Photokatalytische Beschichtungen nur unter bestimmten Umweltbedingungen sinnvoll

Der Leopold-II-Tunnel im Zentrum Brüssels wurde bereits 1986 in Betrieb genommen. Seine Rennovierung war die Chance für die Wissenschaftler, die Wirksamkeit von neuen Materialien für die Verbesserung der Luftqualität zu testen. Foto: PhotoPAQ/CNRS

Straßenbehörden sollten die Bedingungen vor Ort genau untersuchen und eine Kosten-Nutzen-Analyse machen, bevor sie den Einsatz von photokatalytischen Baustoffen zur Luftreinigung planen.

Das schlussfolgert ein internationales Wissenschaftlerteam mit Beteiligung der Bergischen Universität Wuppertal und des Leibniz-Institutes für Troposphärenforschung (TROPOS) aus einem Experiment im Leopold-II-Tunnel in Brüssel, bei dem die Wirkung einer spezielle photokatalytischen Betonbeschichtung untersucht wurde, die u.a. Stickoxide (NOx) aus den Autoabgasen abbauen und so die Luft reinigen kann.

Im Gegensatz zu ersten optimistischen Abschätzungen basierend auf Laborversuchen, ergab sich für die Reduktion gesundheitsgefährlicher Stickoxide im Tunnelexperiment nur eine Obergrenze von zwei Prozent. Lichtstärke, Strömungsgeschwindig­keit, Luftfeuchtigkeit und Schadstoffbelastung haben großen Einfluss auf den Wirkungsgrad von photokatalytischem Baustoffen, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt Building and Environment.

Das über das EU-Programm LIFE+ geförderte Projekt PhotoPAQ hat in den vergangenen Jahren den Einsatz von photokatalytischen Baustoffen für die Luftreinigung in Städten untersucht. Acht Partner aus fünf verschiedenen europäischen Ländern nahmen an dem Projekt teil, bei dem die Photokatalyse im Labor, in größeren Simulationskammern und in Feldversuchen untersucht wurde.

Als Teil der Studie fand von Juni 2011 bis Januar 2013 eine umfangreiche, dreistufige Messkampagne im Leopold-II-Tunnel in Brüssel statt. Bis zu 65.000 Autos pro Tag passieren diese wichtige Zufahrt ins Zentrum und machen den Tunnel so zu einem der Orte mit der schlechtesten Luftqualität in der belgischen Hauptstadt.

Eine photokatalytische Zementbeschichtung mit Titandioxid (TiO2) wurde an den Seitenwänden und der Decke der Tunnelröhre auf einer Länge von 70 bzw. 160 Metern angebracht, die in Richtung Stadtzentrum führt. Das luftreinigende Material wurde von einem extra installierten UV-Lampensystem aktiviert.

Von dem Versuch erhofften sich die Behörden verschiedenste Vorteile, wie saubere Luft zum Atmen für die Autofahrer, mögliche Kostenreduktionen bei der Tunnelbelüftung sowie eine Verbesserung der Luftqualität am Tunnelausgang bzw. an den Lüftungsausgängen. Deshalb wurde während der Feldkampagne die Wirkung der photokatalytischen Beschichtung auf die Luftver­schmutzung (einschließlich NOx, Kohlenwasserstoffen, Feinstaub, Kohlenmonoxid, etc.) innerhalb des Tunnelabschnitts intensiv untersucht.

Das PhotoPAQ-Konsortium installierte dazu für jeweils mehrere Wochen eine große Anzahl modernster Messgeräte, um den Grad der Verschmutzung im Tunnel mit und ohne Spezialbeschichtung vergleichen zu können.

Im Gegensatz zu ersten Abschätzungen aus den Laborversuchen, zeigten die Ergebnisse im Tunnel keine deutliche Reduktion der Schadstoffe. Zum Beispiel lag die Reduktion von Stickoxiden (NOx, eine wichtige Schadstoffklasse aus dem Straßenverkehr) unter den statistischen Unsicherheiten des Experimentes von zwei Prozent. Als eine Ursache wurde die starke Deaktivierung des photokatalytischen Materials innerhalb des verkehrsreichen und stark verschmutzen Leopold-II-Tunnels identifiziert.

