Nahezu stromlos

Erfahrungen beim Alu-Schweißen

Aluminium stellt besondere Anforderungen an die Schweißverfahren und die Umgebungsbedingungen. „Sauberkeit ist oberstes Gebot. Dem stehen im Rohbau übliche Gegebenheiten wie Schleifstaub und als Korrosionsschutz Beölungen der Metalle gegenüber“, betont Karner. Weil Aluminium im flüssigen Aggregatzustand viel Wasserstoff löst, soll die Umgebung in der Halle möglichst trocken sein.

Soweit wie möglich soll der Wasserstoff – Ursache für Poren und Gefügefehler – aus der Schmelze diffundieren. Deshalb ist beim Schweißen die Wannen(PA)- oder zumindest Horizontal(PB)-Position anzustreben. Für die Schweißzusatzwerkstoffe gelten besondere Bedingungen. Magna Steyr lässt für sie aus Qualitätsgründen eine maximale Lagerzeit von sechs Monaten zu. Ein weiterer wichtiger Qualitätsfaktor ist ein geringes Spaltmaß. Es verringert die Schrumpfung und erhöht die Festigkeit.Ein gravierender Unterschied kennzeichnet Aluminium beim Erwärmen im Vergleich zu Stahl: Während Stahl sich lediglich verzieht, schrumpft Aluminium beim anschließenden Abkühlen erheblich.

Entsprechend ausgelegte Vorrichtungen, in denen die geschweißten Teile gleiten können, müssen solche Bewegungen ausgleichen. Kann sich das Bauteil nicht ausdehnen und anschließend wieder schrumpfen, entstehen Risse. Dabei spielt auch die Abkühlgeschwindigkeit eine Rolle. Aus den im Detail und ihren Auswirkungen komplexen Anforderungen resultiert, dass die Schweißer noch umfassender ausgebildet sowie trainiert sein müssen als ihre Stahl verarbeitenden Kollegen. „Sie müssen ein Gefühl dafür entwickeln, wie der Lichtbogen brennen muss, sich auf die Schmelze einstellen, sehen wie sie rinnen muss, ob der Einbrand härter oder weicher sein muss.

Das erfordert Fertigkeiten, die schwer zu beschreiben sind und deshalb über Lehrbuchwissen hinaus gehen. Unsere Schweißerinnen und Schweißer erfahren sie in der Ausbildung und können sie nur durch intensives Üben und laufende Praxis beherrschen“; weiß Werner Karner. Er hat bei Magna Steyr 100 CMT-Schweißerinnen und Schweißer für das Projekt ausgebildet.

Spezifische Anforderungen

Technisch betrachtet stehen Festigkeit und dauerhafte Haltbarkeit der Schweißnähte im Vordergrund. Solche Kriterien sind objektiv zu definieren und zu erfüllen. Korrektes Durchschweißen und ein limitierter Porenanteil (Wasserstoffeinfluss) zählen zu den Beurteilungskriterien. Der Porenanteil bzw. die Porenfreiheit geht stark in die optische Qualität ein. Sie hat bei einem Fahrzeug dieser Premiumklasse eine hohe Priorität. Um nach dem Finish die gewünschte Haptik zu erfüllen, müssen die Nähte im Sichtbereich Materialüberhöhungen aufweisen – und dies ohne Nachschweißungen.

Spachteln ist für diese Fahrzeugkategorie tabu. Für die Fertigung einer Kleinserie mit 70.000 mm Schweißnahtlänge je Karosserie bietet sich manuelles Schweißen an. Neben der geringen Stückzahl sprechen dafür die zahlreichen, häufig kurzen und teilweise sehr schwer zugänglichen Fügestellen. Sie verbinden 16 Guss-, 146 Profil- und 197 Blechteile. Aus ökonomischen Gründen würde dies in automatisierten Prozessen ¿ soweit technisch überhaupt realisierbar – einen hohen Vorbereitungsaufwand und damit hohe Fixkosten bedeuten. Damit scheiden Widerstands-Punktschweißverfahren generell aus. Die Gründe dafür bilden die einerseits schwierige Zugänglichkeit und andererseits die Geometrie der Schweißzangen. Außerdem wären die Produktivität und Prozesssicherheit konventioneller Punktschweißverfahren bei Aluminium wegen der geringen Elektrodenstandzeit (Oxidanlegierungen) ein Ausschlusskriterium. Welche Schweißverfahren bieten sich unter diesen Aspekten für die Produktion der Karosserie an?

