Schockgefroren und durchleuchtet

Zweifache Premiere: Eine bislang unbekannte Struktur haben Forscher des Universitätsklinikums Heidelberg im Zellskelett von Malariaparasiten und Erregern der Toxoplasmose, eine auf den Menschen übertragbare Tierseuche, entdeckt. Damit haben die Parasitologen – gemeinsam mit Kooperationspartnern vom Max Planck Institut für Biochemie in Martinsried – erstmals komplette einzellige Lebewesen mit Hilfe eines neuen bildgebenden Verfahrens durchleuchtet. Bei der Kryo-Elektronentomografie werden Objekte schockgefroren und dann im Nanobereich dreidimensional abgebildet. Die Ergebnisse ihrer Arbeiten wurden jetzt in der bekannten Fachzeitschrift „The Journal of Experimental Medicine“ veröffentlicht.

Die Wissenschaftler vermuten, dass es sich bei der Struktur, die noch nie bei anderen Arten entdeckt wurde, um ein Eiweiß handelt, das die „Stützen“ des Zellskeletts – die röhrenförmigen Mikrotubuli – verdickt und stabilisiert. Dadurch könnte das neue Protein eine entscheidende Bedeutung für die große Beweglichkeit der Krankheitserreger haben.

Die Erkenntnisse geben nicht nur Einblick in die Struktur des Zellskeletts und in die Fortbewegung der Parasiten – sie könnten auch ein neues Ziel in der Bekämpfung von Malaria und Toxoplasmose aufzeigen. „Es ist denkbar, Medikamente zu entwickeln, die direkt an der neuartigen Zellskelettstruktur angreifen und damit zielgerichtet die Parasiten zerstören, menschliche Zellen jedoch verschonen“, erklärt Dr. Friedrich Frischknecht, Arbeitsgruppenleiter im Hyiene-Institut des Universitätsklinikums Heidelberg. Auch für die Krebsforschung könnten die Ergebnisse von Bedeutung sein: Krebszellen wuchern stark. Gelänge es, das stabilisierende Protein in sich rasant teilende Zellen einzubringen, könnte es die übermäßige Zellteilung möglicherweise bremsen.

Parasiten als Bewegungskünstler dank flexibler Eiweißröhren

Einzellige Parasiten wie der Malaria-Erreger Plasmodium und Toxoplasma, der Überträger der Toxoplasmose, sind in manchen Stadien ihres komplizierten Lebenszyklus wahre Bewegungskünstler. Wie schaffen es die circa 15 Mikrometer kleinen Winzlinge, dabei so stabil zu sein, dass sie beispielsweise unbeschadet aus der Speicheldrüse einer Mücke gepresst werden oder sich durch das dichte Hautgewebe eines Menschen zwängen können? Eine wichtige Rolle spielen nach Ansicht der Wissenschaftler die Mikrotubuli, röhrenförmige Eiweißverbindungen, die in Zellen für Stabilität, Beweglichkeit und den Transport von Stoffen sorgen. Die neu entdeckte Struktur verdickt in regelmäßigen Abständen das Innere der Röhrenwände.

Kryo-Elektronentomografie – unverfälschte Einblicke in die Nano-Welt

Die Studie wendet ein neues bildgebendes Verfahren erfolgreich an: Die Kryo-Elektronentomografie, die unter Leitung von Dr. Marek Cyrklaff vom Max Planck Institut für Biochemie in Martinsried durchgeführt wurde. Die Untersuchung der tiefgekühlten Parasiten war für das Verfahren eine Premiere: „Uns gelingt es nun zum ersten Mal, ein komplettes einzelliges Lebewesen mit Zellkern und Zellmembran mit Hilfe der Kryo-Elektronentomografie zu untersuchen“, so Dr. Frischknecht.

Vorteil des Verfahrens ist, dass die Untersuchungsobjekte direkt betrachtet werden können – ohne chemische Vorbehandlung, ohne Anfärben und ohne Dünnschnitt. Durch das blitzartige Einfrieren auf minus 196 Grad Celsius bleibt die räumliche Struktur und Anordnung aller Zellbestandteile vollständig erhalten. Im Elektronenmikroskop wird das Objekt aus verschiedenen Richtungen durchstrahlt und die Bilddaten danach rechnerisch ausgewertet. Ein dreidimensionales Struktur-Modell mit einer Auflösung von bis zu vier Nanometern, also vier Millionstel Millimetern, entsteht. Gegenwärtig führt das Verfahren zu einer wahren Flut neuer Entdeckungen in der Zell-, Neuro- und Infektionsbiologie.

Kryo-Technik bald im Heidelberger Netzwerk BIOQUANT einsetzbar

Eine Anlage zur Kryo-Elektronentomografie kostet rund drei Millionen Euro und wird aus Mitteln des Exzellenzcluster „Zelluläre Netzwerke“ im Heidelberger BIOQUANT-Gebäude installiert werden. BIOQUANT, das „Forschungsnetzwerk für quantitative Analyse molekularer und zellulärer Biosysteme“, wurde im April 2007 vom Land Baden-Württemberg offiziell an die Universität Heidelberg übergeben. Ein Forschungsschwerpunkt des europaweit ersten Zentrums für quantitative Biologie ist das Heidelberger Exzellenzcluster „Zelluläre Netzwerke“, das im Rahmen der bundesweiten Exzellenzinitiative für Hochschulen gefördert wird (Koordinator: Professor Dr. Hans-Georg Kräusslich, Geschäftsführender Direktor des Hygiene-Instituts). Die Wissenschaftler werden sich unter anderem der Kryo-Elektronentomografie und der Evolution von Proteinen widmen.

Literatur:
Marek Cyrklaff, Mikhail Kudryashev, Andrew Leis, Kevin Leonard, Wolfgang Baumeister, Robert Menard, Markus Meissner, Friedrich Frischknecht: Cryoelectron tomography reveals periodic material at the inner side of subpellicular microtubules in apicomplexan parasites. JEM. Vol. 204(6), 1281-1287 June 2007.
(Der Originalartikel kann bei der Pressestelle des Universitätsklinikums
Heidelberg unter contact@med.uni-heidelberg.de angefordert werden)
Weitere Informationen im Internet:
Homepage der AG Frischknecht:
www.klinikum.uni-heidelberg.de/Malaria-3-Frischknecht.100117.0.html
Ansprechpartner:
Dr. Friedrich Frischknecht
Universitätsklinikum Heidelberg
Hygiene Institut
Abteilung Parasitologie
Im Neuenheimer Feld 324
69120 Heidelberg
Tel: 06221-566537
E-Mail: freddy.frischknecht@med.uni-heidelberg.de
Bei Rückfragen von Journalisten:
Dr. Annette Tuffs
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Universitätsklinikums Heidelberg
und der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 672
69120 Heidelberg
Tel.: 06221 / 56 45 36
Fax: 06221 / 56 45 44
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