Die Menschen ohne Stimme verstehen

Studie an der Universität Leipzig widmet sich Befindlichkeiten von Patienten nach Kehlkopfentfernungen. Zwischenergebnisse werden auf Symposium am 1. Dezember vorgestellt.


Wenn ein Mensch an Kehlkopfkrebs erkrankt, kann die völlige Entfernung des erkrankten Organs auf chirurgischem oder strahlentherapeutischem Wege (Laryngektomie) heutzutage oftmals verhindert werden. Sobald der Tumor jedoch weit entwickelt ist, bleibt keine andere Wahl , als diesen Eingriff vorzunehmen. Was dies für den Patienten bedeutet, ermittelt derzeit eine Studie, die gegenwärtig in der Abteilung Sozialmedizin der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig läuft und deren Zwischenergebnisse auf einem Symposium am 1. Dezember vorgestellt werden.

An Kehlkopf- beziehungsweise Rachenkrebs erkranken in Deutschland jährlich rund 2.700 Männer und 440 Frauen. Das Haupterkrankungsalter liegt um das 63. Lebensjahr herum. Die Zahl der Kehlkopflosen in der Bundesrepublik wird auf 20.000 geschätzt.

Eine Kehlkopf-Entfernung bedeutet für den Betroffenen ein dramatische Veränderung seines Alltags. Die oberen Luft- und Speisewege werden durchtrennt. Die Luftröhre endet mit einem sichtbaren Loch am Hals, dem Tracheostoma. Die Atmung erfolgt nicht mehr über Mund und Nase sondern über dieses Tracheostoma, wodurch Befeuchtung, Reinigung und Anwärmung der Luft unmöglich und Erkrankungen der Atemwege häufiger sind. Der Verlust des Riechvermögens reduziert das Geschmackserleben. Die Patienten können keinen Druck im Bauchraum aufbauen und dadurch beispielsweise keine Lasten mehr heben. Und vor allem: Der Mensch verliert seine normale Stimme.

„Ein Teil der Patienten lernt, mit einer Ersatzstimme zu sprechen“, erläutert die Psychologin Susanne Singer, die die Studien zum Projekt durchgeführt hat. „Möglich ist die Ösophagusstimme – die sogenannte ’Rülpsstimme’ – bei der Luft in die Speiseröhre geatmet und gezielt wieder abgegeben wird. Andere nutzen elektronische Sprechhilfen, die an den Hals gehalten werden, oder eine kleine Prothesen, die der Chirurg zwischen Luft- und Speiseröhre pflanzt. Es gibt aber auch Patienten, die keine geeignete Ersatzstimme erlernen. Kaum einer der Betroffenen kann sich mit der Gebärdensprache anfreunden“.

„Unsere Studie versucht zu klären, wie die psychosoziale Rehabilitation von laryngektomierten Patienten – also von Menschen nach einer Kehlkopfentfernung – verläuft“, so Prof. Dr. Reinhold Schwarz, Leiter der Abteilung Sozialmedizin der medizinischen Fakultät sowie Leiter der psychosozialen Beratungsstelle für Krebspatienten. „Wir stellen uns eine ganze Reihe von Fragen: Welche speziellen Sorgen und Nöte haben Kehlkopflose? Wie gelingt deren berufliche und familiäre Wiedereingliederung? Bewältigen sie die Anbildung einer Ersatzstimme? Wie kann man sie unterstützen?“

Um zu den entsprechenden Daten zu kommen, haben die Leipziger Wissenschaftler 211 Patienten im Umkreis von etwa 200 Kilometern in medizinischen Einrichtungen oder zu Hause besucht und Informationen zu deren Befindlichkeiten gesammelt. Unterstützt wurden sie dabei von Studienzentren in HNO- und Rehabilitationskliniken sowie von Kooperationspartnern in Forschungszentren und Verbänden. Gefördert wurde die Studie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Schwerpunktes Rehabilitationswissenschaften.

Bisher war über die speziellen Sorgen und Nöte der zahlenmäßig vergleichsweise kleinen Gruppe von Kehlkopflosen nur relativ wenig bekannt, weshalb die Leipziger Sozialmediziner größtenteils Neuland betraten. „So ist bisher unzureichend beantwortet, warum einige schon Tage nach der Operation wieder sprechen lernen, andere es aber auch nach einem Jahr nicht bewältigt haben“, erläutert Susanne Singer. „Der Anteil der psychisch Erkrankten unter den Kehlkopflosen liegt, so ergaben es unsere Studien, bei rund einem Viertel. Aber welche Umstände tragen besonders dazu bei, dass diese Patienten psychisch leiden? Ist es die eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit, der häufige Verlust des Berufes oder etwas ganz anderes?“ Die Konferenz soll Ärzten und Logopäden ein umfassendes Bild von den Problemen der laryngektomierten Patienten geben. Angestrebt wird es, im Fortgang der Studie die Angehörigen enger in die Untersuchungen einzubinden und spezielle psychotherapeutische Methoden zu entwickeln, die gezielt diesem Patientenkreis zu mehr Lebensqualität verhelfen.

Nach Abschluss der Studie im Frühsommer 2005 sollen deren Ergebnisse auch Betroffenen und interessierten Laien vorgestellt werden. Den Rahmen für diese Veranstaltung bietet die psychosoziale Beratungsstelle für Tumorpatienten und Angehörige der Universität Leipzig. Diese Beratungsstelle befindet sich in der Leipziger Riemannstraße 32 und hat werktags von 9 bis 16 Uhr geöffnet. (Tel.: 0341/97 15407)

Marlis Heinz

weitere Informationen:
Susanne Singer
Telefon: 0341 97-15407
E-Mail: sins@medizin.uni-leipzig.de

Prof. Dr. Reinhold Schwarz
Telefon: 0341 97-15407
E-Mail: liebb@medizin.uni-leipzig.de

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Dr. Bärbel Adams idw

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