Außerdem lag die tatsächliche Beleuchtungsstärke mit nur knapp zwei Watt UV-A-Strahlung pro Quadratmeter unter dem angestrebten Wert von vier Watt pro Quadratmeter, was zu einer geringen Aktivierung und photokatalytischen Aktivität des eingesetzten Materials führte. Ein anderer negativer Effekt war die hohe Windgeschwindigkeit von bis zu fünf Metern pro Sekunde innerhalb des Tunnels, die die Kontaktzeit zwischen den Schadstoffen und der photokatalytischen Tunneloberfläche begrenzte.

Und schließlich herrschte im Januar 2013 sehr kaltes und feuchtes Wetter mit Luftfeuchtigkeiten von 70 bis 90 Prozent, was ebenfalls die Aktivität des photokatalytischen Materials reduzierte. Alle diese Probleme führten unter den schwierigen Bedingungen im Tunnel zu geringeren Schadstoffreduktionen als ursprünglich erwartet. Trotzdem gelang es dem PhotoPAQ-Konsortium durch die gewonnenen Erkenntnisse aus den Feld- und Laborversuchen anhand von Simulationen die maximal mögliche Schadstoffminderung zu ermitteln.

Diese Berechnungen zeigen, dass im Idealfall die Reduktion der NOx-Konzentrationen vier Prozent im 160 Meter langen Untersuchungsabschnitt und zwölf Prozent im ganzen zwei Kilometer langen Tunnel betragen hätte. Diese Werte stellen allerdings Maximalwerte der photokatalytischen Luftreinhaltung unter optimalen Bedingungen dar, bei denen die UV-Bestrahlungsstärke bei mindestens vier Watt pro Quadratmeter und die relative Luftfeuchtigkeit nicht über 50 Prozent liegen sollte.

“Vor größeren Anwendungen dieser Technologie sollte eine Deaktivierung der photokata­lytischen Aktivität aber auch die mögliche Bildung schädlicher Reaktionsprodukte in kleineren kostengünstigen Probemessungen vor Ort getestet werden und nur bei positiven Ergebnissen der Einsatz empfohlen werden“, fasst PD Dr. Jörg Kleffmann von der Bergischen Universität Wuppertal zusammen.

Und sein Kollege Prof. Hartmut Herrmann vom TROPOS ergänzt: „Wir wissen jetzt wesentlich mehr über die Rahmenbedingungen, die nötig sind, damit diese photochemischen Prozesse ins Rollen kommen. Was in Brüssel nur schlecht funktioniert hat, kann anderenorts aber gut funktionieren. Wir sollten uns deshalb nicht entmutigen lassen und das Potenzial dieser Technik in der Praxis weiter sondieren.“

Die PhotoPAQ-Messkampagne im Brüsseler Leopold-II-Tunnel erwies sich als ein einzigartiges Experiment zur umfassenden Beurteilung der Wirkung von photokatalytischen Baumaterialien auf die Luftverschmutzung in einem Tunnel. Die umfangreichen Messdaten und Modellierungen ermöglichen es nun, die Schadstoffreduzierungen durch photokatalytische Materialien in anderen Tunneln abzuschätzen. Diese Methode kann auch von Nicht-Experten genutzt werden.

Darüber hinaus konnten die Wissenschaftler Empfehlungen für die optimale Verwendung dieser innovativen, photokatalytischen Materialien geben. Dazu gehören zum Beispiel die Optimierung der photokatalytischen Beschichtung mit geringer Oberflächenrauigkeit zur Unterdrückung der Staubanlagerung, eine hohe UV-Beleuchtungsstärke (möglichst >10 Watt pro Quadratmeter), eine geringe relative Luftfeuchtigkeit im Tunnel (möglichst <50 Prozent), niedrige Windgeschwindig­keiten im Tunnel (möglichst <1 Meter pro Sekunde), um die Reaktionszeiten der Schadstoffe zu erhöhen, bidirektionale Verkehrsführung zur Erhöhung der Turbulenzen sowie möglichst kleine Tunnelquerschnitte zur Verbesserung des Oberflächen/Volumen-Verhältnisses. Tilo Arnhold

Publikationen:

