneimitteln bei Kindern gefördert / „Pädiatrisches Modul“ am Universitätsklinikum Heidelberg

Kinder erhalten meist Arzneimittel, die vorwiegend für Erwachsene zugelassen sind. Es fehlen klinische Studien, die Wirksamkeit und Sicherheit nachweisen. Diese Lücke soll nun geschlossen werden durch die Einrichtung spezieller Forschungseinheiten an fünf Universitätsklinika. Neben Heidelberg sind dies Mainz, Freiburg, Leipzig und Köln mit Münster als assoziiertem Zentrum. Die „pädiatrischen Module“ sind den Koordinierungszentren für Klinische Studien (KKS) angegliedert, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Medizinischen Fakultäten an insgesamt 13 deutschen Universitätsklinika eingerichtet hat. Nach einer Begutachtung hat das BMBF fünf Standorte ausgewählt, die sich neben klinischen Studien bei Erwachsenen nun auch mit Studien bei Kindern beschäftigen werden. Die Koordinierungszentrale ist in Mainz angesiedelt und die pädiatrischen Module werden eng mit anderen Universitätsklinika, pädiatrischen Abteilungen der Krankenhäuser sowie niedergelassenen Kinderärzten in einem Netzwerk zusammenarbeiten.

„Die enge Kooperation zwischen KKS und erfahrenen Kinderärzten wird dazu beitragen, dass die Arzneimitteltherapie im Kindesalter sicherer wird“, sagt Dr. Monika Seibert-Grafe, Leiterin des KKS Heidelberg. Geplant sind zunächst drei gemeinsame Studien aller fünf Module in Kooperation mit weiteren Universitätsklinika und KKS. In den pädiatrischen Modulen wird eine professionelle Infrastruktur und ausgewiesene Kompetenz für die Durchführung von Arzneimittelstudien bei Kindern aufgebaut. Die Anbindung an die KKS schaffen dafür beste Voraussetzungen. KKS verstehen sich als Dienstleister zur Verbesserung der Qualität innovativer und international konkurrenzfähiger klinischer Studien. Das Heidelberger Leistungsspektrum umfasst die gesamte klinische Prüfung eines Arzneimittels oder Medizinproduktes – von der Studienvorbereitung mit Studienprotokoll, Patienteninformation und Einverständniserklärung, über die Vermittlung kompetenter Studienzentren, die Studiendurchführung durch „Study Nurses“, klinisches Monitoring, Datenmanagement, statistische Auswertung bis zur Berichterstellung und Publikation.

Zwei Drittel der Kinder erhalten nur für Erwachsene zugelassene Medikamente

Bevor ein Arzneimittel zugelassen werden kann, muss nicht nur die pharmazeutische Qualität der Substanz gesichert sein, sondern Wirksamkeit, Sicherheit und empfohlene Dosis wie auch die Wechselwirkungen mit den wichtigsten gleichzeitig verabreichten Arzneimitteln müssen bekannt sein. Dies wird im Rahmen klinischer Prüfungen der Phasen I bis III untersucht. Bislang werden solche klinischen Prüfungen vorwiegend bei Erwachsenen durchgeführt. Deshalb sind viele Arzneimittel, die bei Früh- und Neugeborenen, Säuglingen, Kindern und Jugendlichen erfolgreich angewendet werden, nicht spezifisch für die jeweiligen Altersgruppen geprüft und zugelassen, vor allem deren Dosierung ist nicht untersucht.

Eine Untersuchung in 5 europäischen Kinderkliniken im Jahr 2000 ergab: Zwei Drittel der stationär behandelten Kinder bekamen Arzneimittel, die im Anwendungsland gar nicht, oder nicht für diese Erkrankung zugelassen waren (British Medical Journal 2000; 320:79-82). Nur 15 von 110 Arzneimitteln, die im Jahr 2000 von der EU zentral zugelassen worden sind, tragen Hinweise zur Anwendung bei Kindern, obwohl 49 für pädiatrische Indikationen eine Rolle spielen.

