TV-Doku: Der Astro-Rebell

Pavel Kroupa liebt die klaren Worte – und hat auch kein Problem, Kollegen mit schweren verbalen Geschützen anzugreifen, wenn er davon überzeugt ist, richtig zu liegen. Er versteht nicht, warum die meisten seiner Kosmologen an die Dunkle Materie glauben und es für eine Art Blasphemie halten, auch nur daran zu zweifeln. In der HYPERRAUM.TV- Doku „Der Astro-Rebell  – Pavel Kroupa: „Dunkle Materie gibt es nicht!“ stellt Susanne Päch den rebellischen Forscher vor.

Es war purer Zufall, der den theoretischen Astrophysiker von der Dunklen Materie in die Welt aus bloßem Licht führte. Heute tritt der Außenseiter der kosmologischen Gemeinschaft mit klarer Kante an die Öffentlichkeit. Mit einem kleinen Forschungsteam begeisterter Wissenschaftler aus aller Welt vertritt er die Vorstellungswelt einer modifizierten Gravitationstheorie, die sich MOND nennt – für: MilgrOmiaN Dynamics. Sie setzt voraus, dass die Gravitation kein im ganzen Kosmos gleich wirkendes Gesetz ist. Weit draußen im materie-armen Vakuum soll sie verändert sein.

MOND wurde von Mordehai Milgrom in den achtziger Jahren entwickelt, nachdem Galaxien zum ersten male vermessen wurden und dadurch Diskrepanzen mit dem Model der Dunklen Materie auftraten. Hauptziel war und ist es für die kleine Schar der MOND-Forscher daher, astronomische Messungen anders und aus ihrer Sicht auch besser als mit Dunkler Materie zu erklären. Die Vorteile, die MOND für etliche moderne Beobachtungsdaten zeigt, sind zumindest für Kroupa inzwischen schlagend. Mit seinem Team MOND-süchtiger Post-Docs und Studenten an den Unis von Prag und Bonn untersucht er inzwischen unterschiedliche Fragen anhand kosmologischer Detail-Simulationen auf der Grundlage von MOND, bis hin zum ziemlich gewagten  alternativen Erklärungsversuch der kosmischen Hintergrundstrahlung. Mit seinen jungen Wilden stößt er damit in eine für MOND bisher unbekannte Welt vor.

Alles begann bei Kroupa mit der Stellardynamik von Zwerggalaxien, scheinbar kleine, aber für den Astrophysiker alles andere als unscheinbare Himmelsobjekte. In den neunziger Jahren waren nur wenige dieser auffälligen Mini-Begleiter der Milchstraße bekannt. Trotzdem führten sie  Kroupa zu einem gänzlich neuen Denkgebäude, in das er „rein gestolpert“ sei, weil ihm „die Evidenz der Daten etwas anderes zeigte als die Theorie der Kosmologen damals sagte“. Gemeint hatte er zuerst einmal Prozesse der Galaxienbildung.

Denn die Beobachtungsdaten der Zwerggalaxien ließen sich nicht mit der Existenz der Dunklen Materie in Einklang bringen. Sie zeigen zuerst einmal einen viel zu hohen Anteil Dunkler Materie als theoretisch zulässig. Und zudem liegen sie nicht eher zufällig  um die Muttergalaxie verteilt, sondern scheinbar in einer Ebene. Mit der modernen Gravitationstheorie dagegen ließ sich die Sterndynamik der Zwerggalaxien zuerst einmal gänzlich ohne Dunkle Materie präzise simulieren. Das führte Kroupa immer tiefer in kosmologische Forschungsfragen. So berechnete er mit seinem Team beispielsweise, dass Andromeda und Milchstraße in der MOND-Welt vor rund 10 Milliarden Jahren schon einmal zusammengestoßen sein müssen und sich dann wieder voneinander fort bewegten.  Das war nach Kroupas Auffassung jene Phase, in der die Zwerggalaxien  entstanden. Und sie entstanden nicht so, wie das mit Dunkler Materie erforderlich wäre.  An dieser Stelle kommen die dissipativen Strukturen ins Geschehen, die wir im Universum beobachten und die für Kroupa so etwas wie ein Killer-Argument  gegen die Existenz der Dunklen Materie sind. Denn die Zwerggalaxien verteilen sich nicht zufällig um ihre Muttergalaxie, sondern liegen wie Planetenbahnen in einer Scheibenstruktur. Gäbe es indessen um Galaxien den postulierten großen Kokon Dunkler Materie, müssten die Zwerggalaxien viel zufälliger um die Muttergalaxien verteilt sein. Mit dem Ansatz von MOND und ohne Dunkle Materie lösten sich alle Probleme wie von selbst.

Die Entdeckungen etlicher neuer Zwerggalaxien seit dem Beginn des neuen Jahrtausends scheinen das Kollisions-Konzept von Andromeda und Milchstraße mit der Entstehung von Zwerggalaxien gut zu bestätigen – und Kroupa legt Wert auf die Feststellung, dass sie seiner Vorhersage für ihre Anordnung in der Scheibenstruktur genau folgen – nicht ohne noch einen kleinen Seitenhieb auf die Heerschar von Verfechtern Dunkler Materie  zu geben, denen nach Meinung von Kroupa bisher überhaupt noch keine einzige nennenswerte Vorhersage gelungen sei.

