Echtzeit-fähige bildgebende Verfahren zur in-line Nanomaterial-Charakterisierung

Hyperspektrale Beleuchtungseinheit (IMANTO lighting) des Fraunhofer IWS
© Fraunhofer IWS; Bildquelle in Druckqualität: www.fep.fraunhofer.de/presse

Projekt NanoQI …

Im EU-geförderten Projekt NanoQI (GA Nummer: 862055) arbeiten acht Partner gemeinsam an der Entwicklung einer industrietauglichen, echtzeit- und in-line-fähigen Technologie zur Charakterisierung von Nanomaterialien. NanoQI wird als erstes Konsortium die Röntgendiffraktometrie (XRD) und Röntgenreflektometrie (XRR) optimieren und multimodal mit der neuartigen hyperspektralen Bildgebungstechnologie (HSI) kombinieren, um damit der Industrie Zugang zur Echtzeitbewertung von Geometrie, Struktur und Morphologie von Nanomaterialen sowie zur korrelativen Bildgebung von Homogenität und Defekten zu bieten.

Nanomaterialien sind Materialien, die per Definition in mindestens in einer Dimension eine äußere Abmessung von 1 – 1000 Nanometern haben. Diese „Winzlinge“ haben allerdings Wirkung und kommen mittlerweile in den verschiedensten Industriezweigen von der Kosmetik über die Luft-und Raumfahrt bis hin zur Verarbeitung in Konsumgütern aber auch im Energie- und Elektroniksektor zum Einsatz. So eignen sich Perovskitschichten beispielsweise sehr gut für die Herstellung von Dünnschicht-Solarzellen mit hohen Wirkungsgraden und niedrigen Herstellungskosten. Vakuum-Beschichtungsprozesse werden genutzt, um z. B. Kunststofffolien an der Oberfläche mit einer Permeationsbarriereschicht gegen Wasser oder Sauerstoff zu funktionalisieren. Wärmereflektierende Beschichtungen (Low-E) auf Folie oder Glas kommen z. B. in der Automobilindustrie und zur Energieeinsparung in Gebäuden zum Einsatz.

Die funktionellen Eigenschaften dieser dünnen Schichten mit einer Dicke im Nanometerbereich werden nicht nur durch die Materialauswahl, sondern auch durch ihre nanophysikalischen Abmessungen, ihre Struktur und ihre chemische Zusammensetzung bestimmt. Eine genaue Charakterisierung dieser Eigenschaften ist von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung neuer funktioneller Nanomaterialien und die Optimierung von Prozessen im Hinblick auf höhere Leistung, effizientere Herstellungsverfahren und Materialausbeute sowie die Skalierung auf größere Mengen.

Röntgencharakterisierungsverfahren wie die Röntgendiffraktometrie (XRD) oder die Röntgenreflektometrie (XRR) sind in Forschungslaboren für diese Aufgaben weit verbreitet, werden aber in der industriellen Materialentwicklung und in der Bewertung der Produktionsprozesse aufgrund technischer Beschränkungen und des hohen Niveaus an erforderlichem Fachwissen selten eingesetzt. Die hyperspektrale Bildgebung wird ebenfalls bereits für die Dünnschichtcharakterisierung in Laborumgebungen verwendet. Im Gegensatz zu einer RGB-Kamera, die ein Bild in nur drei Farben (rot, grün, blau) aufnimmt, ist eine Hyperspektralkamera in der Lage, ein Bild in Hunderten von verschiedenen „Farben“ im sichtbaren und kurzwelligen Infrarot-Spektralbereich gleichzeitig aufzunehmen, sodass jedes Pixel des Bildes die gesamte Spektralinformation einer Szene enthält. Diese zusätzlichen Informationen ermöglichen die Detektion und Visualisierung von schon geringen Unterschieden in den Schichteigenschaften.

Für den europäischen Markt für Nanomaterialien werden bis 2022 Umsätze von rund 9,1 Mrd. USD und Wachstumsraten von 20,0 % zwischen 2016 bis 2022 prognostiziert (Quelle: Matec Conferences). Unternehmen, die Nanomaterialien verwenden und herstellen, sind daher mit ständig steigenden Anforderungen an eine schnelle Prozessund Produktqualitätskontrolle konfrontiert. Dies erfordert industrietaugliche Echtzeitmessungen und prozessangepasste Überwachungsmöglichkeiten.

An diesem Punkt setzt das von der Europäischen Union mit Horizon 2020-Mitteln geförderte Projekt NanoQI an. Das Konsortium aus acht Unternehmen und Organisationen aus fünf europäischen Ländern startete bereits am 1. März 2020, um ein industrietaugliches, echtzeit- und in-line-fähiges Verfahren zur Charakterisierung und Abbildung von Nanostrukturen und Nanodimensionen von (Dünnschicht-)Nanomaterialien im kritischen Bereich von 1 bis 300 nm auf Probenoberflächen von mehr als 500 × 500 mm² zu entwickeln. NanoQI kombiniert hierfür erstmals Röntgenreflektometrie (XRR) und Röntgendiffraktometrie (XRD) sowie die breitbandige hyperspektrale Bildgebung (HSI) zu einer schnellen, echtzeitfähigen und in die Beschichtungsanlagen direkt integrierbare Methode zur Qualitätskontrolle in der Prozessierung von Dünnschichten. Diese Kombination ermöglicht es den Bedienern der Anlagen, noch während der Beschichtung auf anwendungsrelevante Schichteigenschaften wie die Schichtdicke von einzelnen Schichten in einem Schichtsystem, die Festkörperstruktur oder sogar abgeleitete funktionale Eigenschaften – wie die Wasserdampfdurchlässigkeit zuzugreifen.

