Hoffnung für Muskelkranke: schneller Zugang zur neuesten Forschung

Die Muskeldystrophien vom Typ Duchenne (DMD) und Becker sowie die Spinale Muskelatrophie (SMA) sind erbliche neuromuskuläre Erkrankungen. Sie sind nicht heilbar. In Deutschland gibt es ca. 10.000-20.000 Patienten.

Es handelt sich um so seltene Erkrankungen (Orphan Diseases), dass neue Behandlungsmethoden und eventuelle Heilungsmöglichkeiten nur in einem länderübergreifenden Verbund der Spitzenklasse entwickelt werden können. Dafür wurde das europäische Exzellenz-Netzwerk TREAT-NMD für translationale Forschung gegründet.

In dessen Rahmen ging jetzt die deutsche Datenbank für Patienten mit DMD und SMA online, die Patienten können sich registrieren lassen. In vielen europäischen Ländern werden solche nationalen Register aufgebaut. Sie sind ein dringendes Anliegen von Patienten und deren Organisationen, um die zeitnahe Realisation klinischer Studien zu erleichtern. Denn über das europäische TREAT-NMD-Zentralregister in Frankreich ist dann schnelles und effizientes Handeln möglich, um etwa neue Medikamente an Patienten zu testen.

Die deutschen Patientendatenbanken führt mit Hilfe von EU-Fördermitteln das Friedrich-Baur-Institut an der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München. Projektleiterin ist Privatdozentin Dr. Maggie C. Walter. Sie betont: „Die Patientenregister sind ein erster Schritt zu verbesserter Forschung und vielver-sprechenden Therapien im Kampf gegen diese Krankheiten. Wir hoffen, dass sich möglichst viele Patienten eintragen.“

In den Datenbanken sollen alle europäischen Patienten mit DMD und SMA sowie Überträgerinnen der Muskeldystrophien erfasst werden. Unter www.dmd-register.de bzw www.sma-register.de können sich Betroffene eintragen und einen Fragebogen ausfüllen. Sie werden dann auch gezielt über neue Möglichkeiten und Erkenntnisse informiert. Die Wissenschaft bekommt wichtige Informationen über die Häufigkeit der Krankheiten.

Die Muskeldystrophie Duchenne tritt bei etwa einem von 3.500 Jungen auf. Ursache sind Veränderungen in dem Gen, das für das Protein Dystrophin zuständig ist und auf dem X-Chromosom lokalisiert ist. Wird kein Dystrophin produziert, spricht man vom Typ Duchenne, wird nur ein verkürztes Protein produziert, vom Typ Becker, der milder verläuft. Fehlt Dystrophin, gehen die Muskelfasern unter. Die motorische Entwicklung der Jungen ist verzögert. Später entwickelt sich eine Skoliose, auch Atem- und Herzmuskulatur sind betroffen. Die Patienten brauchen dann einen Rollstuhl und maschinelle Beatmung. Sie erreichen nur das frühe Erwachsenenalter. Beim Typ Becker bleibt die Gehfähigkeit bis ins Erwachsenenalter erhalten. Hier stehen die Herzprobleme im Vordergrund.

Die SMA kommt bei etwa einem von 6.000 Neugeborenen vor. Dabei gehen die motorischen Vorderhornzellen im Rückenmark zugrunde, welche über Nervenbahnen die gesamte Muskulatur steuern. Ursache sind Veränderungen im SMN1-Gen, das für das Protein SMN (Survival Motor Neuron) kodiert und für das Überleben der Motoneurone (motorische Nervenbahnen) von großer Bedeutung ist. Die häufigste genetische Veränderung des SMN1-Gens bei SMA ist die homozygote Deletion, bei der das Protein vollständig fehlt.