Die  etablierte Astrophysik hat mit dieser richtigen Vorhersage von Kroupa allerdings ein echtes Problem: Denn sie fußt zum einen auf einer Welt ohne Dunkle Materie – und zum anderen gelten dort die Zwerggalaxien der Milchstraße nicht als Kollisionsergebnis, sondern stammen als Relikt aus der Frühzeit des Universums, lange bevor die großen Galaxien entstanden sind.

Zwei Vorstellungswelten, die ziemlich weit auseinander liegen. Auf der einen Seite: In einer Scheibenstruktur angeordnete Zwerggalaxien als Derivate der Galaxien-Kollision von Milchstraße und Andromeda in einem Universum ohne Dunkle Materie.  Und auf der anderen Seite: Zwerggalaxien als früheste Bausteine, im Kosmos, die erst danach zu großen Galaxien verschmolzen sind und von denen noch einige wenige die Milchstraße als historische Zeugen der frühesten Universums umkreisen.

Über die Zwerggalaxien erst einmal mit MOND infiziert, sucht Kroupa seither nach weiteren Beobachtungen, die sich für ihn ohne Dunkle Materie besser erklären lassen – wie etwa die kompakten elliptischen Galaxien: Ihre Beobachtungen offenbaren, sagt Kroupa, stellardynamisch gesehen viel zu wenig von dem unsichtbaren Stoff als vom Standardmodell vorhergesagt. Warum brauchen die großen Spiralgalaxien viel Dunkle Materie, die großen elliptischen Galaxien dagegen nur sehr wenig?  Und das bisschen Dunkle Materie, das  für die Korrektur der stellardynamischen Beobachtungsdaten bei elliptischen Galaxien benötigt wird,  berechnet Kroupa mit normaler, aber zu schwach leuchtender Materie, weg, also ganz normale sichtbare Materie, die für uns nur unsichtbar erscheint – Sternleichen, die nur noch extrem schwach leuchten und von denen in den schon früh entstandenen elliptischen Galaxien viel vorhanden sein müssten.

Die Berechnungen im MOND-Universum führen nach Meinung der kosmologischen Abweichler inzwischen zu weiteren guten Erklärungen von Beobachtungsdaten, die im Dunkle-Materie-Kosmos nur schwer herzuleiten sind. Beispielsweise passen ins Milgromsche Universum die massereichen  Mega-Galaxienhaufen wie El Gordo perfekt hinein, die schon wenige Milliarden Jahre nach dem Urknall beobachtet werden. Generell sind die MOND- Fans überzeugt, dass die veränderte Gravitation die ausgeprägten Unter- und Überdichten großer universaler Strukturen im Universum besser als die Modelle mit Dunkler Materie erklärt.

Die Entstehung von Unterdichten haben  Nils Wittenburg und Moritz Haslbauer vor kurzem in deren Doktorarbeiten bei Kroupa weltweit zum ersten Mal auf der MOND-Basis simuliert. Sie zeigen im Modell, dass mit der veränderten Gravitation tatsächlich wesentlich größere Unterdichten entstehen können als dies in der Berechnung des MOND-Nachwuchses in einem Universum mit Dunkler Materie überhaupt möglich ist. Damit hängt auch die sogenannte Hubble-Tension zusammen: Die Beobachtung, dass sich Galaxien in unserer Nähe offenbar von uns nicht mit identischer Expansionsgeschwindigkeit entfernen. Für dieses Phänomen offenbart MOND eine ganz neue, und vor allem auch einfacher scheinende Interpretation. Wir leben in einer kosmischen Region, die vergleichsweise wenig  Masse enthält. Klar, dass sie sich aufgrund der stärkeren Gravitationswirkung im MOND-Universum beschleunigt auf die Zonen mit großer Materiedichte um uns herum zubewegen. Von der Erde aus betrachtet führt das zwangsläufig zu einer deutlichen Abweichung von der universalen Expansionsgeschwindigkeit.

Und wenn es keine Dunkle Materie gibt, dann bricht am Ende auch das Konzept der Dunklen Energie in sich zusammen, vermutet zumindest Kroupa. Noch bleibt das allerdings ungewiss, denn hart berechnet ist es nicht. Aber Kroupa scheint genau dieses Ziel noch erreichen zu wollen. Doch dem Theoretiker fehlt genau das, was dafür nötig wäre: Große Anerkennung – und damit auch große Forschungsgelder. Die bevorzugte Vergabe von Geldern an risikolose Forschungsfragen würden, so beklagt er, zur Selbstverstärkung des wissenschaftlichen Denksystems führen – weil eben junge Forscher davon abgehalten werden, sich mit solchen Alternativkonzepten zu befassen, die einerseits hohes Potenzial zeigen, etwas Großes zu entdecken, andererseits natürlich auch die Gefahr in sich bergen, damit zu scheitern.  Das führt die Forschungswelt in den Sog der kleinen Schritte – und – so Kroupa recht ungeniert – unweigerlich in eine Welt der Wissenschafts-Lemminge. In seinem Selbstverständnis ist er eben der Rebell, der seine Karriere schon vor langer Zeit der Suche nach etwas Großem untergeordnet hat. Jetzt sei er als Überzeugungstäter an einem Punkt angelangt, wo er eben immer und überall laut sagen könne, was er denkt.

Ansprechpartner:
Dr. Susanne Päch
Chefredaktion HYPERRAUM.TV
Bavariafilmplatz 3
82031 Grünwald
susanne.paech@hyperraum.tv

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