TV-Doku: Dunkle Materie – Welt im Unsichtbaren

In Schulbüchern kann man heute überall lesen, dass die Materie, wie wir sie im Himmel und auf Erden sehen können und aus der auch alles Leben entsteht, nur einen winzigen Teil des Universums ausmacht. Lediglich fünf Prozent dessen, was da für uns die Wirklichkeit zu sein scheint, gehört zur sogenannten baryonischen Materie aus Elementarteilchen, die sich zu Atomen zusammensetzen und die – wenn sie zusammenstoßen – Licht aussenden: Photonen – Grundlage dessen, was wir wahrnehmen können und als unsere reale Welt ansehen. Doch seit vielen Jahrzehnten zeigen Beobachtungen auch, dass diese Materie allein nicht zur Erklärung einiger beobachtbaren Himmelsphänomene ausreicht. Schon in den dreißiger Jahren begannen Astrophysiker über das Konzept einer Dunklen Materie zu spekulieren. Heute wird sie im kosmologischen Modell als Faktum gehandelt, obwohl die Dunkle Materie trotz größter Anstrengungen weder im irdischen, noch im himmlischen Labor  bisher jemals direkt nachzuweisen war. Es zeigen sich keine unbekannten Phänomene, die einer Dunklen Materie zugeschrieben werden könnten.

Was genau Dunkle Materie eigentlich ist, bleibt deshalb weiter Diskussionsstoff der gelehrten Welt. Mit dem theoretischen Physiker Matthias Bartelmann spricht Susanne Päch in der HYPERRAUM.TV-Doku „Welt im Unsichtbaren – die unterschiedlichen Spielarten der geheimnisvollen Dunklen Materie“ darüber, wie sich Kosmologen heute die Dunkle Materie mit ihren  physikalischen Eigenschaften vorstellen.  Es geht aber in der Sendung auch um die Frage, welche Indizien nach Meinung des Experten heute die Dunkle Materie am besten dokumentieren – angesichts anderer theoretischer Ansätze wie die MOND-Theorie, die mit einer Veränderungen des Newtonschen Gravitationsgesetzes  manche Detail-Phänomene im Universum heute besser erklären kann als in einer Welt mit Dunkler Materie.

Auch wenn die größte Zahl aller Forscher die Dunkle Materie als gegeben sieht, gibt es längst noch keine Einigkeit, um was für eine Art „Stoff“ es sich dabei handelt. Denn die bisherigen abstrakten Berechnungen über die Entwicklungsgeschichte des Universums zeigen die grundlegenden Strukturen im All oder deren Entstehung bisher nur modellhaft angenähert. Ein reales Abbild der messbaren Strukturen können sie heute nicht abbilden. Das schafft Raum für alternative Denk-Szenarien rund um die Dunkle Materie. Unterschiedliche Konzepte kursieren, die die einen oder auch die anderen Beobachtungen im Universum besser erklären können.

Die „klassische“ Dunkle Materie ist ein Elementarteilchen, das ausschließlich mit der Gravitation, nicht aber mit den anderen Kräften im Universum – vor allem nicht mit der elektromagnetischen Kraft – wechselwirkt. Diese Dunkle Materie kann Materie vergleichbar zu den Neutrinos ungehindert durchdringen und ist deshalb für uns bisher unsichtbar. Daneben gibt es das theoretische Modell der extrem massearmen Axionen. Eine charakteristische Eigenschaft der Axionen ist ihre theoretisch ableitbare Fähigkeit, sich innerhalb eines starken Magnetfeldes in elektromagnetische Wellen umzuwandeln und umgekehrt. Man kann sich also die dunkle Axionmaterie wie ein Feld oder Wellenphänomen vorstellen, eine Art Laserlicht mit Masse, das daher im Raum nahezu ruht anstatt mit Lichtgeschwindigkeit zu laufen. Phänomene dieser Art hat man bisher aber weder im Labor, noch im Universum nachweisen können. Und zuletzt gibt es auch Vertreter, die in der Dunklen Materie winzige Schwarze Löcher sehen, die sich früh im Universum bildeten und seither den Raum durchfluten.

Die historisch erste Art der Dunklen Materie, die sogenannten WIMP, die weakly interacting massive particles, sind heute besonders beliebt. Sie gibt es inzwischen in unterschiedlichen „Spielarten“, die sich vor allem durch ihre  Temperatur unterscheiden: die leichtesten sind die „heißen“ Objekte, weil sie sich besonders schnell bewegen können, die schweren WIMP dagegen sind „kalt“. Ihre Temperatur liegt nur wenig über dem absoluten Nullpunkt. Bedeutsam ist die Temperatur deshalb, weil sie ein Maß für die Wechselwirkung der Teilchen ist. Für die Dunkle Materie ist der Spielraum bezüglich ihrer Temperatur – also zwischen heiß und kalt – allerdings sehr schmal. Denn werden sie zu heiß, dann müsste diese Temperatur zu beobachtbaren Effekten bei der sichtbaren Materie führen.

