Messungen auf den Millimeter genau
Wie können Fehlhaltungen beim Gehen exakt gemessen werden?
Mit ihren Analysen im Ganglabor unter ärztlicher Leitung von Dr. Leonhard Döderlein leistet die Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg Pionierarbeit und hat seit 1993 zahlreichen Patienten – vor allem Kindern – zu unbeschwerterem Gehen verholfen.
Jetzt hat der Technische Leiter des Labors, der Physiker Dr. Sebastian Wolf, gemeinsam mit sechs Partnern aus der Industrie ein tragbares Ganglabor entwickelt. Dieses Projekt wird von der Europäischen Union mit 1,5 Millionen Euro unterstützt. Das Kick-off-Meeting für die europaweite Entwicklung dieses Gang-Mess-Systems fand Anfang März 2007 im englischen Melton Mowbray statt. Das neue tragbare System soll Winkel und Beschleunigungsmesser sowie Muskelaktionsmesser umfassen und passt in einen einfachen Koffer.
Abweichungen von der Norm werden millimetergenau erfasst
Das Ganganalyse-Labor kann Abweichungen von der Norm millimetergenau erfassen – im Gegensatz zum menschlichen Auge. Dr. Wolf erklärt hierzu: „Im klinischen Routinebetrieb beobachten Ärzte und Krankengymnasten den Gang eines Patienten und bewerten ihn. Ihre Erkenntnisse sind jedoch subjektiv und damit ungenau.“ Zudem werden im Ganglabor nicht sichtbare Funktionen wie Muskelkoordination und Gelenk-Drehmomente in der exakten Dokumentation des Gangs ebenfalls erfasst.
Dafür werden dem Patienten durch Infrarotlicht-reflektierende Marker auf mehreren Körperstellen aufgeklebt. Den Gang zeichnen zehn Infrarotkameras auf und übermitteln die Daten an den Computer, der die Gelenkstellungen während des Gehens räumlich genau berechnet. Kraftmessplatten im Boden des Ganglabors erfassen die Gelenkbelastung und zugleich registrieren Elektroden auf der Haut die Muskelaktivität, die ebenfalls während des Gehens gemessen wird. Durch den Vergleich mit den Daten gesunder Probanden kann festgestellt werden, ob und inwieweit die Bewegungsabläufe in der Gelenkkette der Beine abweichen.
Fehlstellungen werden durch Operationen dauerhaft korrigiert
Untersucht werden im Ganglabor überwiegend Patienten mit spastischen Lähmungen, die z.B. durch Komplikationen im Schwangerschaftsverlauf bzw. bei der Geburt ausgelöst wer-den können. Typisch ist für sie ein mit den Armen rudernder Gang auf dem Vorfuß („Spitzfußgehen“) mit nach innen gerichteten Knien. Diese erheblichen Fehlstellungen werden in der Heidelberger Klinik mit Operationen wie der Begradigung der schief gewachsenen Oberschenkelknochen, der Verlängerung der Waden- oder Oberschenkelmuskulatur bzw. deren Verlegung behoben.
Inwieweit den Patienten hierdurch dauerhaft zu einer guten Gehfähigkeit verholfen wird, hängt insbesondere davon ab, wie gut das Gangbild korrigiert wird. Bei verbliebenen Fehlstellungen führen entsprechende Fehlbelastungen beim Gehen insbesondere in der Wachstumsphase häufig in einem selbstverstärkenden Mechanismus (Teufelskreis) zu einer Verstärkung dieser Deformitäten, die das Gehen abermals erschweren und unter Umständen weitere Folgeoperationen nötig machen.
Heidelberger Operation des Mehretagen-Eingriffs ist weltweit anerkannt
Durch die komplexen Messungen und Berechnungen im Gang-Analyse-Labor können solch unerwünschte Folgen vielfach vermieden werden. Mehr noch: Auf der Grundlage der Analysen können in der Heidelberger Klinik aufwendige sogenannte Mehretagen-Eingriffe geplant werden, eine weltweit anerkannte Methode, die optimale Ergebnisse erzielt und die Patienten schont. Unter Leitung von Dr. Leonhard Döderlein, dem Leiter des Bereichs Zerebralparesen und Technische Orthopädie der Klinik, operieren vier Ärzte gleichzeitig in einer fünf Stunden dauernden Operation sämtliche Fehlstellungen an Hüfte, Knie und Sprunggelenken sowie Fußfehlstellungen. Dem Patienten bleibt die Belastung weiterer Operationen erspart.
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