E. Boonen, V. Akylas, F. Barmpas, A. Boréave, L. Bottalico, M. Cazaunau, H. Chen, V. Daële, T. De Marco, J.F. Doussin, C. Gaimoz, M. Gallus, C. George, N. Grand, B. Grosselin, G.L. Guerrini, H. Herrmann, S. Ifang, J. Kleffmann, R. Kurtenbach, M. Maille, G. Manganelli, A. Mellouki, K. Miet, F. Mothes, N. Moussiopoulos, L. Poulain, R. Rabe, P. Zapf, A. Beeldens (2015): Construction of a photocatalytic de-polluting field site in the Leopold II tunnel in Brussels. Journal of Environmental Management, Volume 155, 15 May 2015, Pages 136-144, ISSN 0301-4797, http://dx.doi.org/10.1016/j.jenvman.2015.03.001

M. Gallus, V. Akylas, F. Barmpas, A. Beeldens, E. Boonen, A. Boréave, M. Cazaunau, H. Chen, V. Daële, J.F. Doussin, Y. Dupart, C. Gaimoz, C. George, B. Grosselin, H. Herrmann, S. Ifang, R. Kurtenbach, M. Maille, A. Mellouki, K. Miet, F. Mothes, N. Moussiopoulos, L. Poulain, R. Rabe, P. Zapf, J. Kleffmann (2015): Photocatalytic depollution in the Leopold II tunnel in Brussels: NOx abatement results. Building and Environment, Volume 84, January 2015, Pages 125-133, ISSN 0360-1323, http://dx.doi.org/10.1016/j.buildenv.2014.10.032

Die Untersuchungen wurde durch das Projekt PHOTOPAQ im Rahmen des LIFE+-Programm der Europäischen Kommission sowie durch das Ministerium der Hauptstadtregion Brüssel gefördert.

Weitere Infos:

PD Dr. Jörg Kleffmann, Bergische Universität Wuppertal, Tel. +49-(0)202-439-3534, http://www.ptc.uni-wuppertal.de/team/dozenten/privdoz-joerg-kleffmann.html  und

Prof. Dr. Hartmut Herrmann, Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS), Tel. +49-341-2717-7024, http://www.tropos.de/institut/ueber-uns/mitarbeitende/hartmut-herrmann/  sowie

Dr. Christian George, PhotoPAQ-Koordinator (en. + fr.) Institut de Recherches sur la Catalyse et l'Environnement de Lyon (IRCELYON), Tel: +33-(0)472 431 489, http://www.ircelyon.univ-lyon1.fr/syrcel/card/CGO  oder

Tilo Arnhold, TROPOS-Öffentlichkeitsarbeit, Tel. +49-341-2717-7189, http://www.tropos.de/aktuelles/pressemitteilungen/

Links:

LIFE+ Project PhotoPAQ (“PHOTOcatalytic remediation Processes on Air Quality”) http://photopaq.ircelyon.univ-lyon1.fr/

Video zur Messkampagne in Brüssel: http://photopaq.ircelyon.univ-lyon1.fr/PhotoPAQ-campaigns/Indoor-campaign

Video „Eine Fassade, die Schadstoffe abbaut?“ – MDR Einfach genial, 21.02.2012 https://www.youtube.com/watch?v=6ZzxXjhLURg

Laborexperimente zu troposphärischen Multiphasenprozessen: Photokatalyse http://www.tropos.de/forschung/aerosol-wolken-wechselwirkungen/prozessstudien-auf-kleinen-zeit-und-raumskalen/chemische-multiphasenprozesse/laborexperimente-zu-troposphaerischen-multiphasenprozessen/photokatalyse/

Atmosphärenchemie-Projekte der Bergischen Universität Wuppertal: http://www.ptc.uni-wuppertal.de/forschung/aktuelle-projekte/demonstration-of-photocatalytic-remediation-processes-on-air-quality-photopaq-life-eu.html  http://www.ptc.uni-wuppertal.de/forschung/aktuelle-projekte/einfluss-von-tio2-dotierten-gebaeudefarben-auf-die-bildung-von-sekundaerem-organischen-aerosol-feinstaub.html 

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Tilo Arnhold Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS)

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