Sprachpolitik in den muslimischen Staaten der ehemaligen UdSSR
Aserbaidschan, Usbekistan, Kasachstan, Kyrgyzstan, Turkmenistan, Tadschikistan
Durch die jüngsten Ereignisse geraten die muslimischen Staaten entlang der Seidenstraßen noch mehr in das Blickfeld der internationalen Politik. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion spaltete sich das Riesenreich in selbständige Republiken auf, die durch den GUS-Verband mehr oder weniger enge Beziehungen untereinander und mit der ehemaligen Kolonialmacht Russland pflegen. Die Lingua franca in der Sowjetunion war Russisch: Eine Sprache, die alle spätestens mit Beginn der Schulausbildung erlernen mussten. Russisch war die Verständigungssprache zwischen den verschiedenen Nationen und Nationalitäten. Das Ende der Sowjetunion bedeutete in den nunmehr unabhängigen Republiken auch das Ende der Vorherrschaft der russischen Sprache. Die Schwierigkeiten, eine neue Sprachpolitik zu entwickeln und umzusetzen, haben Jacob M. Landau/Hebrew University, Jerusalem, und Barbara Kellner-Heinkele vom Institut für Turkologie der Freien Universität Berlin untersucht.
Die zentralasiatischen Völker besaßen zum Teil eine jahrhundertealte Literaturtradition. Mit der Konsolidierung der Sowjetherrschaft wurde das in den zentralasiatischen Schriftsprachen gebräuchliche persisch-arabische Alphabet durch jeweils unterschiedliche Varianten des lateinischen Alphabets ersetzt. Der politisch-kulturelle Hintergrund dieser Maßnahme war die „Abkehr vom Feudalismus“ und die Hinwendung zur „modernen Zivilisation und zum Internationalismus“. Das arabisch-persische Alphabet wurde zum Synonym für Rückständigkeit und Fortschrittsfeindlichkeit. Mit seiner Abschaffung wurden die starken religiösen, kulturellen und, nicht zu vergessen, sprachlichen Bindungen zu den islamischen Nachbarstaaten und zur eigenen kulturellen Tradition gekappt.
Mit der Kampagne zur Abschaffung des Analphabetentums, mit der Förderung der nationalen Kulturen und mit der Entstehung moderner Eliten ging die unbeabsichtigte Stärkung der nationalen und politischen Identität der nichtrussischen Völker der Sowjetunion einher. Dennoch begann das Russische als „Sprache des Imperiums“ seit Ende der 30er Jahre die Bereiche höhere Bildung und Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Technik zu beherrschen. Die Titularsprachen, z.B. das Usbekische in Usbekistan, wurden in den alltäglichen Umgang, die Folklore und die schöne Literatur zurückgedrängt. Um 1940 wurde außerdem in allen Sprachen Zentralasiens das lateinische Alphabet durch das kyrillische ersetzt, auch die kulturelle Vielfalt mehr und mehr einer Sowjetisierung unterworfen. Publikationen in den einzelnen nichtrussischen Sprachen waren rückläufig. Das Russische sollte die gemeinsame Sprache der Sowjetmenschen, die „Sprache des Sozialismus“ und der „Zement der Union“ werden.
Der Zusammenbruch der Sowjetunion bestärkte in den neu entstandenen Republiken die seit den 1980er Jahren zunehmenden Tendenzen „Zurück zu den eigenen Wurzeln“. Die nationalen Eliten forderten die Anhebung des Status ihrer Nationalsprache, eine neue Bewertung der nationalen Geschichte, Literatur und Tradition. Literarische Werke zur Wiederbelebung der Vergangenheit der Turkvölker oder der iranischen Zivilisation erschienen und bereiteten ideologisch den Boden für Veränderungen.
In den sechs muslimischen Staaten (Usbekistan, Kasachstan, Kyrgystan, Turkmenistan und Tadschikistan sowie Aserbaidschan im Kaukasus) bedeutete dies, dass die Sprache der Titularnation zur Staatssprache erhoben wurde. In allen sechs Staaten wird die Nationalsprache planvoll gefördert und gestärkt. In Usbekistan, Turkmenistan und Aserbaidschan befindet sich das bis zur Unabhängigkeit dominante Russisch in einem Verdrängungsprozess, während es in Kasachstan, Kyrgyzstan und Tadschikistan weiterhin eine bedeutende Position behauptet. Jedoch wurden geographische Bezeichnungen, Landes-, Städte- und Straßennamen durch Namen in der Landessprache ersetzt. Auch die Wissenschafts- und Medienlandschaft wandelte sich: Publikationen wurden nun immer häufiger in die Staatssprachen übersetzt, dieselbe Tendenz ist in Fernsehen, Rundfunk und Pressewesen zu erkennen. Innerhalb von nur zehn Jahren wurde in dieser Weise das Russische auf den zweiten Rang verwiesen, ja mitunter der Sprache einer „einfachen“ Minderheit gleichgesetzt.
Die Veränderungen gehen aber noch weiter: Aserbaidschan z.B. war das erste Land, das wieder das lateinische Alphabet einführte, wenig später gefolgt von Usbekistan und Turkmenistan. Die Öffnung nach Westen erleichtert die Ausbeutung wirtschaftlicher Ressourcen, und in der Wirtschaft setzt sich, gefördert durch ausländische Investitionen, vielerorts das Englische als business language durch.
Die Minoritäten in den jeweiligen Staaten spielen in der Sprachpolitik nur eine untergeordnete Rolle. Die Russen, die seit der Eingliederung des Kaukasus und Zentralasiens in das Zarenreich zur Führungsschicht gehörten und in der Sowjetunion den Hauptanteil an der Nomenklatura bildeten, werden in den neuen Staaten zunehmend zur Minderheit neben anderen Minderheiten: den Deutschen und Koreanern, den Tadschiken in Usbekistan, den Usbeken in Tadschikistan etc. – jeder dieser Staaten ist multiethnisch. Teile der russischen Bevölkerung grenzen sich auch selbst aus, indem sie sich weigern, die Staatssprache zu erlernen. Die Sprachenpolitik der unabhängigen Staaten wird von vielen Russen als diskriminierend empfunden und viele haben mit Abwanderung reagiert, obwohl sie aufgrund ihrer Kenntnisse weiterhin in allen Bereichen gebraucht werden.
Die Studie von J.M. Landau und B. Kellner-Heinkele untersucht vor dem politischen und kulturellen Hintergrund jedes Landes Wechselbeziehungen von Sprache und Politik, sie beleuchtet diese Entwicklungen auf der Basis von offiziellen Programmen und Dokumenten wie auch von Feldstudien, sie analysiert die entsprechenden politischen Debatten und Auseinandersetzungen und enthält reichhaltiges statistisches Material sowie Übersichten zu den neuen Alphabeten und eine extensive Bibliographie.
Literatur:
Jacob Landau & Barbara Kellner-Heinkele: Politics of Language in the ex-Soviet Muslim States Azerbayjan, Uzbekistan, Kazakhstan, Kyrgyzstan, Turkmenistan, Tadjikistan, London: C. Hurst & Co. 2001, 260 Seiten, 1 Karte, 32 Tabellen, 19 Illustrationen, ISBN 1-85065-442-5
Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
Prof. Dr. Barbara Kellner-Heinkele, Institut für Turkologie der Freien Universität Berlin, Schwendenerstr. 33, 14195 Berlin, Tel.: 030 / 838-53955, E-Mail: turkinst@zedat.fu-berlin.de
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