Gentest kann Nebenwirkungen verhindern
Die Gene eines Menschen können verraten, ob es bei einer Therapie mit Medikamenten zu unerwünschten Nebenwirkungen kommt. Für diese herausragende Entdeckung in der Arzneimittelforschung ist Professor Dr. Christian P. Strassburg von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) am Montagabend in Wiesbaden mit dem Paul-Martini-Preis geehrt worden. Professor Strassburg deckte mit seinem Team der Abteilung Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie auf, warum bestimmte Krebs- und HIV-Medikamente bei einigen Patienten schwere Nebenwirkungen wie etwa Gelbsucht hervorrufen. Professor Strassburg teilt sich den mit 25.000 Euro dotierten Preis, der während der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in Wiesbaden vergeben wurde, mit Professor Roland Schüle von der Universität Freiburg.
Viele Medikamente haben einen engen therapeutischen Bereich, in dem die erwünschte Wirksamkeit gegen eine Erkrankung gegenüber der Gefahr einer unangenehmen oder gefährlichen Nebenwirkung überwiegt. Bis heute werden Medikamente überwiegend mit der selben Dosis für alle Patienten angewandt. Selbst bei korrekter Dosierung können bei einzelnen Patienten schwere unerwünschte Nebenwirkungen auftreten, die nicht sicher vorhersagbar sind. Zu diesen Nebenwirkungen zählen je nach Medikament eine Schädigung der Leber mit Anstieg der Leberwerte oder Gelbsucht, Abfall der Blutzellen, aber auch Bauch- oder Durchfallbeschwerden. „Einen entscheidenden Einfluss auf die Nebenwirkungen eines Medikaments haben Stoffwechselwege, die zur Entgiftung und Entfernung von Wirkstoffen aus dem menschlichen Körper beitragen“, erläutert Professor Strassburg.
Einer dieser Stoffwechselwege ist die so genannte Glukuronidierung. Dabei wird eine Substanz, die den Körper über die Niere oder die Galle nicht selbständig verlassen kann, so verändert, dass sie wasserlöslich ist. Damit kann sie über den Urin oder die Leber ausgeschieden werden. Verantwortlich dafür sind bestimmte Enzyme, die sich in der Leber, aber auch in den Kontaktflächen zur Außenwelt wie der Mund- und Darmschleimhaut sowie der Lunge befinden. Diese Enzyme entgiften nicht nur Medikamente, sondern auch in Verbrennungsgasen und Zigarettenrauch enthaltene krebserregende Stoffe. Nicht jeder Mensch verfügt über die gleichen Fähigkeiten, den Körper auf diesem Weg zu entgiften. „Der Schlüssel liegt in der genetischen Programmierung, also in den Genen“, sagt Professor Strassburg. „Sie entscheiden, ob ein Entgiftungsenzym in ausreichender Menge oder mit ausreichender Aktivität hergestellt wird.“
Die Arbeitsgruppe untersucht und identifiziert genetische Varianten dieser Enzymgene. Dabei handelt es sich um vererbte minimale Veränderungen des Erbguts, die über die Funktion von Enzymen entscheiden können. Bei ihren Untersuchungen beschäftigen sich die MHH-Forscher mit einer der häufigsten vererbten Krankheiten: der Gilbert-Meulengrachtschen Erkrankung, die etwa neun Prozent der Bevölkerung betrifft. Die Gilbert-Erkrankung ist für sich genommen unkompliziert, bedarf keiner Behandlung und führt bei den Betroffenen nur zu einer unkompliziert verlaufenden, vorübergehenden Gelbsucht nach Stresseinwirkung. Ihre Ursache ist eine genetische Reduktion der Funktion eines Enzyms. „Bei dieser Krankheit ist die Verminderung eines Stoffwechselweges also bereits im Erbgut festgelegt“, sagt Professor Strassburg. „Zu Komplikationen kommt es aber dann, wenn der Betroffene auf ein Therapie mit Medikamenten angewiesen ist, die auf diesen oder ähnliche Stoffwechselwege zurückgreifen.“
Die mit dem Paul-Martini-Preis ausgezeichneten Arbeiten beschreiben zwei Beispiele, bei denen dieser Zusammenhang genutzt werden kann, um die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen vorherzusagen und Therapien individuell einzusetzen. Die in den Fachzeitschriften „Molecular Pharmacology und Hepatology“ veröffentlichten Ergebnisse belegen, dass Träger der Gilbertschen Erkrankung komplexe Veränderungen der Glukuronidierung aufweisen, die mehrere Gene betreffen. Diese als Haplotypen bezeichneten Häufungen wurden in 9,6 Prozent der Bevölkerung auf beiden Chromosomen (homozygot) nachgewiesen. „Damit konnten wir zeigen, dass jeder zehnte Deutsche einen veränderten Stoffwechsel aufweist, der Ursache für Nebenwirkungen von Arzneimitteln sein kann“, betont Professor Strassburg. „Diese erblichen Risikofaktoren für Nebenwirkungen können jetzt bereits vor einer Therapie durch eine Analyse im Blut bestimmt werden.“
Die Arbeitsgruppe untersuchte Therapien mit einem Chemotherapeutikum und einem Virenmittel, da diese Substanzen entweder über die Glukuronidierung entgiftet werden oder diesen Stoffwechselweg behindern. Beide Beispiele belegen, wie die genetische Disposition das individuelle Ansprechen auf eine medikamentöse Therapie bestimmen kann. „Zukünftig können wir Gentests nutzen, um Therapien individuell einzusetzen und damit für die Patienten effizienter und sicherer zu machen“, sagt Professor Strassburg.
Weitere Informationen erhalten Sie bei Professor Christian P. Strassburg, Telefon (0511) 532-2219, strassburg.christian@mh-hannover.de.
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