Bonner Forscher lokalisieren Gen für manische Depression

Gestern himmelhoch jauchzend, heute zu Tode betrübt: Manisch-Depressive leiden unter extremen Stimmungsschwankungen; viele Erkrankte nehmen sich während einer depressiven Phase das Leben. Einer interdisziplinären Arbeitsgruppe unter Führung des Instituts für Humangenetik der Universität Bonn ist es gelungen, ein Gen zu lokalisieren, das die manisch-depressive Krankheit mit auslöst. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Zeitschrift „Human Molecular Genetics“ veröffentlicht.

Charles Burgess Fry gilt als einer der größten Sportler, den England je hervorgebracht hat. Doch nebenbei war der Kapitän der englischen Kricketmannschaft, Fußball- und Rugbyspieler sowie Autor mehrerer Kricket-Bücher auch ein hervorragender Altphilologe, dessen Hobby es war, englische Hymnen ins Griechische zu übersetzen. Der gerngesehene Partygast und berüchtigte Lebemann lehnte 1919 die albanische Krone ab – angeblich, weil es für diese Position kein Gehalt gab. Doch bis zu seinem Tode im Jahr 1956 wechselten sich bei ihm Phasen ungewöhnlicher Hyperaktivität mit Episoden tiefer Niedergeschlagenheit ab: Fry zeigte viele Merkmale einer manisch-depressiven Erkrankung.

Etwa ein Prozent aller Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens an dieser „bipolaren affektiven Störung“ – und das in allen bislang untersuchten Kulturkreisen. Die Ursachen sind noch unbekannt; dementsprechend schwierig gestaltet sich die Behandlung. Viele Betroffene nehmen sich im Laufe der Erkrankung das Leben.

Inzwischen ist bekannt, dass genetische Faktoren zur Krankheit beitragen. Träger der entsprechenden Erbanlagen, haben Zwillingsstudien ergeben, erkranken mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 bis 80 Prozent. „Wir haben daher vor zwölf Jahren damit begonnen, nach den beteiligten Genen zu suchen“, erklärt der Bonner Humangenetiker Professor Dr. Peter Propping. Gemeinsam mit Wissenschaftlern aus der Klinik für Psychiatrie und dem Institut für Biometrie sowie anderen Nervenkliniken haben sie insgesamt 75 Familien mit 445 Personen untersucht – 275 von ihnen waren manisch-depressiv. Die Sisyphus-Arbeit, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurde, könnte Früchte tragen: „Die Entdeckung der beteiligten Gene kann zur Entwicklung neuer Behandlungsverfahren führen.“

Nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms stehen die Genetiker vor einer ähnlichen Situation wie ein Linguist, der ein umfangreiches Werk aus einer völlig unbekannten Sprache ins Deutsche übersetzen soll: Sie müssen herausfinden, welchen Sinn die einzelnen Wörter im 23-bändigen Genom-Lexikon haben – dabei wissen sie noch nicht einmal, wo ein Wort anfängt oder endet. Erschwerend kommt noch hinzu, dass zwischen wichtigen Informationen ganz unvermittelt sinnloser Buchstabensalat auftauchen kann.

Jeder Mensch bekommt bei seiner Geburt zwei dieser „Genom-Lexika“ mit – eines von der Mutter, das zweite vom Vater -, die er in jeder seiner Körperzellen mit sich herumträgt. Für alle vererbbaren Merkmale enthalten die Zellen also zwei genetische Informationen. Bei der Produktion der Ei- oder Samenzellen wirft der Körper die doppelt vorhandenen Informationen über Bord und mischt nach dem Zufallsprinzip aus dem mütterlichen und väterlichen Genom-Lexikon eine neue Enzyklopädie zusammen, in der die Hälfte der Einträge vom Vater, die andere Hälfte aber von der Mutter stammen. Benachbarte Einträge kommen dabei häufig vom selben Elternteil – eine Regel, die Genomforscher bei ihrer Suche nach den Erbanlagen ausnutzen.

Hat beispielsweise ein Kind das Gen für die Blutgruppe „A“ von seinem Vater geerbt, stammen die Gene in der Nachbarschaft mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls vom Vater. Geschwister, die beide die Blutgruppe „A“ haben, haben daher rund um das Blutgruppen-Gen häufig ebenfalls die gleiche genetische Information. Professor Propping und seine Mitarbeiter haben nun bei Geschwistern, die unter der manisch-depressiven Krankheit leiden, untersucht, an welchen Stellen sich auf ihren Chromosomen die Erbinformationen besonders stark ähneln. Dazu haben sie 400 kurze Genom-Abschnitte unter die Lupe genommen. Resultat: Einige dieser Abschnitte sind bei den kranken Geschwistern besonders häufig identisch – in ihrer Nähe könnte sich ein Gen befinden, das zum Ausbruch der Krankheit beiträgt.

Zwei Abschnitte – einer auf dem langen Arm von Chromosom 8, der zweite auf Chromosom 10 – scheinen dabei besonders heiße Anwärter zu sein. Beide bestehen aber noch aus vielen Millionen ?Buchstaben? und sind daher viel zu groß, als dass man sie direkt sequenzieren und die Sequenz von Kranken und Gesunden miteinander vergleichen könnte. „Als nächsten Schritt planen wir daher, uns mit anderen Methoden noch weiter an das mögliche Gen heranzutasten“, erklärt Professor Propping und vergleicht sich mit dem Bewohner eines fremden Planeten, der versucht, mit dem Fernrohr auf der Erde die Stadt Bonn zu finden. „Inzwischen weiß er immerhin, dass er in Deutschland suchen muss – aber immer noch nicht, ob im Rheinland oder in der schwäbischen Alb.“


Ansprechpartner für die Medien: Prof. Dr. Peter Propping, Institut für Humangenetik, Tel.: 0228/287-2346, Fax: 0228/287-2380, E-Mail: propping@uni-bonn.de

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Dr. Andreas Archut idw

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