Aktiv gegen Trunkenheit im Straßenverkehr

Fast drei Viertel aller Trunkenheitsfahrer (73,7%) fehlt es an einem angemessenen Problembewusstsein, wenn es darum geht, die Trunkenheitsfahrt als Symptom eines missbräuchlichen Umgangs mit Alkohol zu erkennen. Eine frühzeitige aktive Informationspolitik bei alkoholauffälligen Fahrern wirkt sich positiv auf die Bereitschaft aus, an Beratungsmaßnahmen teilzunehmen und fördert damit letztlich auch die Straßenverkehrssicherheit.

Dies sind die zentralen Erkenntnisse im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an der Uni Greifswald geförderten interdisziplinären Projektes, das im Untersuchungszeitraum zwischen November 2002 und Mai 2005 durchgeführt und jetzt veröffentlicht wurde.

Gemeinsam analysierten Wissenschaftler am Lehrstuhl für Kriminologie und der Abteilung Sozialpsychologie/Arbeits- und Organisationspsychologie unter der Leitung von Prof. Frieder Dünkel und Prof. Manfred Bornewasser Möglichkeiten für ein „Aktives Gesundheitsmanagement im Kontext von Straftaten unter Alkoholeinfluss am Beispiel Trunkenheit im Straßenverkehr“, so der Titel der Studie.

Anhand eines experimentellen Versuchdesigns wurden die Bedingungen der frühzeitigen Teilnahme von Trunkenheitsfahrern an Rehabilitationsmaßnahmen untersucht. Ziel war es herauszufinden, mit welchen Methoden und unter welchen Bedingungen alkoholauffällige Fahrer sich bereit erklären, an langfristigen Beratungsmaßnahmen teilzunehmen. Dabei ging es um die Klärung der Frage, ob eine größere Anzahl von delinquenten Verkehrsteilnehmern an rückfallvermeidenden Aufbau- und Trainingsmaßnahmen teilnimmt und woran gegebenenfalls eine effiziente Zuweisung scheitert. Dazu wurde zunächst ein gezieltes und aktives Beratungsangebot entwickelt und dessen Wirkung auf die Teilnahmequote an Behandlungsmaßnahmen evaluiert. Insgesamt wurden 3.439 Trunkenheitsfahrer in der Untersuchungsregion Mecklenburg-Vorpommern regional in unterschiedliche Gruppen (Mecklenburg, N=1988 und Vorpommern, N = 1451) unterteilt, um mittels einer pro-aktiven Vorgehensweise (= direkter Kontakt mit auffälligen Fahrern) die Bereitschaft zur frühzeitigen Teilnahme an Beratungsmaßnahmen zu erkunden. Fragebogenerhebungen dienten der Überprüfung des Problembewusstseins alkoholauffälliger Fahrer, der Identifikation hemmender und motivierender Faktoren für eine frühzeitige Teilnahme sowie der Überprüfung der Teilnahmeraten.

Die empirischen Ergebnisse der Studie verdeutlichen, dass sich eine pro-aktive Informationsstrategie als besonders wirksam auf die Erhöhung der Teilnehmerzahl auswirkt, wenn es darum geht, Trunkenheitsfahrer für Rehabilitationsmaßnahmen zu gewinnen. Demzufolge führt eine frühzeitige Information von alkoholauffälligen Fahrern unter Einbeziehung aller Informationskanäle beispielsweise durch die Polizei, Informationsblätter oder persönliche Einladungen zu einem kostenlosen Beratungsgespräch zu einer signifikanten Erhöhung der Inanspruchnahme von Beratungsleistungen. So entschieden sich 80% der Fahrer, die ein Beratungsgespräch in Anspruch genommen haben, für die Teilnahme an einer längerfristigen Maßnahme.

Negativ wirken sich hingegen mangelhafte und nicht zeitgerechte Informationen über mögliche Maßnahmen sowie über mögliche Vorteile der Teilnahme an Beratungsleistungen aus, um Fahrer für ein bestehendes Rehabilitationsangebot zu bewegen. Zudem behindern alltägliche Barrieren, wie beispielsweise Probleme bei der Organisation der Anfahrt, die Teilnahme an Beratungsangeboten.

Um die jeweiligen Delinquenten langfristig für eine Teilnahme an Rehabilitationsmaßnahmen zu gewinnen, empfehlen die Wissenschaftler der Universität Greifswald, die Vorteile der Schulungsmaßnahmen, beispielsweise den frühen Rückerhalt der Fahrerlaubnis oder die gesundheitlichen Vorteile, stets transparent zu machen. Insgesamt sind die Handlungsschritte für auffällige Fahrer so konkret wie möglich zu gestalten und in ein aktives Gesundheitsmanagement einzubeziehen.

Hintergrund

Im Allgemeinen gilt jeder Alkoholauffällige im Straßenverkehr als Trunkenheitsfahrer; nur bei einer Atemalkoholkonzentration (AAK) über 1,1 Promille oder über 0,3 mit zusätzlicher Fahrauffälligkeit wird eine Blutprobe gemäß Straßenprozessordnung (StPO) angeordnet. Ansonsten ist eine beweissichere AAK-Kontrolle ausreichend. Unter Trunkenheitsfahrer werden in dieser Studie diejenigen Fahrer summiert, die als alkoholisierte Straßenverkehrsteilnehmer auffällig geworden sind und bei denen nach §81a der Straßenprozessordnung eine Blutprobe entnommen wurde.

Generell nehmen Trunkenheitsfahrer selten frühzeitig an Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Kriminalprävention teil. In der Regel erfolgt eine Teilnahme erst unter repressiven Bedingungen oder hohem Leidensdruck (zum Beispiel nach negativ verlaufener Begutachtung der Fahreignung) lange Zeit nach einem Delikt. Die Folgen sind neben gesundheitlichen Problemen aufgrund des hohen Alkoholkonsums auch hohe Rückfallraten und somit ein hohes Risiko für die Straßenverkehrssicherheit. Häufig kommt es zu einem Langzeitverlust der Mobilität, der besonders in wirtschaftsschwachen Regionen mit defizitären öffentlichen Verkehrsnetzen zu einer Verschärfung der Problemlagen führen kann, da der Führerscheinverlust häufig auch den Verlust des Arbeitsplatzes bedeutet. Eine frühzeitige Teilnahme an angemessenen Rehabilitationsmaßnahmen, die zu einer frühzeitigen Wiederherstellung der Kraftfahrereignung führt, ist daher wünschenswert.

Ansprechpartner an der Universität Greifswald
Institut für Psychologie
Dipl.-Psych. Simone Klipp
Franz-Mehring-Straße 47, 17487 Greifswald
T +49 3834 86-37 25
F +49 3834 86-37 24
E klipp@uni-greifswald.de

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