Die ersten modernen Menschen erreichten Europa früher als bisher angenommen

Archäologische Artefakte der Uluzzien Kultur aus der Grotta del Cavallo (Apulien, Süditalien).<br>Foto: Prof. Annamaria Ronchitelli und Dr. Katerina Douka<br>

Die Grotta del Cavallo ist eine 1960 entdeckte prähistorische Höhlenfundstelle in Apulien. Dort wurden Überreste der sogenannten Uluzzien-Kultur gefunden, die durch persönliche Schmuckreste, Knochenwerkzeuge sowie Farbenreste gekennzeichnet ist. Solche Artefakte werden meist mit dem modernen Menschen in Zusammenhang gebracht.

Bisher wurden allerdings zwei damals von Prof. Palma di Cesnola von der Universität Siena gefundene Milchzähne als Zähne von Neandertalern angesehen. Diese Bestimmung verursachte intensive Diskussionen über die kognitiven Fähigkeiten und eine mögliche unabhängige Entwicklung symbolischen Verhaltens bei Neandertalern, welches demnach als ähnlich der Kompetenz früher moderner Menschen angesehen wurde.

Dr. Stefano Benazzi von der Universität Wien und das internationale Forscherteam untersuchten dreidimensionale digitale Modelle der Zahnreste aus der Grotta del Cavallo anhand computertomographischer Daten. Sie verglichen diese mit einer großen Anzahl von Zähnen moderner Menschen und Neandertaler. Zwei unabhängige Vermessungsmethoden dienten zum Vergleich der internen und externen Merkmale der Zähne, einschließlich der Zahnschmelzdicke sowie der generellen Umrisslinie der Kronen.

Die Ergebnisse weisen die beiden Zähne aus der Grotta del Cavallo als Milchzähne von Kindern aus, die eindeutig zu den anatomisch modernen Menschen gehören. Prof. Katerina Harvati von der Universität Tübingen und dem dort angesiedelten Senckenberg Center for Human Evolution and Paleoecology, in deren Computertomographie-Labor ein großer Teil der Vergleichsuntersuchungen durchgeführt wurde, sagt: „Unsere Analyse zeigt eindeutig, dass die Zahn-Überreste aus der Grotta del Cavallo von modernen Menschen stammen und dass deshalb die Uluzzien-Kultur dem modernen Menschen zugeordnet werden muss und nicht Neandertalern. Unsere Untersuchung betont die wichtige Rolle computertomographischer Verfahren und virtueller Anthro-pologie bei der Identifizierung und Interpretation fossiler Überreste.“ Dr. Ottmar Kullmer vom Senckenberg Forschungsinstitut Frankfurt ergänzt: „Fossile Menschenreste aus der Zeit dieser Übergangskulturen sind extrem selten und Milchzähne standen bislang nicht im Fokus solcher Vergleichsuntersuchungen.“

Neue Radiokohlenstoff-Datierungen von marinen Muschelresten aus der gleichen archäologischen Schicht wie die Zähne, die von Dr. Katerina Douka an der Radiocarbon Accelerator Unit der Universität Oxford durchgeführt wurden, ergaben ein absolutes Alter von etwa 43.000 bis 45.000 Jahren vor heute. Damit sind die Funde aus der Grotta del Cavallo die bisher ältesten Nachweise des modernen Menschen in Europa. Kullmer deutet dieses Ergebnis: „Der moderne Homo sapiens ist offensichtlich schon vor dem Beginn des Aurignacien, das heißt vor dem Beginn der jüngeren Altsteinzeit, in das bereits von Neandertalern besiedelte Europa eingewandert.“ Harvati ergänzt “Es scheint, dass sich der moderne Mensch als erstes entlang der mediterranen Küste ausbreitete. Dies unterstreicht die Wichtigkeit Südeuropas in der Verbreitung der frühen Menschen.“

Die Publikation: Stefano Benazzi, Katerina Douka, Cinzia Fornai, Catherine C. Bauer, Ottmar Kullmer, Jiri Svoboda, Ildiko´ Pap, Francesco Mallegni, Priscilla Bayle, Michael Coquerelle, Silvana Condemi, Annamaria Ronchitelli, Katerina Harvati & Gerhard W.Weber: Early dispersal of modern humans in Europe and implications for Neanderthal behavior. doi:10.1038/nature10617

Weitere Information:

Prof. Dr. Katerina Harvati
Universität Tübingen
Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters/ Senckenberg Center of Human Evolution and Palaeoecology
Telefon: +49 7071 29-76516
katerina.harvati@ifu.uni-tuebingen.de
Dr. Ottmar Kullmer
Senckenberg Center of Human Evolution and Palaeoecology, Senckenberg Forschungsinstitut Frankfurt a. M.
Telefon +49 69 7542 1364
ottmar.kullmer@senckenberg.de

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Michael Seifert Eberhard Karls Universität Tübin

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