Heidelberger Forschungsmagazin "Ruperto Carola 1/2002": Der Schmerz und sein Gedächtnis

Das Magazin stellt neue Forschungsprojekte der Universität Heidelberg vor – Titelgeschichte von Herta Flor: Lässt sich das Schmerzgedächtnis wieder löschen? – Weitere Themen des Magazins: Alltagsskizzen aus Aphrodisias – Genetischer Striptease für Versicherungen? – Moleküle auf Zellreise – Land, Leute und Literatur – Biomolekulare Maschinen

Chronische Schmerzen und Phantomschmerzen nach Amputationen zählen in der Medizin zu den am schwierigsten zu behandelnden Leiden. Die moderne Schmerzforschung hat erkannt, dass die anhaltende Pein der Patienten auf der Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses im zentralen Nervensystem beruht. Diese Erkenntnis eröffnete neue Wege, um die quälenden Schmerzen wirksam zu bekämpfen. Im neuen Forschungsmagazin „Ruperto Carola 1/2002“ der Universität Heidelberg erläutert Herta Flor aus dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit den Stand der Kenntnis und eine von ihr und ihren Mitarbeitern erarbeitete therapeutische Maßnahme, die erstmals verspricht, ein bestehendes Schmerzgedächtnis wieder zu löschen und Phantomschmerzen zu verhindern. Das weitere Themenspektrum des Magazins reicht von antiken Graffiti über „Genetisches Wissen und die rechtlichen Folgen“, „Moleküle auf Zellreise“ und eine Studie über regionale Literaturgeschichte am Beispiel der österreichischen Länder im Mittelalter bis hin zu „Biomolekulare Maschinen“.

Im Editorial stellt Rektor Prof. Dr. Peter Hommelhoff die Forschungspolitik des neuen Rektorats dar

Im Editorial stellt Rektor Prof. Dr. Peter Hommelhoff die Forschungspolitik des neuen Rektorats dar. „Die Ruprecht-Karls-Universität ist eine Forschungs-orientierte Volluniversität mit breitem Fächerspektrum von der Ägyptologie bis zur Zahnmedizin.“ Ihr profilgebendes Ziel „ist und bleibt es auch in Zukunft, die Einheit von Forschung und Lehre so umzusetzen, dass die Universitätsangehörigen, namentlich die Studierenden, sie immer wieder erleben können“.

Auf vielen Feldern haben die Forscher, Netzwerke und Forschungseinrichtungen der Universität – so Hommelhoff – eine national und international wahrgenommene Spitzenstellung errungen. „Sie muss erhalten und ausgebaut werden.“ Dies fordere schon allein das Selbstverständnis der Universität Heidelberg. Dringend erforderlich sei der Erhalt und Ausbau aber auch deshalb, weil nur Spitzenleistungen künftig die Chance eröffnen, die notwendigen Mittel von Staat und Drittmittelgebern im Wettbewerb mit anderen Hochschulen zu erringen. „Hier zeigt Heidelberg im Augenblick noch überraschende Defizite.“

Hommelhoff spricht dann das Drittmittelaufkommen innerhalb der Universität an. In einzelnen Bereichen der Geistes- und Sozialwissenschaften sei die Zahl der geförderten Projekte im internationalen – hier und da auch im nationalen Vergleich – „erkennbar unterdurchschnittlich“. Die in Heidelberg im geistes- und sozialwissenschaftlichen ebenso wie im naturwissenschaftlichen Bereich vorhandene Exzellenz müsse breitflächig und schnell für drittmittelfähige Projekte fruchtbar gemacht werden. Hier wird das Rektorat aktiv werden.

Insgesamt berge diese Zeit vorzügliche Chancen, die Ruperto Carola als Forschungs-orientierte Volluniversität zu erhalten und sie vor der verhängnisvollen Modeströmung zu bewahren, die kleine Fächer – vor allem in den Geisteswissenschaften – zu Gunsten der Forschungsmoderne opfere. „Allerdings erfordert all dies große Anstrengungen sämtlicher Universitätsangehöriger.“

Alltagsskizzen aus Aphrodisias

Nicht anders als heute haben auch die Menschen der Spätantike all das, was sie bewegte, an die Wände öffentlicher Gebäude, an Pfeiler und Mauern geschrieben. Besonders viele solcher Graffiti haben sich in der kleinasiatischen Stadt Aphrodisias erhalten, seinerzeit ein blühendes urbanes Zentrum. Angelos Chaniotis, gebürtiger Grieche und Direktor des Seminars für Alte Geschichte, untersucht seit 1995 die schriftlichen Hinterlassenschaften der Menschen aus Aphrodisias. Sein Beitrag in der neuen „Ruperto Carola“ macht anschaulich, wie wichtig selbst scheinbar unbedeutende Zeugnisse sind, um unser Bild vom antiken Leben zu vervollständigen. Die Graffiti zeigen in unmittelbarer Weise, wovon andere historische Quellen oft schweigen: die Sorgen und Gefühle der einfachen Menschen.

