Am Computer lesen lernen

LMU-Wissenschaftler entwickelt Lernprogramm für Legastheniker

Wenn ein Satz orthografisch richtig geschrieben ist, können die meisten Menschen seinen Sinn erfassen. Doch rund vier Prozent aller Schulkinder haben Schwierigkeiten, ihn zu lesen. Die Diagnose: Legasthenie. Die Ursachen sind vielfältig. Gegen die Lesestörungen hat Dr. Reinhard Werth vom Institut für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin der LMU deshalb ein Lernprogramm für Schulkinder entwickelt, mit dem sie am Computer individuell therapiert werden können.

Die Idee zur Lernsoftware für Legastheniker entwickelte der Neuropsychologe Werth eher zufällig. Ursprünglich behandelte er mit der Methode der Gesichtsfeldbestimmung Kinder, die aufgrund von Hirnstörungen Probleme beim Sehen hatten. Durch diese Arbeit wurden andere Ärzte auf seine Studien aufmerksam, die Kinder mit Lesestörungen zu ihm schickten. Deren Gesichtsfeld untersuchte Werth ebenfalls und stellte auch hier Sehstörungen fest.

Was aber war die Ursache für die Leseschwäche? Lesen ist ein komplexer Vorgang, bei dem verschiedene Leistungen vom Gehirn erbracht werden müssen: die Fixierung eines Wortteils, das Erkennen von Buchstaben, Worten und Wortsegmenten und dann der Blicksprung zum nächsten Wortteil. In all diesen Vorgängen kann es zu Fehlern einer Hirnfunktion kommen, die dann zu Lesestörungen führen. Für Reinhard Werth war damit klar, dass er ein Lernprogramm entwickeln muss, das alle möglichen Phänomene behandeln kann, nicht nur eines. „Außerdem gab es für Kinder nichts Befriedigendes auf dem Markt, dass ich mit gutem Gewissen empfehlen konnte“, so Werth.

Mit seinem computergestützten Lern- und Diagnoseprogramm erforscht der Neuropsychologe als erstes den individuellen Grund für die Leseschwäche eines Kindes. Dabei „ist es wichtig zu untersuchen, welches Problem als hinreichende Bedingung für eine Lesestörung feststeht“, beschreibt Reinhard Werth seinen Ansatz. Mit seinem Programm können Buchstaben, Wortsegmente und ganze Worte so dargestellt werden, dass die Ursache einer Lesestörung erkennbar wird. Der Cursor zeigt den Kindern an, wo oder was sie gerade lesen sollen.

Eine häufige Ursache für Legasthenie sind beispielsweise zu große Blicksprünge über zehn Buchstaben hinweg. Dabei macht der Leser mit den Augen einen großen Satz zum nächsten Wortsegment und kann dadurch manche Buchstaben nicht mehr sehen. „Er liest zum Beispiel statt Donnerstag nur Donntag“, erklärt der Neuropsychologe. Mit seinem Programm kann diese Störung abtrainiert werden, indem der zu lesende Text farbig markiert wird und die rechts folgenden Wortsegmente nur schwach zu sehen sind. Mit der Zeit wird der Kontrast rechts dann verstärkt, das Wortsegment wird immer besser lesbar. Andere Kinder müssen ein Wortsegment sehr lange anschauen, um es zu erkennen – wobei sich diese Zeiteinheiten im Bereich von 100 bis 500 Millisekunden bewegen. „Hier trainiere ich die Eigenschaft, ein Wortsegment schneller zu erfassen, indem ich es beispielsweise zuerst 500 Millisekunden zeige und dann die Zeit immer weiter verkürze“, so Werth.

So individuell die Lesestörungen sind, so unterschiedlich ist die Wirkung des Lernprogramms. In schwierigen Fällen brauchen die Kinder ein halbes Jahr bis sich eine positive Wirkung einstellt. Manchen genügt aber auch schon eine halbe Stunde.

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Cornelia Glees-zur Bonsen idw

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