Der Traum vom selbst-bewussten Computer

Ein Verkehrsüberwachungssystem ist eine anspruchsvolle Angelegenheit: Sensoren und Kameras messen beispielsweise die Verkehrsströme, lesen Nummernschilder und analysieren die Schadstoffbelastung der Luft. Bei Unfällen, Staus oder Smog kann das System Umleitungen empfehlen und Ampelphasen verändern. Zusätzlich berechnet es für jedes Fahrzeug individuell die Maut, misst dessen Geschwindigkeit und versendet automatisch Bußgeldbescheide, wenn ein Fahrer zu schnell unterwegs war.

Systeme, die all das leisten, gibt es bereits. An ihre Entwickler stellen sie hohe Anforderungen, sollen sie doch dazu in der Lage sein, Prozesse von hoher Dynamik und Komplexität zu verarbeiten. Wie solche Systeme aussehen müssen, damit sie möglichst effizient und zuverlässig arbeiten: Damit beschäftigt sich Professor Samuel Kounev. Der Mathematiker und Informatiker hat seit diesem Sommersemester den Lehrstuhl für Informatik II an der Universität Würzburg inne, Software Engineering ist einer seiner Schwerpunkte.

Der Traum vom Self-Aware Computing

„Was die Entwicklung solcher Systeme so anspruchsvoll macht, ist die hohe Dynamik der Prozesse, die sie verarbeiten“, sagt Kounev. Morgens fließen die Verkehrsströme anders als am Mittag, montags anders als sonntags, bei Regen anders als bei Sonnenschein. Zusätzlich sollte das System ohne großen Aufwand neue Dienste integrieren können – beispielsweise wenn Busspuren plötzlich für Fahrgemeinschaften freigegeben werden. Und wenn Sensoren mal den Ort wechseln, sollte es deshalb auch nicht gleich falsche Ergebnisse liefern.

Wenn diese Anpassungen auch noch ohne menschliches Eingreifen zustandekommen, dann ist Samuel Kounev’s Vision verwirklicht. Self-Aware Computing: Unter diesem Stichwort steht die Zukunftsvision des Informatikers. „Gemeint sind damit Systeme, die wissen, woraus sie bestehen und was ihr Ziel ist; die wissen, wie sich Änderungen auswirken und die von alleine auf diese Veränderungen reagieren und sich so ihrer Umwelt anpassen können“, erklärt Kounev. Oder, kurz gesagt: Sie sind selbstreflektiv, -prädiktiv und –adaptiv.

Rechenzentren arbeiten ineffizient

Solche Systeme werden in Zukunft immer häufiger gefragt sein – dank Cloud Computing und dem gemeinsamen Nutzen technischer Ressourcen. Eine Bestellung bei Amazon, eine Anfrage bei Google, ein neues Titelbild für das eigene Facebook-Profil: Weltweit stehen gewaltige Rechenzentrum, die bisweilen mehr als 100.000 Quadratmeter groß sind, um solche Anfragen bearbeiten zu können. Ihr Energieverbrauch ist enorm. „Alle Rechenzentren Westeuropas verbrauchen so viel Energie wie die gesamte Niederlande“, sagt Kounev. Dabei seien sie nur zu etwa zehn Prozent ausgelastet, arbeiten also höchst ineffizient.

Der Informatiker interessiert sich allerdings nicht allein aus energetischen Gesichtspunkten für die Effizienz von Rechenzentren. Ihn beschäftigt viel stärker die Frage, wie diese Systeme es beispielsweise schaffen, so rechtzeitig auf eine steigende Zahl von Anfragen zu reagieren, indem sie zusätzliche Ressourcen zur Verfügung stellen, dass es nicht zu einem Stau kommt. „Häufig ist es so, dass steigende Anfragen zwar steigende Ressourcen auslösen. Meistens passiert das aber erst, wenn es zu spät ist“, so Kounev.

Ein System reagiert von alleine

Wann ist der ideale Zeitpunkt, mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen? Wie muss der passende Auslöser aussehen? Wann muss neue Hardware bestellt werden? Wann ist es Zeit, neue Rechenzentren zu bauen? Das sind die Fragen, auf die Kounev und seine Mitarbeiter nach Antworten suchen. Ihr Ziel ist eine „proaktive autonome System-Adaption“ – also ein System, das Fehler und Probleme vorhersagen und frühzeitig selbstständig Gegenmaßnahmen ergreifen kann. Und das im Idealfall ohne ein Eingreifen von Menschen. Dabei versteht sich Kounev nicht als Wissenschaftler, der im Elfenbeinturm forscht. „Wir arbeiten mit vielen Partnern aus der Industrie zusammen für die Probleme der realen Welt“, sagt er.

Benchmarking ist ein weiterer Forschungsschwerpunkt an Kounev’s Lehrstuhl. Dabei geht es darum, die Verlässlichkeit und Effizienz von Software-Systemen zu messen. Das klingt für den Laien möglicherweise trivial, ist es aber nicht: „Die Frage, wen ich miteinander vergleiche, beeinflusst die Ergebnisse extrem stark. Mit den passenden Methoden kann man alles beweisen – auch das Gegenteil“, sagt Kounev. Der Informatiker sucht deshalb ihm Rahmen der Standard Performance Evaluation Corporation (SPEC) nach solchen Methoden, die verlässliche Aussagen über die Qualität solcher Systeme liefern.

Zur Person

Samuel Kounev (Jahrgang 1976) studierte Mathematik und Informatik an der Universität Sofia (Bulgarien). Im Jahr 2001 kam er nach Deutschland und promovierte im Jahr 2005 zum Dr.-Ing an der Technischen Universität Darmstadt. Danach wechselte er an die University of Cambridge, wo er, gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, ein zweijähriges Postdoktorat absolvierte.

Mit einem Rückkehrstipendium der DFG ausgestattet, ging Kounev an das Karlsruher Institut für Technologie (KIT). 2009 wurde er in das Emmy-Noether-Programm der DFG aufgenommen und leitete bis März 2014 die Nachwuchsgruppe „Descartes“ am KIT. Seit dem 1. April 2014 hat Samuel Kounev die Leitung des Lehrstuhls für Informatik II (Software Engineering) an der Universität Würzburg inne.

Kontakt

Prof. Dr. Samuel Kounev, T: (0931) 31-82452, samuel.kounev@uni-wuerzburg.de
Zur Homepage des Lehrstuhls (http://se.informatik.uni-wuerzburg.de/)

http://www.uni-wuerzburg.de Universität Würzburg

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