Genetischer Striptease für Versicherungen?

Die Möglichkeit, bestimmte Krankheiten mit Hilfe moderner genetischer Analysen vorauszusagen, wirft viele zentrale Fragen auf. Eine dieser Fragen ist, ob oder in welchem Ausmaß es den Anbietern von Kranken- und Lebensversicherungen erlaubt sein darf, vor dem Abschluss eines Vertrages zu verlangen, dass sich der Interessent einem Gentest unterzieht. Jochen Taupitz vom Institut für deutsches, europäisches und internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim analysiert diese Frage im dann folgenden Beitrag eingehend und kommt zu einem überraschenden Schluss.

Moleküle auf Zellreise

In Zellen herrscht reger Verkehr: Auf filigranen Schienensträngen fahren Güterzüge mit wertvoller Fracht, gezogen von eigens für Nah-, Mittel- und Fernstrecken konstruierten Lokomotiven. Ralf-Peter Jansen vom Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg erzählt die spannende Reisegeschichte eines besonders wichtigen und prominenten Fahrgastes, der Boten-RNS. Dieses Molekül macht sich auf den Weg, um Botschaften aus der Steuerzentrale, dem Zellkern, zu den Protein-Produktionsstätten im Zellplasma zu übermitteln. Die perfekte Organisation seiner Reise ist von zentraler Bedeutung für das Leben der Zelle und des Organismus. Fehler, beispielsweise eine ungültige Fahrkarte, können fatale Folgen haben.

Land, Leute und Literatur

Langsam beginnt sich neben einem Europa der Nationen auch ein Europa der Regionen zu etablieren – eine Vorstellung, die historisch eindeutig die ältere ist. Um sie wieder ins kulturelle Gedächtnis zu rufen, haben Literaturwissenschaftler der Universität Heidelberg gewaltige Berge mittelalterlicher Texte vom Liebeslied bis zur theologischen Abhandlung aus den österreichischen Ländern zusammengetragen und studiert. Statt einer nationalen Literaturgeschichte ist so eine regionale Zusammenschau entstanden. Sie ermöglicht es erstmals, historische Fäden zu verknüpfen, die getrennt von verschiedenen Fächern gesponnen wurden. Fritz Peter Knapp aus dem Germanistischen Seminar beschreibt das engagierte Projekt in der „Ruperto Carola“ und erläutert an Beispielen, welche literarische und kulturelle Landschaft sich dem Auge des gebildeten Zeitgenossen in jener Region im Mittelalter dargeboten haben mag.

„Wunderbare Gegebenheiten“: Biomolekulare Maschinen

„Biomolekulare Maschinen“ sind kleine Wunderwerke der Natur, hundert Millionstel Millimeter groß. Sie zu erforschen, hat sich eine neue Netzwerk-Initiative auf die Fahnen geschrieben, die Wissenschaftler der Universität Heidelberg und viele weitere Arbeitsgruppen aus der Bioregion Rhein-Neckar jetzt gründeten. Ziel ist die quantitative Analyse und Modellierung von „Biomolekularen Maschinen“ außerhalb der Zelle und in der lebenden Zelle selbst. Dabei kommt neuen Verfahren der lichtoptischen Analyse und des Wissenschaftlichen Rechnens eine wesentliche Bedeutung zu. Was die Zukunftsvisionen der beteiligten Forscher sind und wo praktische Anwendungen liegen könnten, führt Koordinator Christoph Cremer aus dem Kirchhoff-Institut für Physik der Universität Heidelberg im Gespräch mit Michael Schwarz bildhaft vor Augen.

In der Rubrik „Pro und Contra“ prallen konträre Meinungen zur Juniorprofessur aufeinander. Eine Übersicht über die am höchsten dotierten neuen Drittmittelprojekte und die Rubrik „Aus der Stiftung Universität Heidelberg“ runden das Heft ab. Verlag des Forschungsmagazins ist der Universitätsverlag C. Winter Heidelberg GmbH. Ein Einzelheft der „Ruperto Carola“ kostet 5 EUR plus Versand, für Studierende 2,50 EUR. Es kann, ebenso wie das Förderabo für 30 EUR (vier Ausgaben), bestellt werden bei: Pressestelle der Universität Heidelberg, Postfach 10 57 60, 69047 Heidelberg. Kostenlose Ansichtsexemplare früherer Hefte liegen im Foyer der Alten Universität aus.

Rückfragen bitte an:
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
Tel. 06221 542310, Fax 542317 
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de

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