Die kältesten bekannten Objekte sind die Lyman-Alpha-Wolken: extrem kalte, dunkle Wolken aus Wasserstoff in sehr großer Entfernung zu uns. Experten schätzen, dass ihre Temperatur nur wenig über dem absoluten Nullpunkt liegt. Und deshalb sind sie gerade für die Forscher der Dunklen Materie höchst aufschlussreich. Eingebettet im Inneren dieser Wolken liegen, wie wir seit einigen Jahren wissen, mächtige leuchtende Sternansammlungen, deren Einzelsterne die Instrumente heute nicht auflösen können. Das Phänomen lässt sich aber auch in der Milchstraße betrachten, beispielsweise im Orionnebel. Die heißen Photonen der Region aktiver Sternentstehung regen das dunkle Gas in den umliegenden Wolken an, und bringen es so zum Leuchten. So werden die kalten und eigentlich dunklen Wolken für unsere Instrumente dann doch beobachtbar. Für die Dunkle Materie sind die Lyman-Alpha-Wolken als kälteste beobachtbare Materie im Kosmos daher von großer Bedeutung, denn Geschwindigkeit und Temperatur sind – wie wir seit den Forschungen eines James Clerk Maxwell oder Ludwig Boltzmann exakt wissen – nur zwei Seiten der selben Medaille.  Die Lyman-Alpha-Wolken als kälteste bekannte Materie im Universum definieren damit auch die oberste Temperatur-Grenze für Dunkle Materie. Selbst die „heißesten“ WIMP müssen noch darunter liegen. Denn wären die Teilchen der dunklen Materie heißer als die Lyman-Wolken, dürfte es diese gar nicht geben: Dann würden sie gewissermaßen verdampfen.

Dass es Dunkle Materie – welcher Art auch immer – im Kosmos geben muss, ist für Bartelmann zwar nicht endgültig entschieden, aber seiner Meinung nach kann sie kosmologische Phänomene heute unter allen Spielarten großskaliger Modelle am besten erklären. Dazu gehören auch die filamentartigen Strukturen im Kosmos, die für ihn ein starkes Argument gegenüber anderen theoretischen Ansätzen sind. Wir sehen sie schon in den ersten Bildern des Universums, in der Hintergrundstrahlung, die aus einer Zeit von knapp 400.000 Jahren nach dem Urknall stammt. Diese extrem schwache Radiostrahlung erfüllt das ganze Universum und zeigt im Himmelsatlas bereits diese filamentsartige Strukturen, die sich mit der Expansion des Universums weiter ausbreiteten.

Und dann gibt es noch den Gravitationslinseneffekt, den Astrophysiker wie Bartelmann gern als wichtigen Beleg  für die bisher unbewiesene Existenz der Dunklen Materie heranziehen. Man versteht darunter die Beobachtung, dass das Licht von Himmelsobjekten, die, von der Erde aus betrachtet, hinter massereichen Objekten vorbei ziehen, abgelenkt wird – exakt wie von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie  vorhergesagt. Diese Ablenkung führt zu unterschiedlichen Verzerrungen des Lichtstrahls, je nach der Masse des Vordergrundobjektes. Dank der Allgemeinen Relativitätstheorie lässt sich mit diesen Verzerrungen auf die Gesamtmasse des Objektes schließen, das als Gravitationslinse dient. Zieht man davon die sichtbare, also die beobachtbare Masse ab, bleibt jener Anteil übrig, der der Dunklen Materie zuzusprechen ist. Für Bartelmann ist dieser Gravitationslinseneffekt ein starkes Indiz für die Existenz Dunkle Materie. Wenn auch nur indirekt erfassbar, so lassen sich damit sogar Höhenlinienkarten der Verteilung Dunkler Materie in Himmelsobjekten erstellen.

Aber: Reichen solche letztlich indirekten Indizien allein schon aus, Dunkle Materie im Universum als gesetzt zu betrachten? Die kleine Gruppe von Rebellen, die das heute bestreitet, sucht nach anderen Wegen, wie sich der Kosmos auch ohne Dunkle Materie beschreiben lässt – und sie alle setzen beim Gravitationsgesetz an. Die einen modifizieren es, so dass Newtons Gravitation und Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie als Spezialfall weiterhin Gültigkeit haben. Die anderen sehen gar ein ganz alternatives Gesetz der Gravitation an seiner Stelle. Alle Vertreter dieser Minderheit eint die Überzeugung, dass mit solchen Ansätzen einige der neuesten astronomischen Fakten besser zur Deckung zu bringen sind. Bartelmann beteuert, nicht zu den “flammenden Verfechtern“ der Dunkler Materie zu gehören. Er habe selbst schon mit alternativen Ansätzen theoretische Berechnungen angestellt, sei aber immer wieder zum Konzept der Existenz Dunkler Materie zurück gekehrt, weil sie seiner Meinung nach – über alles betrachtet – von allen möglichen Ansätzen das Universum, wie wir es sehen, am besten erklärt.

Ansprechpartner:
Dr. Susanne Päch
Chefredaktion HYPERRAUM.TV
Bavariafilmplatz 3
82031 Grünwald
susanne.paech@hyperraum.tv

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