Änderungen und Konsequenzen des neuen Unterhaltsrechts weitgehend unbekannt

Das neue Unterhaltsrecht ist in der Bevölkerung noch weitgehend unbekannt. Das zeigt eine aktuelle Umfrage von TNS Emnid im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Nur 17 Prozent der befragten Mütter und Väter mit Kindern kennen die Details der neuen Gesetzgebung.

Selbst in der Gruppe der Zahler und Empfänger von Unterhalt kennt nur jeder Dritte das Gesetz genauer. Offenbar haben sich auch die wenigsten Eltern bisher mit den kurz- und langfristigen finanziellen Folgen sowie den Auswirkungen auf den Lebensstandard oder den Ansprüchen aus dem Versorgungsausgleich und der gesetzlichen Rentenversicherung auseinandergesetzt.

Mit ihrer repräsentativen Umfrage ermittelt die Bertelsmann Stiftung erstmals, inwieweit Männer und Frauen in Deutschland über das neue Unterhaltsrecht informiert sind und wie sie das Gesetz einschätzen. Darüber hinaus liefert sie erste Aussagen darüber, wie die Ziele der Reform von den unterschiedlich betroffenen Bevölkerungsgruppen bewertet werden. Dazu gehören die Stärkung des Kindeswohls, die Stärkung der Eigenverantwortung nach der Ehe sowie die Vereinfachung des Unterhaltsrechts.

Über diese Kernpunkte des neuen Unterhaltsrechts informiert, beurteilten es 40 Prozent aller Be­fragten positiv, weitere 40 Prozent waren teilweise zufrieden, 13 Prozent lehnten es ab. Die Zahlen machen deutlich, dass die jeweilige Perspektive entscheidend ist – je nach dem, ob der Befragte das neue Gesetz „vom grünen Tisch“ aus bewertet oder als Betroffener die Konsequenzen am eigenen Leib spürt.

Bei der Befragung der Bertelsmann Stiftung befürworteten 77 Prozent der Befragten, dass das neue Unterhaltsrecht Kindern Vorrang vor den Unterhaltsansprüchen des Ex-Partners einräumt. Während fast die Hälfte der Väter die neuen Regelungen gut findet, sagt dieses aber nur jede dritte Mutter. Die Unterhaltszahler bewerten es zu 52 Prozent positiv, 36 Prozent stimmen mit ei­nem „teils, teils“ ab und acht Prozent finden die Neuregelung nicht gut. Von den Unterhaltsemp­fängern beurteilt dagegen nur jeder Dritte das neue Unterhaltsrecht positiv, 48 Prozent der Befragten sagen „teils, teils“ und 17 Prozent finden es unzureichend.

Das neue Gesetz zielt auch auf die Stärkung der Eigenverantwortung nach der Ehe ab. Der betreuende Elternteil muss in der Regel heute wieder früher erwerbstätig werden. Der vorherige Lebensstandard von Geschiedenen ist nicht mehr garantiert, der nacheheliche Unterhaltsanspruch wird begrenzt. Damit soll der Unterhaltspflichtige finanziell entlastet werden, um möglicherweise schneller eine „Zweitfamilie“ mit Kindern gründen zu können. Die Mehrheit der Befragten begrüßt die Haltung zur Erwerbstätigkeit: 64 Prozent finden es gut, dass durch das neue Recht der betreu­ende Elternteil bestärkt wird, verantwortlich für den eigenen Unterhalt zu sorgen.

Die Praxis sieht jedoch anders aus. 80 Prozent der verheirateten Frauen mit Kindern geben an, sich nicht mehr darauf zu verlassen, dass der Partner im Fall einer Scheidung für sie Unterhalt zahlt. Seitdem das neue Unterhaltsrecht gilt, haben bislang 17 Prozent der befragten Frauen und 10 Prozent der befragten Männer ergänzend eine Erwerbsarbeit aufgenommen. Von den er­werbslosen oder teilzeitbeschäftigten Müttern ist der Umfrage zufolge lediglich ein knappes Drittel motiviert, sich beruflich stärker zu engagieren.

Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit, Rechtsanwältin und Senatorin für Justiz a.D.: „Lebensentwürfe von Frauen, die auf dem Einkommen und Status des Ehemannes aufbauen, werden in Zukunft keinen Bestand haben. Allerdings bedarf es wohl noch vieler Abänderungen und Gerichtsurteile zum Betreuungsunterhalt, bis sich durch eigene Erfahrungen oder im sozialen Umfeld das Verhal­ten der Betroffenen nachhaltig ändert. Wer sich absichern will, muss mehr als bisher Eheverträge in Betracht ziehen, in denen die Rollenverteilung in der Familie und die daraus erwachsende wirt­schaftliche Verantwortung eindeutig geregelt sind.“

Angesichts der Notwendigkeit von allein erziehenden Müttern und Vätern, sich möglicherweise früher als bisher wieder um eine Erwerbsarbeit kümmern zu müssen, sehen 30 Prozent der Be­fragten die Gefahr, dass dadurch die Kinder vernachlässigt werden. Jeder Vierte findet es darüber hinaus unzumutbar, gleichzeitig Kinder zu betreuen und erwerbstätig zu sein. Und gerade einmal 15 Prozent aller befragten Väter wollen sich auf eine zweite Familie einlassen.

Liz Mohn, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung: „Seit Einführung des neuen Unterhaltsrechts müssen sich Mütter auf zusätzliche Belastungen einstellen, wenn sie Fa­milie und Beruf miteinander vereinbaren wollen. Hier sind Staat, Gesellschaft und Wirtschaft gefor­dert, ausreichende Möglichkeiten zur Entlastung, beispielsweise durch Betreuungseinrichtungen, Teilarbeitszeitmodelle, bezahlbare haushaltsnahe Dienstleistungen oder individuelle Lösungen in den Betrieben bereitzustellen. Kontraproduktiv wäre es, wenn getrennte oder geschiedene Partner auf Grund des veränderten Rechts den Wunsch nach Familie und Kindern aufgeben würden.“

Trotz der mehrheitlich positiven Bewertung von stärkerer Eigenverantwortung, ist die Bereitschaft zur Veränderung traditioneller Rollenmuster und Lebensentwürfe im eigenen Leben gering ausge­prägt. Nur ein Drittel der befragten Paare will die traditionellen Rollen überwinden und in einer mo­dernen Partnerschaft leben. Die Unterhaltsreform motiviert 37 Prozent der Mütter und 29 Prozent der Väter, sich mit dem Partner sowohl Kindererziehung als auch Erwerbsarbeit partnerschaftlich zu teilen.

Renate Schmidt, MdB, Bundesministerin a.D.: „Vor etwa einem Jahr hat die Untersuchung von über 1.000 Kommentaren in Onlineportalen ergeben, dass viele Männer die mangelnde Bereit­schaft eine Familie zu gründen mit der, aus ihrer Sicht, väterfeindlichen alten Rechtsprechung be­gründen und nicht als reine „Zahlväter“ gelten wollen. Wenn heute erst knapp 30 Prozent der Väter bereit sind, ein partnerschaftliches Rollenmodell mit geteilter Verantwortung für Einkommen und Familienarbeit zu leben, dann muss man den anderen 70 Prozent umso mehr Mut machen, sich dafür zu entscheiden.“

Im März 2009 führte TNS Emnid im Auftrag der Bertelsmann Stiftung eine repräsentative Befra­gung durch. Befragt wurden insgesamt 1.560 Personen aus Haushalten, die nach dem Zufallsprin­zip ausgewählt wurden. Von der Gesamtgruppe gehören 792 Personen der Gruppe der Betroffe­nen an: geschiedene und getrennt lebende Paare mit Kindern, die jünger als 25 Jahre sind, Allein­erziehende und Patchworkfamilien. Weitere 768 Personen gehören der Gruppe der potenziell Be­troffenen an: verheirateten und unverheirateten Paare mit Kindern unter 25 Jahren.

Zusatzinformation:

2007 standen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes den 368.922 Eheschließungen 187.072 Scheidungen gegenüber. Seit 1990 wurden 2,4 Millionen Min­derjährige durch Trennung ihrer Eltern zu „Scheidungswaisen“. Allein im Jahr 2007 waren knapp 145.000 Kinder betroffen.

In Deutschland gibt es mittlerweile 1,57 Millionen Haushalte, in denen insgesamt 2,18 Millionen Kinder unter 18 Jahren mit allein erziehenden Elternteilen leben, in neun von zehn Fällen ist dies die Mutter.

Rückfragen an: Anna Renkamp, Bertelsmann Stiftung, Telefon: 0 52 41 / 81 81145

Volker Oetzel, Bertelsmann Stiftung, Telefon: 0 52 41 / 81 81374

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Ute Friedrich idw

Weitere Informationen:

http://www.bertelsmann-stiftung.de

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