Beschleunigter Rückzug des westantarktischen Eisschildes

Mündungsgebiet des Pine-Island-Gletschers. Foto: Karsten Gohl, Alfred-Wegener-Institut

Der vierte Fahrtabschnitt der 23. Polarstern-Expedition stand ganz im Zeichen der Erkundung und Vermessung des Kontinentalschelfs der Westantarktis. Insbesondere im Bereich der Pine-Island-Bay sollte geklärt werden, warum Gletscher dort verstärkt abfließen.


Erstmals gelang der Zugang zu Bereichen in dieser Bucht, die bis vor wenigen Jahrzehnten noch von Schelfeis bedeckt waren und auch heute nur schwer zugänglich sind. Vermessungen des Meeresbodens im inneren Schelfbereich zeigen erstaunlicherweise pures Gestein. Die fehlenden Ablagerungen von Sedimenten deuten auf den Abtransport durch eine Meeresströmung hin. Erhöhte Temperaturen und Salzgehalte im Tiefenwasser vor der Bucht, sowie vulkanische Aktivitäten, könnten dazu beitragen, dass die Gletscher schneller abfließen und damit den Rückzug des westantarktischen Eisschildes beschleunigen. Ein komplettes Abschmelzen des westantarktischen Eisschildes würde einen Anstieg des Meeresspiegels um fünf Meter zur Folge haben.

Schnelle Gletscherabflüsse in der Pine-Island-Bay

In das Gebiet der Pine-Island-Bay fließen mehrere Gletscherströme vom westantarktischen Kontinent, von denen der Pine-Island-Gletscher und der Thwaites-Gletscher die größten sind. Satellitenbilder bestätigen, dass diese Gletscher schneller zum Meer hin abfließen und dort schneller kalben als andere antarktische Gletscher. Seismische Untersuchungen zeigen, dass ein großer Abschnitt der Pine-Island-Bay nahezu frei von Sedimenten ist. Daraus schließen die Wissenschaftler, dass entweder eine starke Meeresströmung in größerer Tiefe die Sedimente abträgt, oder aber diese Region erst seit kurzem frei von Schelfeisen ist, so dass sich kaum Sedimente ablagern konnten. Die Tiefenströmung ist im Zusammenhang mit der Entwicklung des westantarktischen Eisschildes wichtig. Um sie genauer zu beobachten, wurden Messbojen ausgebracht, die über ein Jahr lang kontinuierlich Messgrößen wie Temperatur, Salzgehalt und Strömungsgeschwindigkeit aufzeichnen.

Schmelzen Vulkane die Gletscher?

Ebenso könnten vulkanische Aktivitäten die Temperatur unter dem Eisschild so weit erhöhen, dass die Gletscher schneller abfließen. Um diese Möglichkeit zu prüfen, wurden während der Expedition Vulkankegel auf dem westantarktischen Festland per Helikoptereinsatz erkundet. Die gesammelten Gesteinsproben werden nun in den Laboren analysiert. Sie sollen Antworten auf die Fragen liefern, bis wann diese Vulkane aktiv waren und ob sie zum Abschmelzen des Eises beitrugen.

Gletschertröge, tiefe Rinnen und Fjorde

Seismische Vermessungen der tieferen Gesteinsformationen lassen Rückschlüsse auf den geologischen Unterbau des Kontinentalschelfs zu. Die Art und Weise, wie sich dieser Unterbau im Laufe der Erdgeschichte tektonisch entwickelt hat, trägt dazu bei, wie weit sich das Schelfeis überhaupt ausbreiten konnte und welche Wege es dabei nahm. Bei der Vermessung des Meeresbodens fanden die Wissenschaftler tiefe Rinnen, so genannte Gletschertröge, die bis zu 1600 Meter unter dem Meeresspiegel liegen. „Das sind die bisher tiefsten glazialen Tröge, die jemals auf dem inneren Kontinentalschelf der Antarktis vermessen wurden“, sagt Dr. Karsten Gohl, Fahrtleiter des vierten Fahrtabschnittes mit Polarstern. „Im Vergleich zur Ostantarktis sind diese Gletschertröge vor den westantarktischen Schelfeisen generell tiefer. Das liegt vermutlich daran, dass die Landoberfläche der Westantarktis unter dem Eisschild wesentlich tiefer liegt, als die der Ostantarktis“, erklärt Karsten Gohl. Während der Eiszeiten lag die Landoberfläche durch die größere Auflast des Eisschildes sogar noch tiefer. Die mächtigen Gletscher haben diese Tröge so eingefurcht, wie zum Beispiel auch die norwegischen Fjorde entstanden sind. „Die Frage ist allerdings, warum diese Tröge kaum mit Sedimenten oder Gesteinsmaterial aufgefüllt wurden, das von den abfließenden Gletschern transportiert wird. Wir vermuten hier starke Strömungen am Meeresboden“, so Karsten Gohl. Eine andere Erklärung wäre, dass der Eisschild, der während der letzten Eiszeit bis zum äußeren Kontinentalschelf vorgedrungen ist, das Gebiet der inneren Pine-Island-Bay erst in den letzten wenigen tausenden oder gar hunderten von Jahren freigegeben hat, so dass die Zeit für eine Ablagerung von Sedimenten nicht ausreichte. Ob dieses Szenario stimmt, können die Forscher erst nach genauer Analyse der seismischen Daten und des Probenmaterials der Sedimentkerne aus den Trögen nach Rückkehr an das Alfred-Wegener-Institut nachweisen.

Das Alfred-Wegener-Institut forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der gemäßigten sowie hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der fünfzehn Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.

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Margarete Pauls idw

Weitere Informationen:

http://www.awi-bremerhaven.de/

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