Fahrstuhlfahrten im Erdmantel
Der Teil der Erdkruste, den wir heute als Alpen kennen, hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Forscher der Universitäten Köln, Bonn und Münster haben sie nun für die Adula-Decke in der Südschweiz zumindest teilweise rekonstruiert: Demnach ist das Gebiet in den letzten 350 Millionen Jahren zweimal bis auf Tiefen von über 50 Kilometern in den Erdmantel abgetaucht.
Erst danach hat sich die Gesteinsformation, die flächenmäßig etwa doppelt so groß ist wie der Bodensee, auf ihre aktuelle Höhe von über 2000 Metern aufgefaltet. Die Studie ist in Nature Geoscience erschienen (doi: 10.1038/NGEO1060).
Dass Oberflächengestein in Richtung Erdzentrum abdriftet, ist nicht ungewöhnlich. Die Erdkruste fährt praktisch ständig Fahrstuhl: An den Nahtstellen der tektonischen Platten wird Krustenmaterial in die Tiefe gezogen – Experten sprechen von Subduktion. Bei der Fahrt unter Tage gelangt das Gestein unter extrem hohen Druck, bei dem charakteristische Minerale wachsen können. So bildet sich zum Beispiel das Mineral Granat, welches ein Hauptbestandteil des Hochdruckgesteins Eklogit ist. Die Wissenschaftler aus Bonn, Köln und Münster haben derartige Eklogite von der Adula-Decke analysiert und eine Altersbestimmung vorgenommen. Dabei haben sie eine interessante Beobachtung gemacht: „Teile der Eklogite sind maximal 38 Millionen Jahre alt, andere dagegen mindestens 330 Millionen Jahre“, erklärt Daniel Herwartz. Der Doktorand am Kölner Institut für Geologie und Mineralogie und am Bonner Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie hat die Studie geleitet.
Die Forscher konzentrierten sich bei ihren Untersuchungen auf die Eklogit-Komponente Granat. Granat baut bei seiner Bildung große Mengen des radioaktiven Spurenelementes Lutetium ein. Dieses zerfällt mit einer Halbwertszeit von 37 Milliarden Jahren zu stabilem Hafnium. Aus dem Lutetium-Hafnium-Verhältnis lässt sich also bestimmen, wann das Mineral entstanden ist. Granat bildet sich in diesen Gesteinen nur unter starkem Druck, wie er in mehr als 50 Kilometern Tiefe herrscht. Daher kann man an seinem Alter den Zeitpunkt der Subduktion festmachen.
200.000 Kristallkörnchen unter der Lupe sortiert
Herwartz und seine Kollegen haben für die Studie unter der Stereolupe Hunderttausende von Mineral-Kristallen sortiert, jedes so groß wie ein kleines Sandkorn. Eine Sisyphos-Arbeit, die sich aber gelohnt hat: „Uns ist es gelungen, im Eklogit der Adula-Decke zwei Granatgenerationen zu datieren“, sagt der Geologe. Eine Weltpremiere, die bis vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Denn die für die Analysen nötigen Massenspektrometer sind dazu erst heute empfindlich genug. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hatte den Wissenschaftlern aus Köln und Bonn erst im Jahr 2008 ein etwa 1 Million Euro teures Gerät zur Verfügung gestellt.
Aus ihren eigenen Ergebnissen und denen anderer Arbeitsgruppen schließen die Wissenschaftler, dass der größte Teil der ca. 1000 Quadratkilometer großen Adula Decke vor etwa 350 Millionen schon einmal abgetaucht ist. Dieser Vorgang hat sich dann mit der gesamten Einheit vor knapp 40 Millionen Jahren noch einmal wiederholt. Möglicherweise gab es davor sogar noch weitere Subduktions-Zyklen. „Das ist aber bislang reine Spekulation“, betont Herwartz und Münker. „Anhaltspunkte dafür liefern zumindest unsere aktuellen Daten nicht.“
Bei Rückfragen: Prof. Dr. Carsten Münker, Institut für Geologie und Mineralogie, Universität zu Köln, Telefon 0221/470 3198, E-Mail: c.muenker@uni-koeln.de
Daniel Herwartz, Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie, Universität Bonn
Telefon: 0228/73-4652
E-Mail: d.herwartz@uni-bonn.de
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