Grenzen des WIG-Schweißens

Das WIG (Wolfram-Inertgas)-Schweißen, oft als Königsdisziplin der Schweißtechnik bezeichnet, würde beim Rohbau des SLS AMG erhebliche Probleme aufwerfen. Welche Gründe sprechen hier gegen das bewährte Verfahren? Das WIG-Verfahren erzeugt bei relativ hohen Temperaturen und einer langen Schweißzeit einen hohen Wärmeeintrag in das Schweißgut. Schrumpfungen bis zu einem Millimeter pro Naht können die Folge sein. Weil die Nähte sich über die gesamte Karosserie – Spaceframe und Außenhülle – verteilen, würden die Schrumpfungen erhebliche dreidimensionale Verkürzungen ergeben. Ihre Wirkung in Abhängigkeit von den Nahtpositionen, -richtungen und -lagen zueinander sind hoch komplex. Häufig wären zum Ausgleich große Spaltmaße erforderlich. Sie würden geringere Festigkeit und höhere Schrumpfung fördern. Das Zusammenwirken und die Ergebnisse dieser Faktoren lassen sich nicht per CAD berechnen. Deshalb scheitert es, passend größere Bauteile zu ermitteln, die gefügt in Summe die gewünschten Karosserieendmaße ergeben. Im konkreten Fall würde 70.000 mm WIG-Schweißen am SLS AMG voraussetzen, alle Nähte mit entsprechenden Vorrichtungen zu schweißen, die Schrumpfung und ihre Auswirkungen zu testen und dann iterativ die Bauteile sowie die Vorrichtungen anzupassen. „Dieser Prozess, bezogen auf alle zu fügenden Bleche, Profile und vor allem Gussstücke wäre nicht nur sehr schwierig, sondern äußerst aufwändig. Statt auf Berechnungen wären wir auf Erfahrungen und Bauchgefühl angewiesen. Und für die Rohbaufertigungslinie wäre es schwierig, genügend qualifizierte erfahrene WIG-Schweißer zu finden. Sobald eine konstruktive Änderung erforderlich wäre, ginge es nahezu wieder von vorne los“; resümiert Schweißexperte Karner. Für die Produktion käme eine weitere negative Auswirkung hinzu: Die lange Abkühlzeit der stark erwärmten Bauteile würde die Taktzeit unzulässig verlängern. Oder eine parallele Linie wäre erforderlich. Magna Steyr suchte deshalb ein Schweißverfahren, dass ohne diese Nachteile auskommt, aber trotzdem die anerkannten Vorzüge des WIG-Schweißens erfüllt. Dabei bietet das Plasma-Schweißen keine Alternative, weil es vom Wärmeeintrag her ähnliche Wirkungen hat.

