Neues Epilepsie-Gen entdeckt

Fehlfunktion des Chloridkanals

Epileptische Anfälle können einen plötzlichen Verlust des Bewußtseins für Sekunden bis Minuten verursachen, häufig verbunden mit Zuckungen von Armen oder Beinen bis hin zu schweren generalisierten Anfällen mit Verkrampfungen des ganzen Körpers. Etwa 1% der Weltbevölkerung leidet an Epilepsie, und 40% aller Epilepsien haben eine erbliche Komponente. Drei Forscherteams in den Abteilungen Angewandte Physiologie und Neurologie der Universität Ulm, der Klinik für Epileptologie der Universität Bonn sowie im Institut für Physiologie der RWTH Aachen haben gemeinsam ein neues Epilepsie-Gen entdeckt und den Krankheitsmechanismus beschrieben.

Das Krankheits-Gen kodiert für ein Eiweißmolekül in der Nervenzellwand, einen sogenannten Chloridkanal, der für die Hemmung der elektrischen Aktivität von Nervenzellen entscheidende Bedeutung hat. Die genetischen Veränderungen vermindern diese Hemmung, was zu einer gesteigerten Erregbarkeit im Gehirn und schließlich zu epileptischen Anfällen führt. Der Gendefekt wurde bei den vier häufigsten Formen erblicher Epilepsie entdeckt: den pyknoleptischen und juvenilen Absence-Epilepsien, bei denen es im Kindes- bzw. Jugendalter zu kurzen Abwesenheitszuständen kommt; der juvenilen myoklonischen Epilepsie, die mit morgendlichen Zuckungen der Arme einhergeht (wobei die Patienten zum Beispiel die Kaffetasse um werfen oder die Zahnbürste weg schleudern); und dem Aufwach-Grand-Mal, bei dem schwere generalisierte Anfälle in der Aufwachphase vorkommen. Die Entdeckung führt zu einem besseren Verständnis des Krankheitsmechanismus der Epilepsie, wovon langfristig auch die Therapie profitieren kann. Die Arbeit wird jetzt in dem renommierten Wissenschaftsmagazin „Nature Genetics“ veröffentlicht (Nature Genetics 2003, online am 3. März 2003). Von der Volkswagen-Stiftung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (Nationales Genomforschungsnetz in Bonn und Interdisziplinäres Zentrum für Klinische Forschung in Ulm) wurden die Arbeiten mit über 2 Mio. Euro gefördert.

Ursprünglich verfolgte die Arbeitsgruppe von Dr. Armin Heils in Bonn eine genetische Spur, die in einer von dem Berliner Epilepsieforscher Thomas Sander geführten europaweiten Studie mit Epilepsiefamilien entdeckt wurde: eine Assoziation der genannten häufigen erblichen Epilepsieformen mit genetischen Markern auf dem Chromosom 3, einem genau definierten Teil der Erbsubstanz. In diesem Teil befindet
sich ein Gen mit dem Bauplan für einen Chloridkanal, von dem vermutet wurde, daß er für die Hemmung von Nervenzellen wichtig ist. Dr. Heils und seine Mitarbeiter suchten systematisch nach Veränderungen in diesem Gen bei insgesamt 46 Epilepsiefamilien. In drei Familien konnten sie dann Mutationen finden, die bei gesunden Kontrollpersonen nicht auftraten.

Um nachzuweisen, daß diese Abweichungen tatsächlich Funktionsänderungen zur Folge haben, die epileptische Anfälle auslösen können, war es notwendig, die modifizierten Eiweißmoleküle in einem Modellsystem zu untersuchen. In den Labors von Prof. Dr. Christoph Fahlke in Aachen und PD Dr. Holger Lerche in Ulm, die sich speziell mit Chloridkanälen bzw. mit den Krankheitsmechanismen erblicher Epilepsien auseinandersetzen, wurden die veränderten Gene in ein Zellkultursystem integriert und die funktionellen Eigenschaften der Eiweißmoleküle in der Zellwand untersucht. Im Vergleich zu normal funktionierenden Chloridkanälen fanden sich bei den genetisch veränderten Molekülen deutliche Unterschiede, die entweder zu einem erheblichen Verlust der Durchlässigkeit für Chloridionen oder zu einem anderweitig veränderten Öffnungsmechanismus führen.

Das Gehirn besteht aus einem Netzwerk von Nervenzellen, die einerseits erregenden und andererseits hemmenden Einflüssen unterliegen. Jede Nervenzelle kommuniziert mit zahlreichen Nachbarzellen über elektrische Impulse. Ein epileptischer Anfall entsteht, wenn sich diese Impulse unkontrolliert ausbreiten: Schon ein einziges Ausgangssignal kann dann in Millionen von Nervenzellen eine entsprechende elektrische Antwort hervorrufen. Normalerweise wird das durch einen Botenstoff namens „GABA“ (Gamma-Amino-Buttersäure) verhindert, der die Erregbarkeit der Nervenzellen herabsetzt. Ein Teil der Medikamente, die gegen epileptische Anfälle wirksam sind, verstärkt diese neuronale Hemmung. Da GABA über den Einstrom von Chloridionen in die Zelle wirksam wird, kann sie nur dann hemmend wirken, wenn die Chloridkonzentration in der Nervenzelle sehr viel geringer ist als außerhalb. Der Chloridkanal sorgt normalerweise durch einen selektiven Chloridausstrom dafür, daß die Chloridkonzentration in der Zelle niedrig bleibt. Durch die Mutationen, wie sie bei den Epilepsiefamilien gefunden wurden, wird diese wichtige Funktion beeinträchtigt. GABA wirkt deshalb in bestimmten Situationen nicht mehr hemmend, ja eventuell sogar erregend. Sobald erregende Einflüsse überwiegen, können dadurch epileptische Anfälle ausgelöst werden.

Kontakt:

Dr. Armin Heils
Klinik für Epileptologie der Univ. Bonn
Tel. 0228 – 287-9342
Email: armin.heils@ukb.uni-bonn.de

Prof. Dr. Christoph Fahlke
RWTH Aachen, Institut für Physiologie
Tel. 0241 – 8088810
Email: chfahlke@physiology.rwth-aachen.de

PD Dr. Holger Lerche
Abteilungen für Angewandte Physiologie und Neurologie der Univ. Ulm
Tel. 0731 – 500-33616 oder 0731-177-5203
Email: holger.lerche@medizin.uni-ulm.de

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Peter Pietschmann idw

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