Das "Schmerzgedächtnis" macht empfindlich
Warum chronisch Schmerzkranke auch unter leichten Reizen leiden – Heidelberger Wissenschaftler finden Mechanismus für erhöhte Sensibilität
Wissenschaftler der Universitäten Heidelberg und Wien haben festgestellt, dass starke Schmerzreize die Eigenschaften bestimmter Zellen im Rückenmark verändern können und die Zellen dadurch überempfindlich werden. Mit dieser Entdeckung, die heute in der amerikanischen Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht wird, ist ein entscheidender Schritt bei der Suche nach Ursachen von chronischen Schmerzen gemacht worden.
Patienten, die unter chronischen Schmerzen leiden, bereiten auch Reize, die von Nichtbetroffenen kaum als schmerzhaft empfinden würden, unerträgliche Qual. Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Jürgen Sandkühler, ehemaliger Leiter des Forschungsschwerpunkts „Schmerz“ des Universitätsklinikums Heidelberg und derzeit Leiter der Abteilung für Neuropysiologie am Institut für Hirnforschung Universität Wien, hat nun festgestellt, dass die gesteigerte Schmerzempfindlichkeit von einer kleinen Gruppe von Nervenzellen (Neuronen) im Rückenmark vermittelt wird.
Gezielte Suche nach neuen Schmerzmitteln möglich
Dabei handelt sich um spezielle „Projektionsneurone“, denen bislang wenig Beachtung geschenkt worden ist. Die Zellen reagieren – genau wie andere Nervenzellen – auf Schmerzreize mit elektrischer Erregung, die sie an das Gehirn weiterleiten. Gibt es jedoch einen besonders starken Reiz, etwa bei Entzündungen, einem Unfall oder bei einer Operation, so schütten die Schmerzfasern des Nervensystems die Substanz P im Rückenmark aus. Dieses Neuropeptid bindet an einen Rezeptor, der nur auf der Oberfläche der besonderen Projektionsneurone zu finden ist. Außerdem öffnen die Projektionsneurone spezielle Poren in ihren Zellwänden, durch die Kalzium-Ionen einströmen. Dadurch wird in den Zellen eine Kaskade von Abläufen in Gang gesetzt, die sie überempfindlich macht: Die Nervenzellen melden dem Gehirn nun auch harmlose Reize als starke Schmerzreize.
Die Projektionsneurone behalten ihre veränderten Eigenschaften oft noch lange nach dem starken Auslöserreiz als eine Art „Schmerzgedächtnis“ – ein möglicher Grund dafür, dass manche Patienten unter chronischen Schmerzen leiden, selbst wenn die eigentliche Schmerzquelle längst ausgeheilt oder beseitigt ist. Die neuen Erkenntnissen über die Mechanismen, die chronischen Schmerzen zugrunde liegen, bedeuten einen großen Fortschritt für die Schmerzmedizin. „Jetzt ist es uns möglich, sehr gezielt nach Mitteln und Wegen zu suchen, wie sich die Entstehung des Schmerzgedächtnisses verhindern oder sogar umkehren lässt“, erklärt Prof. Sandkühler.
Kontaktadresse für weitere Auskünfte:
Institut für Hirnforschung
Medizinische Fakultät, Universität Wien
Prof. Dr. Jürgen Sandkühler
Spitalgasse 4, A-1090 Wien, Österreich
Telefon: + 43 – 1 – 4277 – 62834
FAX: + 43 – 1 – 4277 – 62865
E-mail: juergen.sandkuehler@univie.ac.at
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