Wege zur optimalen Lösung

Da WIG- und Plasma-Schweißen aus wirtschaftlichen und pragmatischen Gründen ausschieden, blieb das MIG(Metall-Inertgas)-Schweißen als Option. Seine Schweißgeschwindigkeit und die Wirtschaftlichkeit zählen zu den Positivposten. Dagegen stehen die negativen Nebenwirkungen: Häufig zu geringe Nahtüberhöhungen besonders beim manuellen Schweißen, Spritzerbildung wegen schwankender Lichtbogenlängen des handgeführten Brenners, Rauchentwicklung und die mangelhafte Nahtoptik. In seiner Funktion als Verantwortlicher für die Produktion von Prototypen hatte Karner produktivere Schweißverfahren gesucht. So kam er in Kontakt mit dem „kalten“ CMT(Cold Metal Transfer)-Verfahren von Fronius. Die Basis für sein Interesse legten die CMT-spezifischen Eigenschaften wie geringer Wärmeeintrag, praktische Spritzerfreiheit, gute Spaltüberbrückung. Aus diesen Merkmalen resultieren sowohl geringer Verzug als auch geringe Nacharbeit. Allerdings bestand ein entscheidendes Manko: Im industriellen Maßstab existierten nur automatisierte Versionen für das Roboterfügen. Mit dem Ansprechpartner von Fronius begann die Diskussion über eine manuell bedienbare CMT-Version. Werner Karner hatte bei den erforderlichen Entwicklungsarbeiten die Rückendeckung seines Vorgesetzten Manfred Kolar. Bis zum Start der Entscheidung über die endgültigen Produktionsverfahren für den SLS AMG blieben noch zwei Jahre, die die Beteiligten intensiv nutzten. Als erstes waren Größe, Form und Gewicht des Brenners, der den reversierenden Drahtvorschub enthält, anzupassen. Außerdem müssen die wesentlichen Steuerfunktionen manuell, d.h. direkt am Brenner während des Schweißens eingestellt werden können. Nur so kann die Schweißerin bzw. der Schweißer die entscheidende Vorteile des CMT-Verfahrens nutzen: Flexibles und schnelles Reagieren auf unterschiedliche und sich ändernde Spaltmaße. Daraus ergeben sich bei dieser Anwendung eine klare Überlegenheit erfahrender Schweißer im Vergleich zu einem programmierten Roboter!Die Erprobungen zeigten unterschiedliche Ergebnisse. Bei der ersten Erprobung mit CMT gab es weder Rauch noch Spritzer, und die Nahtschuppung überzeugte. Doch bei größeren Materialdicken war der Einbrand zu gering. Den weiteren Verlauf kennzeichnete ein intensiver Entwicklungsprozess: Verbesserungen am Handbrenner; Testen verschiedener Kennlinien und ihrer Auswirkungen; Laboruntersuchungen an Schliffproben hinsichtlich Porosität, Durchschweißen, Flanken- und Wurzelausbildung. Die Grenzen des für das Dünnblechschweißen entwickelten CMT-Prozesses hätten es erforderlich gemacht, die bis zu fünf Millimeter mm dickeren Teile mit dem MIG-Verfahren zu fügen. Für die Produktion wäre dieser Mix deutlich aufwändiger. So kam ein neues Entwicklungsziel hinzu: Lediglich ein Schweißverfahren für alle Fügestellen des SLS AMG! Parallele Entwicklungen bei Fronius boten eine Alternative mit CMT Puls. Diese Lichtbogenversion realisiert eine Kombination von CMT und dem MIG-Impulslichtbogen. Mit ihr kann der Anwender nacheinander folgend beliebige Zahlen von CMT-Pulsen mit ebenso beliebigen des MIG-Impulslichtbogens kombinieren. Gezielt höhere Abschmelzleistungen als beim reinen CMT-Prozess sind das Ergebnis. Für die Bedingungen beim Aluminiumschweißen des SLS AMG entwickelte Fronius eine eigene Kennlinie. Sie berücksichtigt sowohl den speziellen Schweißzusatzwerkstoff als auch die unterschiedlichen Materialdicken. An der jeweiligen Fügestelle variieren die Schweißer bei Bedarf situationsspezifisch die Stromstärke. Dafür genügt ein Fenster von ± 10 Prozent. Fügeexperte Karner berichtet: „Die Spaltmaße können um mehrere Zehntel Millimeter differieren. Das erfordert eine kurzfristige Reaktion des Schweißers und die Kompensation mit ein paar Ampere mehr oder weniger. Jedes Ampere steht jetzt direkt zum Regeln zur Verfügung. Diese Fertigkeit, situationsspezifisch die Fügestelle, das Schmelzbad und die Brennereinstellung in Einklang zu bringen, trainieren wir mit unseren CMT-Schweißerinnen und Schweißern. Damit erreichen wir die gewünschte Nahtqualität und die geforderte Wirtschaftlichkeit.“Voraussetzung für die CMT-Ausbildung sind die gültige Prüfung EN287-1 für das MAG-Schweißen, die Ausbildung selbst umfasst je 40 Stunden WIG-Stahl- und WIG-Aluminium-Kurse und 80 Stunden CMT mit Abschluss einer bestandenen ENISO 9606-2 Prüfung.

Erfahrungswerte

Werner Karner fasst seine einschlägigen CMT-Erfahrungen zusammen: „Nach meinem Wissen über den heutigen Stand der Technik – und ich habe mich mit vielen anderen Verfahren beschäftigt – ist CMT manuell für diese Anwendung unschlagbar. Das betrifft sowohl die Nahtoptik wie alle übrigen Ergebnisse. Ich kenne nur eine Extremsituation für die es eine bessere Lösung gibt: CMT Advanced, aber das ist ein eigenes Kapitel.“Rechtzeitig zum Produktionsstart im Dezember 2009 hatten 100 Mitarbeiter die CMT-Schweißerausbildung absolviert, und über 40 Systeme Trans Puls Synergic 2700 waren in den Produktionsablauf integriert. Mit dem Übergang in die Produktion und dem einwandfreien Funktionieren des CMT-Systems ist das Projekt für den Versuchsbau und damit für Karner positiv abgeschlossen. ms

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