Projektkoordinator Dr. John Fahlteich erläutert, wie die NanoQI-Lösung validiert werden soll: „Um eine wirklich industrietaugliche und echtzeit- sowie in-line-fähige Charakterisierungslösung für Nanomaterialien zu entwickeln, prüfen wir diese in drei Anwendungsszenarien. Hierzu zielen wir explizit auf Anwendungen mit hohem Bedarf an
Echtzeit-Charakterisierung ab.“ Bei den erwähnten Anwendungsbereichen handelt es sich um nano-kristalline Perowskit-Filme für hocheffiziente Solarzellen, transparente, leitfähige Schichtsysteme auf Kunststofffolien für die flexible Elektronik und die großflächige Atomlagenabscheidung von Funktionsschichten. Alle drei Systeme profitieren von einer in-line- Qualitätsüberwachung und einer bildgebenden Auswertung der Homogenität und Langzeitstabilität der Schichteigenschaften. Sie repräsentieren zudem stark wachsende Teilgebiete der Dünnschicht- und Nanotechnologie, in dem eine Vielzahl europäischer Unternehmen aktiv ist. So trägt NanoQI maßgeblich zur industriellen Wettbewerbsfähigkeit Europas bei.

Zur weiteren engen Verzahnung mit der Industrie, wie Maschinenhersteller, Materiallieferanten, Produktionsunternehmen und künftigen Nutzern, die von der NanoQI-Technologie profitieren können, werden externe Beratungsgremien aus diesen Bereichen mit einbezogen. Auch mit Vertretern der Normungsgremien (IEC TC113 und TC119, ISO TC229), Zertifizierungsstellen für Regulierung und Strahlenschutz (z. B. TÜV), Verbänden der Dünnschichtindustrie und wissenschaftlichen Experten für Materialanalyse steht das NanoQI-Konsortium in Austausch.

Pünktlich zur Projekt-Halbzeit im September 2021 konnten die Projektpartner erste Prototypen der Messgeräte in Betrieb nehmen, die bei Bruker AXS und Norsk Elektro Optikk AS (Norwegen) speziell für die Anforderungen des Projektes konfiguriert werden. Am Fraunhofer FEP in Dresden befindet sich inzwischen ein kombiniertes Röntgendiffraktometer (XRD) und Röntgenreflektometer (XRR). Ein weiteres XRD wurde beim Projektpartner TNO (Niederlande) erstmalig in eine Anlage zur Herstellung von Dünnschicht-Perovskit Solarzellen integriert. Mit diesen Geräten können Schichtdicken und Rauheiten im Nanometerbereich, sowie Kristallstrukturen dünner Schichten bzw. Schichtstapel sehr genau und mit hoher Geschwindigkeit gemessen werden.

Die so gewonnenen Materialdaten sollen als Grundlage für die Erstellung von optischen Modellen für die hochaufgelöste HSI Analyse großer beschichteter Substratflächen (10×10 cm²) dienen. Für die Integration der HSI Komponenten sowie die Auswertung der riesigen hyperspektralen Datenmengen (über 100 MB pro Sekunde) greift das NanoQI Projekt auf das Fachwissen des Fraunhofer IWS zurück. Dabei werden in
NanoQI Algorithmen für Maschinelles Lernen erprobt, um die Datenauswertung weiter zu beschleunigen und die Ermittlung abgeleiteter, funktionaler Eigenschaften der Schichten aus den HSI Bilddaten zu ermöglichen. Die HSI-Kamera Prototypen werden bei den Partnern ab November 2021 installiert und in Betrieb genommen. Im Anschluss werden die Methoden im operativen Betrieb der Beschichtungsanlagen erprobt und weiter optimiert.

In Zukunft wird die Kombination aus XRD, XRR und in die Maschinen integriertes HSI die Qualitätskontrolle und Prozessüberwachung in der industriellen Herstellung dünner funktionaler Schichten deutlich vereinfachen. So könnten Beschichtungsanlagen zukünftig mit Hilfe des NanoQI Know-Hows bereits während des Betriebs große Mengen ortsaufgelöster Daten über die Eigenschaften der hergestellten Schichten sammeln, verarbeiten und diese nahezu live grafisch darstellen. Das würde beispielsweise eine schnelle Optimierung der Prozessparameter zur Erreichung der gewünschten Schichteigenschaften und deren Homogenität ermöglichen. Ebenso wird die Ausbeute in der Fertigung erhöht, da bereits frühzeitig – bevor die Schichteigenschaften sich aus der Spezifikation heraus bewegen – die Prozessparameter nachgestellt werden können.

Pressekontakt:
Frau Annett Arnold
Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP
Telefon +49 351 2586 333 | presse@fep.fraunhofer.de
Winterbergstraße 28 | 01277 Dresden | Deutschland | www.fep.fraunhofer.de

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Franziska Lehmann Unternehmenskommunikation
Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP

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