Kinder sind nicht kleine Erwachsene, bei denen die Dosis einfach vermindert werden kann. Je jünger das Kind ist, desto mehr weichen seine Reaktionen auf das angewendete Arzneimittel von denen eines Erwachsenen ab (vgl. dazu Deutsches Ärzteblatt 2001;98:447-9). Ursachen dafür sind die unterschiedliche Körperzusammensetzung und der geringere Reifegrad der Organe. So haben Neugeborene im Vergleich zu Erwachsenen wesentlich mehr Körperwasser und weniger -fett. Stoffwechsel und Ausscheidung entwickeln sich erst im Lauf der Jahre. Früh- und Neugeborene scheiden weniger Arzneistoff aus, da Leber und Nieren bei der Geburt noch nicht ausgereift sind. Kleinkinder und Kinder bis acht Jahre scheiden dagegen Arzneistoffe rascher aus als Erwachsene und benötigen deshalb verhältnismäßig hohe Dosen.

Vorhersage der Dosis nicht möglich / Einfache Therapieschemata erforderlich

Bestimmte Erkrankungen kommen nur im Kindesalter vor oder nehmen einen anderen Verlauf als bei Erwachsenen. Deshalb ist eine Vorhersage der Dosis bei einer bestimmten Alters- oder Entwicklungsgruppe schwierig und kann nicht durch einfache Gewichtsangleichung kompensiert werden. Letztlich fehlen dem Arzt Fach- und Gebrauchsinformationen, die ihm eine Entscheidung über den Nutzen und das Risiko der Therapie erlauben.

Ein weiteres Problem kommt hinzu: Nicht alle Arzneimittel sind kindgerecht aufbereitet. Die Substanzen müssen ohne verlässliche Daten zu Stabilität, Verträglichkeit oder Bioverfügbarkeit von Apothekern, Kinderärzten oder auch den Eltern individuell verdünnt oder hergestellt werden. Kinder unter 5 Jahren können meist keine Tabletten schlucken. Die Veränderung einer Tablette durch z.B. Zerdrücken oder Auflösen in Wasser oder auch das Öffnen von Kapseln können Einfluss auf Geschmack, Stabilität und Aufnahme des darin enthaltenen Wirkstoffs haben. Manche beigemischten Hilfsstoffe wie Benzylalkohol verbieten sich in der Anwendung bei Neugeborenen. Bestimmte Produkte, z.B. der Dry-Powder-Inhaler für die Asthmatherapie, lassen sich durch die Atemtechnik beim Kleinkind nicht nutzen. Kinder brauchen zudem akzeptable Therapieschemata: Die Behandlung muss kurz und nicht zu häufig sein, da sie sonst abgelehnt wird.

USA: Klinische Studien an Kindern verlängern Patentlaufzeit

Schon lange fordern Kinderärzte und Arzneimittelexperten, klinische Studien bei Kindern, um Produkte und ihre Anwendungen sicherer zu machen. Die Rahmenbedingungen sind in Deutschland durch das Arzneimittelgesetz und ethische Empfehlungen geregelt, die den Schutz der Kinder gewährleisten. Bislang ist die Notwendigkeit, Daten in gut geplanten, kontrollierten Studien bei Kindern zu erheben, nicht ausreichend dargestellt, und die Formulierung der Rahmenbedingungen führt zu unterschiedlichen Auffassungen. Hier wird Klarheit erhofft bei der bevorstehenden Umsetzung der EU-Richtlinie in die 11. Novellierung des Arzneimittelgesetzes. In den USA verlangt die amerikanische Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) bei Arzneimitteln, die voraussichtlich mehr als 50.000 mal im Jahr bei Kindern angewendet werden, entsprechende Studiendaten. Als Anreiz für die pharmazeutische Industrie wird dem Arzneimittel ein zusätzlicher Patentschutz von sechs Monaten und damit ein Marktvorteil gewährt.


Ansprechpartner:

Dr.med. Monika Seibert-Grafe
Leiterin des Koordinierungszentrums
für Klinische Studien Heidelberg
Tel: 06221 / 56-4500
Fax: 06221 / 56-1331
E-Mail: Monika_Seibert-Grafe@med.uni-heidelberg.de

Dr.med. Ulrike Ebert
Koordinierungszentrum für Klinische Studien Heidelberg
Studiensupport/Methodische Forschung/Personal
Tel: 06221 / 56-4508
Fax: 06221 / 56-1331
E-Mail: Ulrike_Ebert@med.uni-heidelberg.de

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Dr. Annette Tuffs idw

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