Weder Neandertaler noch moderner Mensch

Die Sequenzierung des Kerngenoms aus einem uralten in einer sibirischen Höhle gefundenen Fingerknochen ergibt, dass die Höhlenbewohner weder Neandertaler noch moderne Menschen waren. Zu dem internationalen Forscherteam unter der Leitung von Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, das diese Arbeit jetzt in „Nature“ veröffentlichte, gehört auch Dr. Johannes Krause, Juniorprofessor an der Universität Tübingen. Das Team sequenzierte das Kerngenom aus dem wenigstens 30.000 Jahre alten Fingerknochen eines ausgestorbenen Urmenschen, der von Archäologen der Russischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 2008 in der Denisova-Höhle im südlichen Sibirien ausgegraben wurde.

Anfang dieses Jahres hatte das Forscherteam bereits herausgefunden, dass die mitochondriale DNA aus dem Fingerknochen eine ungewöhnliche Sequenz aufwies und möglicherweise von einem bisher nicht beschriebenen Urmenschen stammte. Mithilfe der am Neandertalergenom entwickelten Techniken sequenzierten die Forscher nun das Kerngenom aus dem Knochen, d.h. die gesamte Erbinformation aus dem Zellkern einer Zelle. Sie fanden heraus, dass das Individuum, dem der Fingerknochen gehörte, weiblich war und einer Gruppe von Urmenschen angehörte, die eine gemeinsame Herkunft mit dem Neandertaler teilte, danach aber einen anderen evolutionären Weg beschritt. Diese neue Urmenschenform nennen die Forscher Denisova-Mensch. Im Gegensatz zu den Neandertalern trugen die Denisova-Menschen keine Gene zu allen heute lebenden Nicht-Afrikanern bei. Sie teilten jedoch eine größere Anzahl von genetischen Varianten mit heute auf Papua Neuguinea lebenden Populationen, was nahe legt, dass es zwischen dem Denisova-Menschen und den Vorfahren der Melanesier zu einer Vermischung gekommen ist.

David Reich, der an der Harvard Medical School forscht und die populationsgenetische Analyse leitete, sagt: “Die Tatsache, dass die Denisova-Menschen in Südsibirien entdeckt wurden, aber zum Erbmaterial heute lebender menschlicher Populationen in Neuguinea beigetragen haben, zeigt, dass die Denisova-Menschen während des Pleistozäns in Asien weit verbreitet gewesen sein müssen.“

Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie merkt an: “Kombiniert mit der Genomsequenz des Neandertalers, zeigt uns das Denisova-Genom ein komplexes Bild genetischer Interaktionen zwischen unseren Vorfahren und anderen Urmenschengruppen.”

Außerdem untersuchten die Forscher einen Denisova-Zahn, der in derselben Höhle in Sibirien ausgegraben wurde und dessen Morphologie und äußere Beschaffenheit sich von der eines Neandertalerzahnes und des Zahnes eines modernen Menschen unterscheidet, denen sehr viel älterer Urmenschenformen aber ähnelt. Johannes Krause, Professor für Paläogenetik an der Universität Tü-bingen: “Dieser Zahn weist fast die gleiche DNA wie der Fingerknochen auf. Er ermöglicht es uns, morphologische und genetische Informationen miteinander in Verbindung zu bringen.“ Johannes Krause wechselte im Sommer vom Max-Planck-Institut in Leipzig an die Universität Tübingen. Er setzt dort die Erforschung der Urmenschen-DNA fort und hat sich auf die Analyse von frühen mo-dernen Menschen spezialisiert, wie den Cro-Magnon Menschen, den ersten Europäern.

Finanzielle Unterstützung erfuhr die Studie durch die Max-Planck-Gesellschaft, die Krekeler-Stiftung, die National Institutes of Health (USA) und die National Science Foundation (USA).

Die Originalveröffentlichung:

David Reich, Richard E. Green, Martin Kircher, Johannes Krause, Nick Patterson, Eric Y. Durand, Bence Viola, Adrian W. Briggs, Udo Stenzel, Philip L. F. Johnson, Tomislav Maricic, Jeffrey M. Good, Tomas Marques-Bonet, Can Alkan, Qiaomei Fu, Swapan Mallick, Heng Li, Matthias Meyer, Evan E. Eichler, Mark Stoneking, Michael Richards, Sahra Talamo, Michael V. Shunkov, Anatoli P. Derevianko, Jean-Jacques Hublin, Janet Kelso, Montgomery Slatkin, Svante Pääbo: Genetic histo-ry of an archaic hominin group from Denisova Cave in Siberia

Nature, 23. Dezember 2010, doi:10.1038/nature09710

Kontakt:

Prof. Dr. Johannes Krause
Universität Tübingen
Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie
Telefon: +49 341 3550-517
krause[at]eva.mpg.de

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Michael Seifert idw

Weitere Informationen:

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