Die SMA Typ 1 zeigt sich bereits in den ersten Lebensmonaten, u. a. mit mangelnder Kopfkontrolle und fehlender Sitzbereitschaft. Im weiteren Verlauf kommt es zu erheblichen Atmungs- und Ernährungsschwierigkeiten. Die meisten der Kinder sterben in den ersten Lebensjahren. Die SMA Typ 2 beginnt meist ebenfalls vor dem 6. Lebensmonat, die Kinder erlernen jedoch das Sitzen. Typisch sind unterschiedlich lange Stillstandsphasen, so dass oftmals Patienten das erste Lebensjahrzehnt überleben. Sie kämpfen allerdings mit massiven Atmungsproblemen durch die Deformierung der Wirbelsäule. Der „milde“ Typ SMA 3 manifestiert sich im Alter von 1-30 Jahren. Die Gehfähigkeit bleibt unterschiedlich lange erhalten, und die Lebenserwartung ist nicht nennenswert eingeschränkt.

Im EU-Network of Excellence TREAT-NMD (Translational Research in Europe for the Assessment und Treatment of Neuromuscular Diseases; www.treat-nmd.eu) arbeiten führende Experten auf dem Gebiet der neuromuskulären Erkrankungen zusammen. Die Koordination liegt bei der Universität Newcastle/Großbritannien. Partner sind nationale Organisationen, Universitäten, wissenschaftliche Netzwerke, Patientenorganisationen und Pharmafirmen. Deutscher Partner ist das Muskeldystrophie-Netzwerk (MD-NET, www.md-net.org), das von den Professoren Hanns Lochmüller und Volker Straub aus Newcastle sowie Privatdozentin Dr. Maggie Walter in München koordiniert wird. Involviert sind auch Pharmafirmen, um die Entwicklung von neuen Medikamenten, vielleicht auch zur Heilung, voran-zutreiben.

Prof. Dr. Hanns Lochmüller: „Es gibt sehr vielversprechende Ansätze. Einige der neuen Therapiestrategien, z. B. Exon-Skipping bei DMD, zielen spezifisch auf bestimmte genetische Veränderungen. Manche davon sind so selten, dass nur wenige Patienten innerhalb eines Landes für eine solche Studie in Frage kommen. Um bei klinischen Studien dann ausreichend hohe Patientenzahlen zu erreichen, ist es notwendig, Studienteilnehmer in ganz Europa, eventuell auch weltweit, zu rekrutieren. Die Patienten, die in Frage kommen könnten, werden kontaktiert und können sich entscheiden, ob sie an der Studie teilnehmen wollen.“

Das internationale Interesse an dem Projekt ist so groß, dass statt der ur-sprünglich geplanten 5 nun 20 nationale Register teilnehmen, Auch aus den USA, Kanada, Australien und Japan werden Daten an das zentrale Register in Montpellier/Frankreich gesendet. Die Daten sind pseudonymisiert und werden verschlüsselt übertragen. Der Zugang zu diesen Daten ist durch europäische Gesetze und ethische Richtlinien geregelt (zum Herunterladen unter www.treat-nmd.eu/registries/toolkit.htm). TREAT-NMD bietet Trainings- und Weiterbildungsprogramme für Ärzte und Wissenschaftler an. An der Universität Freiburg wurde ein internationales Studien-Koordinationszentrum eingerichtet. Zusätzlich werden Biobanken vernetzt, über die Wissenschaftler Biomaterial erhalten können.

Das deutsche Register wird zum Teil durch TREAT-NMD finanziert und bekommt weitere finanzielle Unterstützung von den Patienten-/Elternorganisationen „aktion benni&co“ (DMD, www.benniundco.de) und der „Initiative SMA“ (www.initiative-sma.de). Andreas Hornkamp, Vater eines Jungen mit Duchenne und Vorstandsvorsitzender der aktion benni & co e. V: „Das Patientenregister ist ein Meilenstein auf dem Weg, auf Heilung für unsere Kinder zu hoffen.“ Und Inge Schwersenz von der Initiative „Forschung und Therapie für SMA“ im Förderverein für die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e. V.: „Wir sind sehr froh, dass dieses für Patienten wie Wissenschaftler gleichermaßen wichtige Projekt starten kann.“

Ansprechpartner:
Priv.-Doz. Dr. med. Maggie Walter
Friedrich-Baur-Institut
Ziemssenstr. 1, 80336 München
Tel. 089-51 60-74 00 oder 089-21 80-78 180
E-Mail: maggie.walter@lrz.uni-muenchen.de

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Philipp Kressirer idw

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