Die Multiple Sklerose ist kein einheitliches Krankheitsbild

Immunphänomene erklären nur einen Teil der Fälle von Multipler Sklerose. Es gibt auch degenerative Formen.
Charité Forscher zweifach ausgezeichnet

Die Multiple Sklerose (MS) ist weltweit die häufigste neurologische Erkrankung junger Erwachsener. Wahrscheinlich ist das Krankheitsbild, das durch ganz unterschiedliche Verläufe gekennzeichnet ist, auch auf verschiedene Ursachen zurückzuführen und das Erscheinungsbild der MS nur das phänomenologische Endprodukt dieser Vielfalt. Zu dieser Einschätzung kommt Professor Wolfgang Brück vom „Institut für Neuropathologie“ der Charité. Er hat in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus Wien und Rochester/USA zeigen können, dass die durch MS verursachten Gewebeschäden verschiedener Patienten unter dem Mikroskop ganz unterschiedlich aussehen, was auf unterschiedliche Krankheitsarten hinweist. Insbesondere sind die Zerstörung der Markscheiden (die den zentralen Prozess der Erkrankung ausmacht) und die Zerstörung der Nervenzellfortsätze (die die Signale von einer Nervenzelle auf die andere weiterleiten) zwei von einander unabhängige Prozesse.
Bis vor kurzem nahm man an, dass der entscheidende Vorgang bei der MS eine Autoimmunreaktion körpereigener Abwehrzellen ist, bei der das Immunsystems sich gegen Bestandteile der Umhüllung (Markscheide) von Nervenzellen richtet und die Hüllsubstanz mehr oder weniger großflächig zerstört. Die Wissenschaftler um Brück fanden nun heraus, dass Immunphänomene allein die Multiple Sklerose nicht in ihrem ganzen Ausmaß erklären können, vielmehr nur für einen Teil der Fälle verantwortlich sind. Die Zerstörung der Gehirnzellen (Oligodendrozyten), die die Markscheiden bilden, beruht in weiteren Gruppe von MS-Fällen auf Schäden oder Störungen im Stoffwechsel dieser Zellen und das Immunsystem ist daran vermutlich nur sekundär beteiligt. Diese Stoffwechselstörungen sind vermutlich auf Gendefekte zurückzuführen. Die Forscher haben an Hand histo-pathologischer Untersuchungen auch nachweisen können, dass bei einer größeren Gruppe von Patienten die Zerstörungen an den Achsenzylindern der Nervenzellen, die in bildgebenden Verfahren wie der Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) als „schwarze Löcher“ dargestellt werden und eine schlechte Prognose anzeigen, als degenerative Vorgänge einzustufen sind.
Zur Zeit sind die Wissenschaftler dabei, die pathologisch-histologischen Befunde mit den klinischen Erscheinungen der MS, den Bildern des MRT und mit bestimmten für die MS typischen Markern im Blut und im Nervenwasser (Liquor) der Erkrankten in Beziehung zu setzen und somit die Untergruppen der Multiplen Sklerose zu umreißen.
Mit der Kenntnis unterschiedlicher Arten der MS kommen auch gezieltere Therapien in den Blick, die den zugrundeliegenden Krankheitsmechanismus berücksichtigen. Zumal das bekannteste Mittel gegen MS, Interferon, nur bei etwa einem Drittel der Patienten wirksam ist und sich offenbar nur gegen Immunphänomene richtet. Bei den degenerativen Vorgängen, die anti-entzündlich nicht zu beeinflussen sind, wird man vermutlich versuchen, den Stoffwechsel der Oligodendrozyten, etwa mit Wachstumsfaktoren, zu verändern. Es gibt auch Hinweise darauf, dass mit Copaxone, einem Gemisch aus drei Aminosäuren, das jetzt auch in Deutschland zugelassen ist, die Entstehung „schwarzer Löcher“ zu verhindern ist, sofern das Mittel frühzeitig und langfristig eingesetzt wird.

Professor Brück hat für seine Arbeiten in jüngster Zeit zwei Preise erhalten: Am 12. Januar wurde ihm der mit 5000 Euro dotierte Queckenstaedt-Preis 2002 des Landesverbands Mecklenburg Vorpommern der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft verliehen und am 16. Januar wurde er mit dem Langheinrich-Preis 2000 der gleichnamigen Stiftung für „die beste Arbeit aus den Jahren 1999/2000 auf dem Gebiet der Multiple Sklerose Forschung“ ausgezeichnet. Der Preis ist mit 15.000 DM ausgestattet.

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Dr. med. Silvia Schattenfroh idw

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