Pathologische Glücksspieler: Impulskontrolle möglich

Sie wird von Dr. Bernd Sobottka widerlegt. In seiner an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg angefertigten Dissertation zeigt Sobottka: Auch diese Spieler können Impulse kontrollieren und ein kompetentes Entscheidungsverhalten erlernen. Der Psychotherapeut ist sich sicher: Die angewandte Verhaltensmedizin kann den Glücksspielern helfen.

Peter Meier (Name geändert) kommt an keinem Casino, an keiner Spielhalle vorbei, ohne hineinzugehen und den Inhalt seines Portemonnaies auf den Kopf zu hauen. Er ist hoch verschuldet, seine Frau hat ihn verlassen. Doch Spielen ist und bleibt sein zentraler Lebensinhalt. Meier ist ein pathologischer, ein krankhafter Glücksspieler. „Mehr als 100 Menschen wie Herr Meier haben wir jedes Jahr in der Klinik“, sagt Dr. Bernd Sobottka, Leitender Psychologe der Klinik Schweriner See, einer Kooperationsklinik der Martin-Luther-Universität.

Der 46-Jährige will den Betroffenen so gut wie möglich helfen. Deshalb hat er das „Entscheidungsverhalten bei pathologischen Glücksspielern“ erforscht. Unter diesem Titel ist seine Dissertation als Buch erschienen – ein Buch, das es in sich hat. „Die Arbeit ist absolut innovativ. In dieser Güte liegen auf dem bislang nur sparsam bearbeiteten Gebiet nur wenige Arbeiten vor“, sagt Sobottkas Doktorvater Prof. Dr. Bernd Leplow, klinischer Psychologe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. „Die besondere Qualität besteht in der experimentellen Untersuchung von Patienten mit einer schweren psychischen Störung, wobei das übliche Laborsetting zusätzlich die Realsituation simulierte.“

Herr Meier und weitere Glücksspieler, dazu als Kontrollgruppen alkoholabhängige Patienten und gesunde Menschen, haben eine Reihe von Fragen über ihre eigene Persönlichkeit beantwortet und sich auf eine ganz besondere Laborsituation eingelassen: Bernd Sobottka erzeugte Spielhallenatmosphäre, sorgte für einen schummrigen Raum mit der passenden Geräuschkulisse, hängte Bilder von Spielautomaten auf, lud zu einem Kartenspiel ein. Den Teilnehmern winkte Spielgeld als ideeller Gewinn, ein Pfund Kaffee als realer. „Das Kartenspiel war ähnlich angelegt wie das typische Automatenspiel, bei dem man als Spieler zum Beispiel eine Reihe mit gleichen Symbolen anpeilt“, erläutert Sobottka. Das gleiche Spiel wurde mit den Probanden ebenfalls unter Bedingungen gespielt, die frei von Spielhallen-Assoziationen waren.

„Das durchaus überraschende Ergebnis: Die Glücksspieler erzielten in der an Spielhallen erinnernden Situation bessere Ergebnisse. Im Laufe des Spiels waren sie in der Lage, ein rationales Entscheidungsverhalten zu erlernen“, berichtet Sobottka. „Anders als in der Fachwelt bislang angenommen, scheint es keine grundsätzlichen Defizite im Entscheidungsverhalten von Glücksspielern zu geben.“ Und nicht nur das: Während sich sogar die Glücksspieler selbst als impulsiv handelnd erleben, trafen sie die Entscheidungen im Kartenspiel nicht schneller und wahlloser als die anderen untersuchten Gruppen. „Unter den von uns hergestellten Bedingungen waren sie absolut in der Lage, ihre Impulse zu kontrollieren“, konstatiert der Forscher.

Bernd Sobottka zieht aus seinen Ergebnissen entscheidende Schlussfolgerungen: „Die vorliegenden Befunde deuten auf ein suchtspezifisches Entscheidungsverhalten bei Glücksspielern unter Beteiligung von Stoffwechselprozessen im Gehirn, die dem so genannten Belohnungssystem zuzuordnen sind. Die Spieler suchen quasi in bestimmter Weise nach Erfahrungen, die ihnen ein gutes Gefühl vermitteln. Ich bin mir nun sicher, dass wir den Patienten mit bewährten verhaltensbezogenen Therapie-Techniken helfen können.“

Bislang habe man den Betroffenen oft wichtige Entscheidungsfähigkeiten abgesprochen, ist von einer eher ungünstigen Behandlungsprognose ausgegangen und hat Maßnahmen zur Glücksspielabstinenz in den Vordergrund gestellt. „Die Ergebnisse legen nun nahe, dass diese Menschen in einer erfolgreichen Therapie auch alternative Möglichkeiten entwickeln müssen, um ihr Belohnungssystem zu aktivieren. Positive Erfahrungen im Sport oder bei sozialen Kontakten könnten beispielsweise helfen. Die alternativen Möglichkeiten sind natürlich für jeden Patienten individuell herauszufinden. Wichtig ist, dass wir für die Spieler spezielle Angebote bereithalten.“

Sobottka weiß, dass die Impulskontrolle in einer realen Situation mit echtem Geld statt des Spielgeldes durchaus noch zum Problem werden könnte. „Aber wir wissen jetzt, dass die Spieler grundsätzlich zur Kontrolle ihrer Impulse fähig sind. Mit bestimmten Stimulus-Kontroll-Techniken können wir also eventuell der Gefahr vorbeugen und zum Beispiel den Gang in die Spielhalle verhindern helfen.“

Angaben zum Buch:
Bernd Sobottka: Entscheidungsverhalten bei pathologischen Glücksspielern
(Dissertation, Universität Halle 2007)
Pabst Science Publishers, 166 Seiten, ISBN 978-3-89967-367-8
Preis: 20 Euro
Ansprechpartner:
Dr. phil. Bernd Sobottka
Tel.: 03867 900161
E-Mail: bsobottka@ahg.de
Prof. Dr. Bernd Leplow
Tel.: 0345 55 24358
E-Mail: bernd.leplow@psych.uni-halle.de

Media Contact

Carsten Heckmann idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-halle.de

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